Riten des Drachen

„Wäre ich ein heidnischer Barde, riefe ich eine Muse an, mich mit Leidenschaft für die Aufgabe zu erfüllen, die vor mir liegt. Ich bäte einen Gott, mir Worte in den Mund zu legen, Weisheit aus mir erschallen zu lassen wie aus einer Trompete, mich widerhallen zu lassen mit Wahrheit für das Volk.“

 

So beginnt „Riten des Drachen“, ein aufwändig gestalteter Band für „Vampire: Requiem“, welcher die Lehren von Vladislaus Dracula, dem einstigen Prinzen der Wallachei und angeblichen Gründer des Ordo Dracul, wiedergeben soll. Sehr liebevoll gestaltet, mit samtenem Umschlag und glänzender Prägung, liefert dieses Produkt was fürs Auge.

von Christian Beier

 

Der Band ist gegliedert in drei Abschnitte, welche jeweils bestimmte (Un)lebensphasen des semi-mythischen, transsylvanischen Grafen wiedergeben.

„Buch Eins: Das Buch der Toten“ beschreibt die Ereignisse, unter denen Vlad Dracul starb und sich als einer der Untoten erhob. Dabei wird bewusst recht viel im Unklaren gelassen: Dracula transkribiert in diesem Kapitel seine „Konversation“ mit Gott, welcher ihm für seine Sünden den Fluch der Unsterblichkeit auferlegt. Dracula ist in seinem Stolz entschlossen, den Gottesfluch in seine Stärke zu verwandeln und zieht als selbsternannter Gottesfeind aus, sich zunächst an den Türken – seinen Mördern – und anschließend an der gesamten Menschheit zu rächen. Dabei macht er erste Begegnungen mit anderen Kainiten (den Invictus, um genau zu sein) und zeugt ein erstes Kind (Mara, eine afrikanische Sklavin), welches sich ihm auf seinem Kreuzzug anschließt.

Dabei wird die traumatische Verwandlung zum Vampir relativ stimmig vermittelt, auch wenn Dracula offensichtlich über ausreichend Selbstdisziplin zu verfügen scheint, um sich von diesen Umständen nicht wirklich beeindrucken zu lassen. Etwas suspekt wirkt die Konversation Draculas mit Gott, besonders da in dieser letzterem Charaktermerkmale angedichtet werden, welche für die Gottesvorstellung der Zeit höchst untypisch sind (also nicht vollständig der Phantasie Draculas entspringen können) und letztendlich weil dieses Konzept bereits als Vorgeschichte für die Maskerade herhalten musste.

„Buch Zwei: Das Buch des Blutes“ setzt einige Zeit später ein, als Dracula in das heimatliche Transsylvanien zurückkehrt. In der Zwischenzeit hat er einige Zeit sowohl bei den Lancea Sancta, als auch beim Zirkel der Mutter gelebt und deren Lehren verinnerlicht, fand diese aber letztendlich ungenügend und keine Lösung für die Probleme seines Zustandes. Vlad hat sich gewandelt: Er ist nicht mehr Krieger und Monster, sondern Scholar und Philosoph und versucht von diesem Standpunkt aus seinen Fluch zu verstehen und Erlösung zu finden. Als eine Gruppe sterblicher Okkultisten in seine Burg eindringt, um ihm den Garaus zu machen, knüpft er Kontakte zu Anoushka, einem Mitglied dieser Gruppe, welche bereit ist, ihm Verständnis entgegenzubringen und ihm bei der Bewältigung des Fluches zu helfen. Doch Mara, die sich innerhalb der Jahre zusehends von ihrem menschlichen Wesen entfremdet hat, verfolgt andere Pläne und macht Anoushka zu einer der Untoten.

Die Beschreibungen der anderen vampirischen Gruppen in diesem Kapitel sind stimmig und geheimnisvoll und die Entwicklung von Draculas philosophischen Konzepten ist anspruchsvoll und durchdacht. Der Höhepunkt des Kapitels ist zweifelsohne das nervenaufreibende Psychoduell zwischen Dracula und den Okkultisten auf seiner Burg, welches mit steigendem Risiko für beide Seiten einhergeht und gleichzeitig den gegenseitigen Respekt zwischen Vlad und Anoushka zementiert.

„Buch Drei: Das Buch des Tempels“ beginnt abermals mit der Rückkehr Draculas nach Transylvanien – diesmal aus der gelehrten Welt von Paris, aus der er Lisette, eine junge Klosterschülerin, als sein Kind und seine Geliebte mitbringt. Viel Ruhe bleibt ihm jedoch nicht auf Burg Dracula, da bald darauf Mara in Begleitung zahlreicher anderer Vampire aus Prag zurückkehrt. Diese haben vom Ruhm Draculas erfahren und wollen als seine Schüler in den Mysterien unterwiesen werden. Dies zwingt ihn dazu, sich näher damit zu beschäftigen, wie er seinen Orden als Gruppe organisieren und welche Standards er von deren Mitgliedern fordern möchte. Um sich über diese Fragen klar zu werden, führt er ein längeres Gespräch mit Mara, Anoushka und Lisette. Aus dem Konsens ihrer verschiedenen Auffassungen bildet sich der Kodex des Ordens heraus. Letztendlich gibt Vlad seinen drei Kindern verschiedene Ämter für die Führung des Ordens, um sich allein den Mysterien widmen zu können.

Fazit: „Riten des Drachen“ präsentiert eine stimmige Geschichte in einer ansprechenden Verpackung. Die Illustrationen des Bandes sind, wenn auch keine Kunstwerke, gelungen. Das Verhältnis von Text und Bild ist passabel und auf jedem Fall besser als in ähnlichen Produkten (z. B. „Das Buch Nod“), wo oft nur wenige Zeilen Text auf einer Seite zu finden waren. Trotzdem gibt es einige Seiten, die sehr leer wirken, weil sie etwa nur halb beschrieben sind und keinerlei optische „Lückenfüller“ eingebaut wurden.

Was man bekommt ist also eine schöne Geschichte in optisch ansprechender Verpackung. Für die Lektüre ist diese sicherlich interessant, jedoch liefert das Buch keine Ansätze zur Verwendung des Buches im Spiel und auch erfahrene Erzähler werden sich fragen, was sie mit dem Inhalt genau anfangen sollen. Als Handout lässt sich das Buch bei entsprechender Vorbereitung maximal einmal verwenden, bevor das Ganze abgedroschen wirkt. Mehr als einen Lektüreband im schönen Design und mit begrenztem Spielpotential sollte man also von diesem Produkt nicht erwarten.


Riten des Drachen
Quellenbuch
Greg Stolze
Feder&Schwert 2005
ISBN: 3-937255-44-3
120 Seiten, Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,95

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