Relic

Wenn es jemals so etwas wie industrielle Brettspielproduktion gegeben hat, wird sie von Fantasy Flight Games betrieben. Die Macher um Christian T. Petersen haben im Laufe der Jahre nicht nur große Lizenzen wie „Warhammer 40.000“, „World of Warcraft“ und jüngst „Star Wars“ auf den Spieltisch gebracht, sie haben mit „Arkham Horror“, „Runebound“ und „Android“ auch eigene Spiel-Universen begründet und zahlreichen Klassikern („Cosmic Encounter“, „DungeonQuest“, „Talisman“) zu neuem Glanz verholfen. „Relic“ nun ist ein Hybrid. Es verbindet das Universum von „Warhammer 40.000“ mit dem Spielprinzip von „Talisman“. Ob das funktioniert?

von Frank Stein

Genau wie „Talisman“ ist „Relic“ ein Abenteuerspiel – statt für 2 bis 6 nur für 2 bis 4 Spieler – und verbindet Rollenspiel- und Brettspiel-Elemente. Die Spieler führen einen von 10 Charakteren, vom brachialen Captain der Ultramarines bis hin zum gewieften Freihändler, die allesamt spezielle Vor- und Nachteile aufweisen. Um eines der fünf Szenarien zu gewinnen, die durch je eine Szenariokarte in der Mitte des Spielbretts beschrieben werden, reisen sie durchs düstere Universum von „Warhammer 40.000“ (genauer: den Antian-Sektor), bekämpfen Xenos, erforschen Orte des Chaos und sammeln dabei Ausrüstung, Begleiter und Erfahrung, die sie immer stärker machen – denn nur wer gut gerüstet ist, vermag die ultimative Herausforderung zu meistern.

Die Aufmachung

„Relic“ kommt im hübschen Standard-Format-Spielkarton daher, dessen Cover einen kampfbereiten Space Marine zeigt. Bereits hier wird zwischen düsterem Grau-Braun und kränklich wirkenden Spektralfarben der Tonfall des Spiels farblich gesetzt. Auch das große Spielbrett, das unter anderem die Fabrikwelt Telios V, die Makropolwelt Vaulgast, die Verheerten Regionen und den Zwielichtrand zeigt, passt dazu. Das Artwork ist düster und brachial, die Farben ein Kaleidoskop des Chaos. Leider sind viele Felder recht kontrastarm, sodass man die tollen Motive nicht so gut erkennen kann, wie es wohl möglich gewesen wäre. Außerdem verlaufen Risse an den Stellen durch die Bilder, wo die Karte gefaltet wird (und, nein, das ist nicht bei allen Brettspielen so).

Auch die Illustrationen auf den zahllosen Spielkarten sind teilweise von phänomenaler Qualität. Eine Schande, dass sie meist nur Briefmarkengröße haben und daher nicht sehr gut erkennbar sind (diese Miniatur-Spielkarten von 4*6,5 cm, die sich FFG vor Jahren mal angewöhnt hat, um bei ihren materiallastigen Produkten Papier zu sparen, sind irgendwie eine Unart und nichts für Leute mit Sehschwäche). Sehr übersichtlich ist dagegen das Regelwerk ausgefallen, dass bis auf zwei, drei Kleinigkeiten gut ins Spiel einführt und auch alle Fragen beantwortet.

Etwas gemischt sind die zehn Büsten der Charaktere zu bewerten. Während der Guss echt gut und sehr detailreich ist, passen die vier farbigen Ständer, die man darunter steckt, leider gar nicht. Man muss sehr viel Gewalt einsetzen, um sie zu befestigen – und selbst dann fallen Ständer und Figur manchmal noch auseinander. Unterm Strich mag hier einiges eher kritisch klingen, tatsächlich stört man sich während des Spiels allerdings kaum an diesen Dingen. Alles in allem ist das Spielmaterial durchaus sehr hübsch zu nennen.

Das Spiel

„Relic“ ist für 2 bis 4 Spieler ausgelegt. Spielziel ist es, als erster Spieler das jeweilige Szenarioziel in der Mitte des Spielbretts zu erreichen und zu erfüllen. Dazu reisen die Charaktere der Spieler in den drei ringförmig angeordneten und über Spezialfelder verbundenen Sphären umher, der Äußeren, Mittleren und Inneren Sphäre, wobei mit jeder Sphäre der Schwierigkeitsgrad der Herausforderungen zunimmt.

Ein Spieler, der am Zug ist, würfelt zunächst seine Bewegung aus und begibt sich dann gemäß der erwürfelten Augenzahl auf ein Feld zur Linken oder zur Rechten. Was er dort erlebt, wird durch den Spieltext beziehungsweise die Farbsiegel des Feldes bestimmt. Einerseits existieren Orte mit besonderer Bedeutung, etwa die Zuflucht von St. Antias oder die Schlachtflotte Antias, wo die Spieler heilen und Gegenstände kaufen können. Andererseits wird man oft dazu aufgefordert, Gefahrenkarten zu ziehen und sogenannte Begegnungen zu durchleben. Gefahrenkarten gibt es in drei Farben – passend zu den drei Eigenschaften der Charaktere (Stärke, Wille, Scharfsinn) –, die sich auch thematisch etwas unterscheiden. Rote Gefahrenkarten, zu denen Gegner, Ereignisse, Begegnungen oder Vorteile zählen können, drehen sich vor allem um Orks, blaue um Tyraniden und gelbe um Eldar.

Während Ereignisse und Begegnungen oft Eigenschaftsproben verlangen, die durch das Werfen eines 6-seitigen Würfels und dem Addieren des passenden Eigenschaftswerts abgehandelt werden, müssen Gegner im Gefecht bezwungen werden. Sowohl für Eigenschaftsproben als auch Gefechtswürfe gibt es hilfreiche Ausrüstung, die Boni verleiht. Zudem kann man Kraftkarten einsetzen, die entweder einen Effekt oder ein fixes Würfelergebnis bieten. Besiegte Gegner werden zu Trophäen, die man gegen Stufen eintauschen kann, die den Charakter verstärken (man kennt diese Art von Levelaufstieg vom Rollenspiel). Außerdem bieten bezwungene Feinde Einfluss, für den man Ausrüstung kaufen kann, und andere Belohnungen.

Doch die Reisen durch die Äußere und Mittlere Sphäre verlaufen nicht völlig willkürlich. Jeder Spieler hat stattdessen immer eine Mission, die es zu erfüllen gibt. Manchmal muss man auf das Feld eines Mitspielers gelangen, manchmal eine bestimmte Monsterart besiegen, usw. Hat man drei Mission geschafft, kann man diese gegen eine Reliquie eintauschen, die – so wie die „Talisman“-Karte bei „Talisman“ – den Schlüssel zur Inneren Sphäre darstellt. Hat ein Charakter also eine Reliquie und genug Macht angesammelt, so kann er es wagen, in die Innere Region des Spielfeldes vorzustoßen. Dort warten besonders große Herausforderungen auf ihn, zudem kann er sich jeweils nur ein Feld pro Runde bewegen, während er sich langsam aufs Spielziel und womöglich den Sieg zukämpft.

Fazit: Zum 30-jährigen Geburtstag von „Talisman“ wird mit „Relic“ eine hübsche Alternative auf den Markt gebracht. Der Spielmechanismus ist etwas komplexer als das Grundspiel von „Talisman“, denn es gibt 3 statt 2 Eigenschaften, es sind die Missionen dazugekommen und variable Szenarios ersetzen das festgelegte Endgame. Außerdem hemmt Verderbnis – ein typisches „Warhammer 40.000“-Element – in Kartenform die Charaktere. Dafür wurden auf die Gesinnungen und Spieler-gegen-Spieler-Kämpfe verzichtet (schließlich dienen wir alle dem Imperator). Ansonsten ist vieles praktisch identisch, nur die Bezeichnungen unterscheiden sich. Somit richtet sich „Relic“ weniger an „Talisman“-Spieler, als an „Warhammer 40.000“-Fans beziehungsweise an Freunde von Science-Fiction-Spielen, die hier einen schönen Vertreter der „rollenspielähnlichen“ Brettspiele erhalten, in denen Herumreisen, Abenteuer erleben, Aufsteigen und Endgegner bezwingen gefragt ist.


Relic
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler
John Goodenough, Robert Harris („Talisman“)
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2013
EAN: 4015566012868
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 39,95

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