Sex 1: Ein steifer Sommer

Jahrelang hat Simon Cooke als maskierter Superheld namens Kettenheiliger den Großstadt-Moloch Saturn City bewacht. Er hat ebenfalls maskierte Schurken zur Strecke gebracht. Mit manchen von ihnen, wie der weiblichen Schattenluchs, verband ihn gar eine Hassliebe. Doch dann gibt er einen Sterbenden das Versprechen, endlich mit den Täuschungen und Maskenspielen aufzuhören und ein normales Leben zu führen. Ein Versprechen, das sich als schwerer erweist, als gedacht.

von Kurt Wagner

 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich finde den Comic gut für das, was er sein will, und etwas ärgerlich für das, was er ist. Die Ausgangsfrage, wie langjährige Superhelden und -schurken mit einem Leben umgehen, nachdem sie ihr Cape abgelegt haben, ist interessant und psychologisch glaubwürdig. Seiner früheren Aufgabe beraubt, fühlt sich Cooke vor allem orientierungslos und einsam. Er ist mit der Arbeit in seine Multimillionendollarunternehmen ebenso überfordert, wie es wohl Bruce Wayne wäre, wenn er auf einmal Wayne Enterprises führen müsste. Gleichzeitig muss er feststellen, dass er keine Freunde hat, weil ein Superheld eben nur Verbündete und Gegner kennt – mit denen man selten in seiner Freizeit ein Bier trinkt (Ausnahmen bestätigen die Regel). Auch mit seinen Gefühlen vermag er nicht umzugehen, ein ironischer Seitenhieb auf all die athletischen Damen und Herren in engen Kostümen, die in Superhelden-Comics ständig sexy aussehen, aber nie Sex haben. Auch der Kettenheilige, Cookes Alter Ego, führte ein zölibatäres Leben, aus dem er nun, als gewöhnlicher Mann, nicht mehr herausfindet, obwohl er sich nach einer ehemaligen Gegnerin sehnt.

Dieser Teil der Geschichte ist schön erzählt und er wird durch Details am Rande interessant ergänzt. Etwa wenn Cookes ehemalige Gegnerin (und heimliche Liebe) Augenprobleme bekommt, weil sie zu lange experimentelle Linsen in ihrer Maske trug. Oder wenn einstige Superschurken in der Gosse landen, wo sie niemand mehr kennt oder ernst nimmt. Überhaupt hat man in dem Comic den Eindruck, in einer Zeit „nach den Superhelden und Superschurken“ angekommen zu sein, in der jeder sehen muss, wie er mit seinem früheren Ruf zurechtkommt oder ihn sich bewahrt. Vor allem die Schurken drehen dabei an der Schraube der Gewalt, die sie zwar pervers und brutal erscheinen lässt, aber zugleich auch irgendwie machtlos, da ihnen jeder Stil wahrer Superschurken abgeht.

Ärgerlich wird der Comic an dem Punkt, an dem schon der fragwürdige Titel „Sex“ ansetzt. Warum „Sex“? Eigentlich dreht sich die Handlung des Comics gar nicht primär um Sex. Aber offenbar vertraute Autor Joe Casey seinem Konzept eines ehemaligen Superhelden nicht, weswegen er sich entschied, die Reihe eher unmotiviert „Sex“ zu nennen und die Handlung mit regelmäßigen Kopulationsszenen aufzufüllen, die größtenteils unnötig sind und somit unangenehm plakativ auf eine Leserschaft abzielen, die in Comics immer mehr Schockmomente in Form von Sex und Gewalt erwartet. Die Psyche des Helden wird nicht tiefer ausgelotet, nur weil er hilflos zwei Lack-und-Leder-Damen beim lesbischen Liebesspiel zuschaut. Und der Antagonist wird nicht dämonischer, nur weil er, ein zerknitterter Greis, es einer Prostituierten kräftig von hinten besorgt und ihr dann im Moment des vorgetäuschten Orgasmus den Schädel wegpustet. Das sind schlicht und ergreifend Porno-Momente – ebenso wie die diversen Panels mit jungen Dingern, die irgendwelchen Männern einen Blowjob verpassen –, die den interessanten psychologischen Teil der Handlung unterbrechen und zudem meist nicht einmal erotisch inszeniert sind, sondern oft bloß obszön oder brutal oder erniedrigend (was sich passionierte amerikanische Comic-Leser wohl so unter Sex vorstellen …).

Ich bin kein Prediger. Ich habe nichts gegen Sex und Gewalt in Geschichten, wenn sie der Handlung dienlich sind. In „Watchmen“, an das sich dieser Comic vom Tonfall anzulehnen versucht (auch dort stehen ehemalige und zum Teil impotente Superhelden im Fokus), funktioniert das Ganze. Hier ärgern die überwiegend wie Porno-Füllsel wirkenden Momente, denn es wäre nicht nötig gewesen, Cookes Weg zur Selbstfindung auf diese Weise auszuschmücken (und der Mann will ja nicht mal primär Sex, er will Liebe). So fühlt man sich nach dem Cover ein wenig betrogen, weil es inhaltlich eigentlich gar nicht um Sex in dem Comic geht – denn dann hätte das Spannungsfeld von Cookes zölibatärem Leben als Kettenheiliger und seinem unterschwelligen Trieb deutlich stärker herausgearbeitet werden müssen. Gleichzeitig verspürt man Bedauern, weil die Story eigentlich tiefsinniger sein könnte, wenn Autor und Illustrator nicht den Weg des Plakativen gegangen wären.

Gelungen muss man die Optik nennen. Die Illustrationen von Piotr Kowalski mögen eher Standard-Kost sein – sauber gezeichnete Figuren und ein angenehmer Detailgrad, aber nichts Außergewöhnliches. Die ausdrucksstarke Farbgestaltung von Brad Simpson dagegen ist fantastisch und trägt wesentlich zur Atmosphäre des Comics bei. So wählt er ganz selten naturalistische Farbtöne, sondern wirft den Leser in eine Orgie aus Rot- und Blautönen, unterkühlt und erhitzt zugleich.

Fazit: Eine an und für sich interessante Prämisse – wie lebt es sich als Superheld, wenn man das Cape abgelegt hat –, die auch einiges an gelungenen Szenen zu bieten hat, wird in „Sex 1: Ein steifer Sommer“ leider durch den Drang der Macher, provokant zu sein, ein wenig unterminiert. So werden die lesenswerte Selbstfindung Simon Cookes und die Schicksale anderer Helden und Schurken immer wieder durch spürbar absichtlich provokative Sex-und-Gewalt-Szenen gestört. Vielleicht muss man das heute so machen, weil eine kluge Handlung alleine nicht mehr reicht. Ich hätte ein klareres Bekenntnis der Macher zu ihrem eigentlichen Thema – und einen Verzicht auf die „marktschreierischen“ Momente – vorgezogen.


Sex 1: Ein steifer Sommer
Comic
Joe Casey, Piotr Kowalski
Panini Comics 2014
ISBN: 978-3-95798-108-0
168 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 17,99

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