Schattenrüstzeug

Seid ihr echte „Shadowrun“-Veteranen? Baut ihr euch Charaktere im Schlaf zusammen? Habt ihr den totalen Überblick über die existierenden Einkaufslisten? Schüttelt ihr spannende Abenteuer, frische Connections und interessante Locations einfach so aus dem Ärmel? Dann braucht ihr „Schattenrüstzeug“ nicht! Alle anderen sollten weiterlesen. Denn was hier geboten wird, ist eine ganze Box voll nützlicher Dinge!

von Frank Stein

„Schattenrüstzeug“ für „Shadowrun“ ist eine Spielhilfe im klassischsten Wortsinne. Neben einem Spielleiterschirm befinden sich in dem Set vier vollfarbige Karten mit Orten in den Sprawls, ein Abenteuer, ein Buch mit Hilfsmitteln zum Spiel, sechs vollfarbige Referenzbögen mit Kampfabläufen und Probeabfolgen, ein Poster, drei Aufkleber sowie eine Tabellenübersicht und ein Masterindex für die Bücher „Arsenal 2070“, „BodyTech“, „Runner-Kompendium“, „Straßenmagie“ und „Vernetzt“ (im Falle des Masterindex erweitert um das Grundregelwerk und „Wildwechsel“). Das Ganze kommt in einer der guten alten Spiel-Pappboxen daher, die früher immer „etwas Besonderes“ darstellten und die ich mir auch heute noch gerne ins Regal stelle. Das Cover der Box, die übrigens gut gefüllt ist, zeigt die Skyline von Seattle bei Nacht, ein Motiv, dass auf dem Poster und dem Spielleiterschirm wiederholt wird.

Ein Blick auf die Details

Über das Poster und die Aufkleber muss man nicht viele Worte verlieren. Das Poster zeigt Seattle bei Nacht und entspricht in Größe und Motiv der Vorderseite des vier DIN-A4-Seiten messenden Spielleiterschirms. Weder von der Größe, noch vom Format etwas, das ich mir an die Wand hängen würde. Von den zahlreichen hässlichen Faltlinien reden wir gar nicht. Die Aufkleber (bei mir waren vier in der Box) zeigen einfach das „Shadowrun“-Logo (3x) und den Schriftzug (1x). Kann man für irgendwas nutzen, muss man aber nicht. Von der Wertigkeit her kostenloses Promo-Material.

Der Spielleiterschirm unterscheidet sich deutlich von dem bislang einzeln verkauften Exemplar. Zum einen ist er auf der Rückseite stärker gelayoutet, zum anderen sind die Tabellen größtenteils anders angeordnet. Insgesamt lässt sich der Schirm etwas mehr Platz, als der alte. So fehlen folgende Tabellen: Kampfrundensequenz, Fertigkeiten und damit verbundene Attribute, Tarnbarkeit, Erfolge kaufen, Matrix-Alarmreaktionen, Projektilwaffen und Nahkampfwaffen. Dafür wurden die Tabellen Askennen, Straßenpreise, Liste weiterer Tabellen im GRW, Handlungen im Kampf, Handlungen in der Matrix und Magische Handlungen hinzugefügt. Welcher Schirm der Bessere ist, lässt sich schwer sagen. Von der Übersichtlichkeit her (fettere Kastenüberschriften, weniger Layout), fand ich den alten etwas praktischer. Der neue sieht aber auf der Spielleiterseite zweifellos besser aus.

Die vier vollfarbigen Karten mit Schauplätzen sind jeweils DIN-A4 groß. Sie zeigen: ein Luxushotel (wobei ich den Luxus nicht erkenne), einen Forschungskomplex, ein Lager- und Logistikzentrum an den Docks sowie einen Abschnitt der Dowd Street mit einem Club und kleineren Läden. Die Karten sind alle beidseitig bedruckt. Vorne ist nur das Motiv, hinten finden sich zusätzliche Beschriftungen für den Spielleiter, die allerdings nur die Räume benennen und daher nicht unbedingt vor den Spielern geheim gehalten werden müssen, wenn man ihnen die Gebäudepläne hinlegt (Dinge wie eine Lobby oder einen Konferenzraum erkennt man schließlich auch ohne Beschriftung). Die Pläne sind hübsch und zweckmäßig, wenn auch nicht rasend außergewöhnlich im Design. Für den Einstieg ganz brauchbar. Vielfach wiederverwerten kann man sie ohnehin nur, wenn die Gebäude selbst eine wiederkehrende Rolle spielen – etwa weil der Club der Stammclub der Spieler ist.

Die sechs vollfarbigen, doppelseitig bedruckten Referenzbögen sind sehr nützlich fürs Spiel, aber sie wirken zugleich erschreckend kompliziert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Ablauf eines einzigen Fernkampfangriffs hat hier 19 Punkte! In Worten: neunzehn! Nix da: Würfel 1W20 gegen Zielwert, um zu treffen. Natürlich nehmen es die Beschreibungen sehr genau. Vieles, was man im Spiel in einem Rutsch erledigt (Waffe, Munition und Feuermodus wählen oder Verletzungs-, Rückstoß-, Reichweiten- und Sichtmodifikationen einrechnen), wird hier einzeln aufgeführt. Deshalb sieht das Ganze schlimmer aus, als es letztlich ist. Insgesamt bieten die Referenzkarten Übersichten zu folgenden Handlungen: Charaktererschaffung, Fernkampf, Nahkampf, Autonomer Drohnenkampf, Verteidigung, Astralkampf, Indirekte Kampfzauber, Herbeirufen, Spruchzauberei, Verbannen,  Matrixkampf und Kompilieren. Praktischerweise sind die Bögen so bedruckt, dass man nicht zwei Handlungen, die man wahrscheinlich zeitnah braucht (etwa Nahkampf und Verteidigung), auf dem selben Bogen findet.

Der „Masterindex“ ist genau das, was er behauptet zu sein: Eine geheftete Schwarz-Weiß-Übersicht, die auf 36 Seiten alle erdenklichen Begriffe von Aardwolf bis Zyklopenauge auflistet – und wo man sie im Grundregelwerk, den fünf gelben Zusatzregelwerken und dem Kreaturenbuch „Wildwechsel“ findet. Durchaus hilfreich, wenn man nachschlagen möchte, wo verflixt nochmal die Spielwerte einer MCT-Nissan Roto-Drohne zu finden sind, wofür Surtr steht oder welche Auswirkungen es hat, wenn man Manisch-depressiv ist. (Surtr steht übrigens für eine Aerosol-Nanowaffe und ist echt fies – siehe „Bodytech, S. 123.)

Das „Tabellenwerk“ enthält „nur“ die Tabellen der fünf gelben Zusatzregelwerke. Es ist ebenfalls geheftet, in Schwarz-Weiß gehalten und 71 Seiten lang. Seltsamerweise wirkt das Nachschlagewerk irgendwie uneinheitlich. Es ist nach Büchern sortiert (vorne sehr viel „Arsenal“, dann etwas weniger „Bodytech“, dann „Straßenmagie“, „Vernetzt“ und das „Runner-Kompendium“), allerdings scheint die Definition von „Tabelle“ eher uneinheitlich zu sein. So wird zwar die ganze Einkaufsliste am Ende von „Arsenal 2070“ erneut abgedruckt, aber diverse Listen in „Vernetzt“ (etwa zu Kosten von IC, zu Programmpaketen und Hackerdiensten) fehlen. Gleiches gilt für „Straßenmagie“ (Stichproben zeigen: Es fehlen die Tabellen zu Psychometrie, Entzugsmodifikatoren und mehr). Wäre das „Tabellenwerk“ nur eine Einkaufsliste, würde ich nichts sagen. Aber da es – laut Werbetext – eine Zusammenstellung aller Tabellen sein will und auch durchaus andere Tabellen für Proben und Modifikatoren enthalten sind, muss man diese Mängel doch anmerken. Da das „Tabellenwerk“ somit nicht als zuverlässig umfassend eingestuft werden darf, muss man letzten Endes doch wieder in die Einzelbände schauen. Im Wesentlichen taugt es als Übersicht für Zaubersprüche und als Einkaufsliste, wenn man „Arsenal 2070“ und „Bodytech“ nicht zu Rate ziehen möchte (und auf die Erklärungstexte der Produkte verzichten kann).

„Schattenkrieg“ ist ein 56-seitiges Schwarz-Weiß-Heft, das ein Abenteuer für den Einstieg in die Welt von „Shadowrun“ bietet. Da es für Einsteiger geschrieben wurde, enthält es viele Tipps und Tricks zum Spielen und Leiten von „Shadowrun“. Der Text ist übersichtlich gelayoutet, aber sehr klein gedruckt. Nach einer Einführung wird ein kurzer Überblick über das Abenteuer geboten. Danach werden die einzelnen Szenen durchexerziert. Im Anhang sind Informationen, die man durch Nachforschen herausbekommen kann, wichtige NSC und ein paar Handouts aufgeführt. Das Abenteuer selbst ist denkbar klassisch. Die Runner werden angeheuert, eine verschwundene Person zu finden, die ihrerseits einem Runnerteam angehörte, das eine verschwundene Person zurückholen sollte. Dabei gilt es zunächst, einige Nachforschungen anzustellen, die einmal quer durch die Schatten von Hamburg führen, und schließlich kommt es zu einem Showdown mit einigen überraschenden Wendungen. Dank der zahlreichen Hilfestellungen und der gradlinigen Storyführung eignet sich das Abenteuer in meinen Augen perfekt, um neue Spieler an „Shadowrun“ heranzuführen. Auch Gelegenheitszocker, die keine weltumspannende Verschwörung brauchen, um glücklich zu sein, kommen hier auf ihre Kosten.

Kommen wir last but not least zum Kernstück von „Schattenrüstzeug“, dem 108-seitigen Softcover „Schattenwerkzeug“. Das Cover ist farbig und zeigt einmal mehr das Seattle-Motiv, im Inneren herrscht aufgeräumtes Schwarz-Weiß-Layout vor. Das Buch enthält drei inhaltliche Komplexe, die leider zu völlig unterschiedlichen Phasen des Spielens gebraucht werden.

Um von hinten zu beginnen, wäre da zunächst das sogenannte CGHS, das Charaktergenerierungs-Hilfssystem. Das CGHS bietet etwas, das man sich schon im Grundregelwerk gewünscht hätte: Templates für den schnellen Zusammenbau von Charakteren. Es gibt Attributsets, Fertigkeitensets, Zaubersets, Ausrüstungssets und mehr, die jeweils aus einer Beschreibung, dem Inhalt selbst und den Kosten in GP bestehen. Wer also schon ziemlich genau weiß, was er spielen möchte, kann sich hier ohne viel Blätterei und Rechenkunst seinen Charakter bauen. Natürlich schränkt das die Vielfalt etwas ein, aber in meinen Augen ist Feinschliff auch immer noch nach einigen Spielsessions mit den dort erspielten Erfahrungspunkten möglich.

In der Mitte des Buchs findet sich die „Anatomie eines Shadowruns“. Hier wird zweispaltig ein Run durchexerziert. Rechts findet sich die Handlung in Erzählform, links wird die jeweils zum Einsatz kommende Spielmechanik erklärt. Für Anfänger ist es sicher hilfreich, dieses Kapitel einmal durchgelesen zu haben. Danach wird man es aber nicht mehr brauchen.

Im Spiel jederzeit und immer wieder nutzbar sind dagegen die Dinge, die sich unter „Kontakte, Abenteuer, Orte im Plex“ finden. Der Name ist hier Programm. Das Kapitel teilt sich auf in eine Sammlung nützlicher NSC (vom Basispolitiker bis zum Waffenbauer), eine Übersicht, welche Art von Abenteuer Runner so erleben könnten (inklusive praktischem Abenteuergenerator, bei dem man mit einer Handvoll Würfelwürfen ein Konzept zusammenstricken kann), sowie eine detaillierte Beschreibung der bereits oben erwähnten Schauplätze (Hotel, Dowd Street usw.), die einem helfen, besagte Orte schnell in ein Abenteuer einzubinden. Obacht: Die ersten beiden Teile dieses Kapitels (Kontakte und Abenteuer) finden sich übrigens praktisch identisch bereits im Begleitheft des einzeln zu erwerbenden Spielleiterschirms.

Fazit: Unterm Strich ist „Schattenrüstzeug“ in meinem Augen ein Produkt, das schwer zu bewerten ist. Auf das Poster und die Aufkleber kann man gut verzichten. Das „Tabellenwerk“ ist leider unvollständig und druckt im Wesentlichen Preislisten aus „Arsenal 2070“ und „Bodytech“ ab. Der Spielleiterschirm ist sicher interessant für alle, die noch keinen besitzen. Die Schauplätze (Karten und Beschreibung) sind hübsch gemacht, aber im Rahmen von Runs eigentlich nur einmal wirklich gut nutzbar. Gleiches gilt natürlich für das Abenteuer, das einem einsteigerfreundlich aufbereiteten Einzelprodukt im Wert von etwa 10 bis 12 Euro entspricht. Richtig gut finde ich den hilfreichen „Masterindex“, die Referenzbögen, das CGHS und die allgemeinen Spielhilfen im ersten Kapitel von „Schattenwerkzeug“.

Ergo: Einsteigern in die Welt von „Shadowrun“, die bislang vielleicht nur das Grundregelwerk besitzen, ist „Schattenrüstzeug“ durchaus zu empfehlen, denn es bietet viele Hilfestellungen, die den Weg in die Schatten erleichtern. Auch Veteranen, die noch keinen Spielleiterschirm (samt Begleitheft) besitzen, gerne mal ein Fertigabenteuer zocken und Spielhilfen wie NSC und Schauplätze mögen, sind mit „Schattenrüstzeug“ ganz gut bedient. Allen anderen dürfte die Box, trotz des umfangreichen Inhalts, zu wenig geben, um den Preis zu rechtfertigen.


Schattenrüstzeug Spielhilfe
Rob Boyle, Jason M. Hardy, Tobias Hamelmann u.a
Pegasus Press 2011
ISBN: 978-3-941976-09-2
Box mit Spielleiterschirm, Referenzbögen, Ortskarten, vier Heften, Poster, Aufklebern, deutsch
Preis: EUR 39,95

bei amazon.de bestellen