Sandman 3: Traumland

Der dritte Band der Gesamtausgabe von Neil Gaimans Graphic Novel um Dream, den Herrscher der Träume, und die anderen mit ihm verwandten Ewigen versammelt vier Kurzgeschichten, in denen das „Sandman“-Universum seine Eigenständigkeit auch außerhalb der zentralen Handlungsfäden eindrucksvoll unter Beweis stellt. Der Sandman selbst tritt lediglich in kurzen Gastspielen auf. Stattdessen baut Gaiman den selbst geschaffenen fiktionalen Kosmos weiter aus. Unter anderem deckt die mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Geschichte „Ein Sommernachtstraum“ die ungewöhnlichen Inspirationsquellen des gleichnamigen Shakespeare-Klassikers auf.

von Andreas Rauscher

 

Die dritte Kompilation von Neil Gaimans „Sandman“-Saga präsentiert in vier separaten, zeichnerisch gekonnt umgesetzten Erzählungen unterschiedliche Facetten des Universums der Ewigen. Das Spektrum reicht von einer sarkastischen postmodernen Parabel, über eine Fantasy-Fabel und eine nachdenkliche Reflexion über die Unsterblichkeit, bis hin zur preisgekrönten Hommage an das Shakespeare-Stück „Ein Sommernachtstraum“, das einen unerwarteten Realismusanspruch offenbart. Wie in Gaimans erfolgreichen Romanen „American Gods“ und „Anansi Boys“ kollidieren unter den Bedingungen des gegenwärtigen Alltags die unterschiedlichsten mythologischen Welten und ergeben ebenso überraschende wie faszinierende Konstellationen, die sich nicht in unverbindlicher Ironie auflösen.

In der ersten Geschichte „Kalliope“ versucht ein ausgebrannter Schriftsteller durch die sexuelle Unterwerfung und Misshandlung einer gefangenen Muse neue Inspirationen zu finden. Die Metapher des Musenkusses bekommt in Gaimans Variante einen bitteren und verstörenden Beigeschmack. Erst das Eingreifen des vor langer Zeit mit Kalliope liierten Sandman bereitet dem kurzzeitigen Erfolg des literarischen Sklaventreibers das verdiente Ende.

Auf geschickte Weise führt Gaiman in der von den zentralen Handlungslinien der Reihe eigentlich unabhängigen Geschichte mit Kalliope eine für den weiteren Verlauf der „Sandman“-Saga zentrale Figur ein. Der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins bezeichnete diese, unter Umständen sogar über mehrere Medien verstreute, Konstruktion eines fiktionalen Universums als „The Art of Worldbuilding“. Neben TV-Serien und den zunehmend komplexeren Wechselspielen zwischen Filmen und Videospielen liefern insbesondere Comic-Reihen ein prägnantes Beispiel für die Vernetzung unterschiedlicher Geschichten.

Eine Verbindung zwischen den einzelnen Comic-Bänden kann über wiederkehrende Figuren oder ein bestimmtes Setting entstehen. Dabei erscheint die Herausbildung eines in sich konsistenten narrativen Kosmos wesentlicher als die Etablierung einer durchgehenden, alle Ereignisse umfassenden Dramaturgie. Im Bereich der Superhelden-Comics von DC und Marvel bewährte sich dieses Prinzip zur Einführung verschiedener Spin-Offs und als Grundlage für verkaufsfördernde Cameos prominenter Charaktere in weniger erfolgreichen Reihen.

Im Unterschied zu den unbegrenzt ausbaubaren Endlosserien um „Spider-Man“ oder „Batman“ läuft „The Sandman“ auf ein sorgfältig vorbereitetes Finale hinaus und dennoch bietet die Saga genügend Anschlussstellen für neue Plots, die nicht von ungefähr an das „World-Building“ anderer Comic-Serien erinnern. In den Spin-Offs und Kurzgeschichten-Kompilationen können die im Haupt-Plot lediglich kurz angedeuteten Nebenstränge und Hintergrundgeschichten bestimmter Charaktere zusätzlich erforscht und vertieft werden.

Ein pointiertes Beispiel für eine eigenständige Episode innerhalb des „Sandman“-Universums, die zwar den Haupt-Plot nicht weiter bewegt, aber dennoch oder gerade deshalb zum Reichtum des fiktionalen Kosmos beiträgt, bietet die zweite Kurzgeschichte aus „Traumland“. Eine streunende Katze wird mit einer phantastischen Vergangenheit konfrontiert, in der die Vierbeiner die Menschheit beherrschten. Gaiman vermischt auf originelle Weise Fantasy-Elemente mit den Motiven einer klassischen Fabel.

Den unbestrittenen Höhepunkt der Sammlung bildet jedoch die als erster und einziger Comic mit dem World Fantasy Award prämierte Geschichte „Ein Sommernachtstraum“. Kurz nach der Veröffentlichung fand sie ihren Weg in diverse Anglistik-Seminare und gilt bis heute als Beispiel für ambitionierte postmoderne Comic-Literatur. William Shakespeare lässt sich auf einen Handel mit Dream ein, um ein wenig Unterstützung beim Verfassen seiner Dramen zu erhalten. Als Revanche verfasst er das Stück „A Midsummer Night’s Dream“, das der Herrscher der Träume als Abschiedsgeschenk für die mit ihm befreundeten, aus der realen Welt sich zurückziehenden Elfen und Geister bestellt hat.

An einem idyllischen Sommerabend sieht sich die reisende Schauspieltruppe des angehenden englischen Starautoren im Hinterland plötzlich mit einem ungewöhnlichen Publikum konfrontiert, das begierig auf die Premiere des indirekten Doku-Dramas wartet. Real gewordene Fiktion und phantastisch überhöhte Realität gehen ein ausgefallenes Wechselspiel ein, das vergleichbar den Romanen von Umberto Eco durch detailverliebte Zitate und Anspielungen eine originelle neue Perspektive auf einen altbekannten Klassiker entwirft.

Die letzte Geschichte widmet sich Dreams älterer Schwester Death, die sich während eines ihrer Jobs aus Mitleid einer in die Jahre gekommenen, vermeintlich Unsterblichen annimmt. Schwer enttäuscht muss die Dienerin eines antiken Gottes feststellen, dass der Besuch des einfühlsamen Goth-Girls nicht das herbeigesehnte Ende bedeutet, sondern dass Death nur zufällig in der Gegend war. Gaiman widmete sich kurze Zeit später ausgiebiger der wohl ungewöhnlichsten Inkarnation des Todes in der neueren Literaturgeschichte in den beiden exzellenten Spin-Off-Bänden „The High Cost of Living“ und „The Time of Your Life“. Die abschließende Geschichte aus „Traumland“ lieferte dazu den entsprechenden Probelauf.

Fazit: In „Traumland“ tritt der Haupt-Plot der „Sandman“-Saga vorübergehend in den Hintergrund, um in vier eigenständigen Kurzgeschichten einen vertiefenden Blick auf Neil Gaimans zwischen postmoderner Collage und aufgeklärter Fantasy changierendes Universum zu werfen. Allein der brillante „Sommernachtstraum“ über einen Deal zwischen Shakespeare und Dream, der in einer Theater-Premiere der etwas anderen Art resultiert, lohnt bereits die Anschaffung des Bands.


Sandman 3: Traumland
Comic
Neil Gaiman, Kelley Jones, Malcolm Jones
Panini / Vertigo 2007
ISBN: 978-3866073579
100 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

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