Rittererbe

Die Drachensteine, der Bornwald, die Rotaugensümpfe, das Totenmoor – das Eherne Schwert! All diese mystischen und mythischen Gegenden warten nur darauf, von furchtlosen Helden bereist zu werden. Dem vor 800 Jahren von den Rittern des Theaterordens eroberten Landstrich namens Bornland ist nun eine Abenteuer-Anthologie gewidmet: „Rittererbe“.

von Jorge C. Kafka

 

 

Auf 102 Seiten findet der geneigte Leser vier Abenteuer im Umfang von 16 bis 24 Seiten. Das ursprünglich vorgesehene fünfte Abenteuer „Wolfserwachen“ von Magnus Epping wird noch in diesem Jahr ungekürzt und überarbeitet als Softcoverausgabe erscheinen. Es hätte entweder den Rahmen des Bandes „Rittererbe“ gesprengt oder so sehr gekürzt werden müssen, dass diese „Verstümmelung“ keineswegs gut für das Abenteuer gewesen wäre.

Die Handlungsorte der vier Abenteuer sind tatsächlich „klassischer“ Natur – sie spielen beinahe ausnahmslos in freier, wilder Natur, in unterschiedlichen Waldregionen, aber nicht in den großen Städten des Landes. Abenteuer Nummer drei bildet im Abenteuerband 165 die umstrittene Ausnahme. Dazu aber später mehr.

„Zeichen der Vergänglichkeit“ von Kathrin Lieb führen die Spielercharaktere in die Drachensteine und den Spielleiter in seinen Vorbereitungen gleich an das Maximum der Anforderungen, die die Abenteuer in „Rittererbe“ stellen. Mit einer wunderbaren Legende, die 800 Jahre (255 BF) in der Vergangenheit ihren Ursprung hat, als Hintergrund, reisen die Helden im Auftrag des Festumer Drachenmuseums nach Neu-Drakenstein. Ein wettergegerbter Archäologe, der mehr einem aventurischen Indiana Jones ähnelt als einem weltfremden Gelehrten, erwartet von den Helden neue Brieftauben und Werkzeuge. Endlich im Dorf unter den Drachensteinen angekommen, werden die dortigen Bewohner und die Natur von merkwürdigen Ereignissen und Phänomenen heimgesucht. Aus dem Botengang für einen Entdecker wird eine Jagd nach einem verlorenen Schatz…

Da „Zeichen der Vergänglichkeit“ modular aufgebaut ist, muss es gründlich vorbereitet werden. Diese Vorbereitung lohnt sich aber in jedem Fall, denn der Konflikt zwischen den abergläubischen Dorfbewohnern und den eingeborenen Norbarden reicht tief in die Vergangenheit zurück; er birgt aber das größte Potenzial für die Atmosphäre des Abenteuers.

„Bauernfänger“ von Christina Weimann und Ingolf Karkosch kommt zunächst als sehr einfach strukturiertes Anfängerabenteuer daher. Es ist auch tatsächlich für Einsteiger auf beiden Seiten des Spielleiterschirms gedacht und ausgelegt. In dem kleinen Dorf Hollerskoje in Ostsewerin (Überwals) ist die Zeit der Zehntabgabe gekommen. Die Ernte war jedoch schlecht, die Stimmung ist es demnach auch. Nicht alle Leibeigenen des Bronnjaren können ihren Zehnt leisten. Als am nächsten Tag dann einige Leibeigenen aus dem Dorf verschwunden sind, startet eine Suchaktion.

Das Besondere und gleichzeitig auch die Herausforderung für Spielleiter und Mitspieler ist die Option, dass die Helden des Abenteuers selbst Leibeigene sind. Diese Spielweise kann eventuell selbst „DSA“-Veteranen neue und interessante Aspekte des Rollenspiels bieten. Die Linearität des Abenteuerverlaufs führt dabei zu keinen nennenswerten Einschränkungen. Wer aber lieber freie Abenteurer spielen möchte, der kann „Bauernfänger“ natürlich auch auf diesem Weg erleben. Welche Möglichkeiten und Erfahrungen ihm dabei entgehen, kann man sich problemlos denken. Für Spielergruppen, die „Das Schwarze Auge“ kennen lernen oder nur einen Abend in Aventurien verbringen möchten, ist dieses Abenteuer als „One Shot“ bestens geeignet.

Unter dem „Schleier der Unwissenheit“ verbirgt sich das einzige Stadtabenteuer des Bandes. Es ist komplex, humorvoll und düster zugleich. Die Helden begleiten darin einen emeritierten Magister von Festum nach Ouvenmas. Beinahe von Anfang an ist diese Aufgabe mit Schwierigkeiten behaftet, besitzt der exzellente Metamagier und Artefaktkundige doch nicht nur eine Insektenphobie, sondern auch ein Schleier mit einer ungewöhnlichen Eigenschaft…

Wie das erste Abenteuer bedarf es auch hier eingehender Vorbereitung. Sehr viele Nichtspielercharaktere bevölkern Ouvenmas und beschäftigen nicht nur den Spielleiter. Hier bieten sich wieder zahlreiche Gelegenheiten, die alten noch immer bestehenden Konflikte zwischen den Norbarden und den Siedlern auflodern zu lassen. Die Intrigen der Siedler im Städtchen Ouvenmas und die massiven Begehrlichkeiten bestimmter Elemente erleichtern weder die Aufgabe der Helden noch die Arbeit des Spielleiters. Mit dem richtigen Gespür für tragikomische Situationen und dem Hang zu Theatralik kann sich das anspruchsvolle Szenario zu einem denkwürdigen Abenteuer entwickeln.

Mit der „Braut des Bronnjaren“ verschwindet (erneut) eine Leibeigene. Die holde Jungfer aus dem Dörfchen Jagotin am Rande des Bornwaldes verschwindet wenige Tage vor ihrer Vermählung. Ist sie nur fortgelaufen oder wurde sie etwa entführt?

Das Abenteuer ist dicht gewirkt und linear gestrickt, birgt aber zugleich neben netten Einblicken in einen Dorfalltag und bornländische Sitten und Bräuche auch eine mystische Figur, die nicht nur interessant, sonder auch außergewöhnlich zu nennen ist. Natürlich kann die Spielergruppe an einem Abend das Geheimnis um das Verschwinden der „Braut des Bronnjaren“ lüften. Es bietet sich zusätzlich aber die Möglichkeit, wieder als Gruppe von Leibeigener in das Abenteuer zu ziehen.

Der Hardcoverband ist sorgfältig gestaltet. Er bietet auf den letzten Seiten einige Kopiervorlagen. Die Illustrationen sind vorwiegend von Florian Stitz und Sabine Weiss; sie passen ausgezeichnet zu den jeweiligen Szenen, die sie wiedergeben. Hervorstechend ist das ausgewogene und sehr stimmungsvolle Coverbild von Alan Lathwell.

Im letzten Abenteuer des Bandes zeigt sich jedoch deutlich seine negative Seite: die Unausgewogenheit. Zwei Mal verschwinden Dorfbewohner (Leibeigene), die die Helden entweder als Freie oder Leibeigene finden müssen; zwei Mal erhalten die Helden einen Auftrag, geraten auf jeder Anreise in Streit mit den Norbarden und werden dann unfreiwillig Zeugen mysteriöser Ereignisse an ihrem Zielort.

Diese doppelte Dopplung stößt natürlich nur auf, wenn man als Spielleiter auf der Suche nach Abenteuern im Bornland ist. Der Spieler selbst wird das nicht bemerken. Aber als Redakteur und Herausgeber einer Abenteuer-Anthologie sollte unbedingt auf die Ausgewogenheit, auf die Unterschiedlichkeit der Szenarien Wert gelegt werden.

Warum der Band so zusammengestellt wurde, darüber lässt sich nur spekulieren. Ebenso lässt sich nur mutmaßen, warum die zahlreichen über das Bornland hinaus bekannten mystischen Orte, wie zum Beispiel das Totenmoor, ausgespart werden. Weder die Doppelung noch die weniger geschichtsträchtigen Handlungsorte machen die einzelnen Abenteuer schlecht. Aber die Zusammenfassung in einem Band macht diese als Anthologie, also als Sammlung, langweilig.

Fazit: „Rittererbe“ ist kein vorbildlicher Abenteuerband trotz spannender und interessanter Szenarien. Er ist sowohl geeignet für Einsteiger in das System „Das Schwarze Auge“ als auch für „alte Hasen“, jedoch mit der Einschränkung, zu wenig Unterschiedliches für zu viel Geld bekommen zu haben. Vielleicht überrascht uns der Verlag ja bald mit einer weiteren Anthologie, kündigt doch Redakteur Oliver Baeck in seinem Vorwort das „Erwachen“ des urtümlichen Landstrichs Bornland an, ein mysteriöser Vorgang, der bereits irgendwo zwischen den Zeilen der vier Abenteuer verborgen liegt. Lassen wir uns überraschen.


Rittererbe (DSA-Abenteuer Nr. 165)
Abenteuersammlung
Christian Hellinger, Daniel Heßler, Ingolf Karkosch, Kathrin Lieb, Christina Weimann
Ulisses Spiele 2009
ISBN: 978-3-940424-34-1
102 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 18,00

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