Secrets of the Ruined Temple

Vor mehreren Millenien ist die Wiege der magischen Zivilisation, Atlantis, untergegangen. Bei seinem Fall wurden sehr viele Geheimnisse, sei es über die Kultur und Lebensart in Atlantis oder seien es mächtige arkane Zauber, vergraben. Heutige Magi, die versuchen, dieses Wissen wiederzuentdecken, haben daher mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dieses Quellbuch wendet sich an Erzähler, die die Suche nach Atlantis in das Zentrum ihrer Chronik stellen möchten.

von Nicolas Hohmann

 

„Secrets of the Ruined Temple“ umfasst 128 Seiten. Trotz der geringen Seitenanzahl hat man dem Quellenband, wie bei White Wolf üblich, einen festen Einband gegeben. Das Cover finde ich persönlich recht ansprechend, im Gegensatz zu den Innenabbildungen, die diesmal überhaupt nicht gelungen sind. Zwar hat man durchgehend versucht, Bilder mit Bezug zum Text, zum Beispiel erwähnte Gegenstände oder Kreaturen, einzufügen, doch ist die Qualität der schwarz-weißen Bleistiftzeichnungen leider nur mittelmäßig. Auch das Papier ist bei diesem Produkt qualitativ schlechter.

Die einführende Kurzgeschichte steht unter demselben Stern, sie macht auf mich den Eindruck, als sei sie uninspiriert zusammengezimmert. Es geht um den Reise- und Forschungsbericht eines Magus, der einer verschollenen atlantischen  Ruine auf der Spur ist. Lust auf den folgenden Rollenspielteil bekomme ich dadurch leider nicht, wie es sonst so manche Kurzgeschichte zu Beginn der Quellenbücher zur „World of Darkness“ schaffte.

Aufgeteilt ist das Buch in vier Kapitel. „Atlantean Apocrypha“, so das erste Kapitel, befasst sich mit der Geschichte und den Geheimnissen des alten Atlantis und wie diese als Legenden, Geschichten, Mythen oder Berichte im Verlauf der Jahrtausende überlebt haben. Dabei wird direkt nach dem Fall der Stadt angesetzt, kursorisch werden die alten Ziviliatisationen erwähnt, bis man dann im antiken Griechenland angekommen ist, wo man angeblich Hinweise in den Werken Platons finden soll. Es geht weiter zu den Römern, ins Mittelalter, in die Renaissance und die Neuzeit. Dabei werden immer wieder Schriftsteller, Philosophen und Gelehrte erwähnt, welche in ihren Büchern – ob nun beabsichtigt oder auch nicht – Hinweise oder alte Wissensfragmente aus atlantischen Zeiten hinterlassen haben. Auf den ganzen 25 Seiten des Kapitels geht es nämlich eher darum, wer wo nach atlantischem Wissen gesucht hat oder es besaß, wer es versteckt oder vernichtet hat, wer Lügen hinzugefügt hat und wer sich bemüht, diese aufzudecken. Echte Informationen über Atlantis sind leider nur spärlich vorhanden und ließen sich wohl auf vier Seiten zusammenfassen. Man wurde darauf als Leser allerdings schon hingewiesen, denn die Devise ist es, den Spielleiter mit Ideen und Inspiration zu versorgen und Atlantis, damit es im Spiel auch weiterhin ein Mysterium bleibt, nicht allzu sehr zu konkretisieren.

Unter demselben Motto steht dann auch das zweite Kapitel „Beneath the Sediment“, das sich selbst als Anleitung zum Szenarienschreiben versteht. Und in der Tat steckt es auch hier voller guter Ratschläge, wie man denn nun genau eine Suche nach einer atlantischen Ruine – oder das, was man dafür hält – gestalten kann. Man darf darüber lesen, was es denn für verschiedene Typen von Gebäuden gab und dass es in Ruinen kleiner, alter Dörfer oder in Grabmalen der gewöhnlichen Leute, Werkzeuge und Alltagsgegenstände gibt. Na, das hätte man sich beinahe auch selbst denken können. Wie genau jetzt aber so ein Werkzeug von damals aussieht, warum solch ein Fund für einen Magus etwas Besonderes ist oder wie eine Ruine architektonisch gestaltet ist, diese Informationen vermisst man leider. Behandelt werden weiterhin Gründe, aus denen verschiedene Orden und Gruppierungen auf der Suche nach den alten Geheimnissen sein könnten, Gegner die man vor Ort treffen kann, Fallen, Rätsel und Wächter der alten Gräber. Das mutet ein wenig nach Dungeonbau wie bei „D&D“ an, aber die Regeln für Fallen sind gut gemacht und nützlich, falls man wirklich mal eine solche einbauen will, und die Auflistung, mit welchen Zaubern ein alter Magus aus Atlantis wohl seine Bibliothek oder seine Grabkammer versiegelt hat, ist ebenfalls hilfreich. Am Ende wird eine Ruine exemplarisch vorgestellt. Es handelt sich um eine große Tempelbibliothek in der Türkei. Es ist defacto ein Abenteuer, aber ein recht ideenreiches, und man hat nun eine Vorstellung davon, in welche Richtung sich die Autoren eine atlantiszentrierte Chronik vorstellen. Es geht nämlich schon maßgeblich darum, alte Stätten zu erforschen, sich in Indiana-Jones-Manier mit den Wächtern, Fallen und Rivalen rumzuplagen und ein paar Schätze sowie altes Wissen mitzunehmen – das Ganze mit einer gehörigen Portion Übernatürlichem und dem weltanschaulichen Unterbau von „Mage: the Awakening“.

Kapitel 3 „Gatekeepers and Treasures“ behandelt genau das: Monster und Schätze. Vorgestellt werden hier übernatürliche Wächter alter Ruinen. Da ist zum Beispiel der ertrunkene Gott, welcher nun als Geist auf der Erde herumstreift und Magi auf der Suche nach atlantischen Geheimnissen heimsucht. Da ist der Geist aus der Zeit, welcher nur aus Sinnen besteht und neugierige Forscher in die Falle lockt, sowie das Gelbe Virus – ein Geist, der sich als Krankheit manifestiert und den Grabräuber dahinrafft. Die Schätze nehmen natürlich die Form magischer Artefakte an, wie zum Beispiel die BijDana, ein Gegenstand, der innerhalb einer Runde eine Wunde, sei sie noch so schwer, zu heilen vermag. Immerhin ist dieses Kapitel sehr konkret und man kann es direkt für die eigene Chronik verwenden, wobei man sich aber wirklich unweigerlich an „Dungeons & Dragons“ erinnert fühlt.

Das letzte Kapitel „Astral Memories“ handelt von den Ruinen, die Atlantis auf der astralen Ebene hinterlassen hat, wobei es hier keine Ruinen im klassischen Stil, also verfallene Häuser, Schlösser, etc. sind, sondern eben Überbleibsel der atlantischen Zivilisation, welche aufgrund der besonderen Physik der Astralebene nun den kollektiven Gedanken der Menschheit und ihren Vorstellungen ausgesetzt sind. Des Weiteren finden sich hier auch einige Bollwerke der Magie, welche damals von den Magi angelegt wurden, sei es nun eine Zauberschule oder ein Gefängnis für besondere Häftlinge. Auch dieses kurze Kapitel ist erfreulich direkt und beschreibt einem Orte und Tatsachen ohne die vorangegangene Verschleierung der Kapitel 1 und 2.

Der Anhang befasst sich mit der Hochsprache und atlantischen Runen, ist aber nichts anderes als eine kurze Abhandlung über Sprachwissenschaft und der Entwicklung der menschlichen Schrift, sowie dem Hinweis, dass atlantische Runen eben nicht dadurch entstanden sind, dass existierende Objekte als Symbole verwendet wurden, sondern eben metaphysische und übernatürliche Konzepte und Prozesse. Da dies leider nicht näher ausgeführt wird, ist es eine Aussage, die alles und nichts bedeutet.

Fazit: „Secrets of the Ruined Temple“ ist ein Quellenbuch, das alles und nichts verspricht. Die Idee, Geheimnisse der Spielwelt nicht genau festzulegen, um ihnen das Mysterium nicht zu rauben, ist eine gute. So fand man im Vampire-Quellband „VII“ auch drei Versionen der Geschichte, die stimmen konnten oder eben auch nicht. Doch hat man sich wohl beim Schreiben der ersten beiden Kapitel so sehr darauf versteift, nicht zu viel konkret zu machen, dass man dem Leser am Ende nur sehr wenig präsentiert und das ist schade. Gerade der Spielleiter, der seine Chronik rund um Atlantis aufbauen möchte, braucht zumindest ein paar konkrete Informationen, die auf die er zurückgreifen kann. Selbstverständlich kann man sich auch selbst kreativ betätigen, aber warum dann ein Quellenbuch kaufen? Ich will indes nicht zu sehr auf dieser verpassten Chance herumreiten, denn man kann durchaus auch etwas aus diesen Kapiteln ziehen, nur eben nicht so viel, wie denkbar gewesen wäre. Die zweite Hälfte des Bandes hält dagegen sehr viele gute und interessante Informationen bereit, die ich mir in dieser Form für auch für die Geschichte der gefallenen Stadt gewünscht hätte. Man kann also zugreifen, ohne es bereuen zu müssen, aber eine Pflichtlektüre ist es nicht.


Secrets of the Ruined Temple
Quellenbuch
Alexander Freed, Joseph Carriker, Kenneth Hite et al.
White Wolf 2006
ISBN: 1588464229
128 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 24,99

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