Promethean: The Created

"Promethean", das neue in der "Welt der Dunkelheit" angesiedelte Rollenspiel aus dem Hause White Wolf, verspricht frische Ideen. Es ist kein Aufguss einer alten Reihe, sondern es geht um bisher unbekannte Wesen, nämlich "erschaffene" Monster wie die Kreatur Frankensteins oder Rabbi Loews Golem, die in der Gesellschaft der Menschen verzweifelt einen Platz suchen.

von amel

Als solches klingt das nicht wirklich neu, ist dieses Thema doch schon stark bei "Vampire" vertreten. Auch die Vorschau auf der White-Wolf-Homepage (www.white-wolf.com/promethean) verspricht nur die Anwendung alter Formeln auf neue Wesen. Es gibt die üblichen fünf "Splats" (wie die Clans bei "Vampire"), die üblichen fünf Gruppierungen (vergleichbar mit den vampirischen "Covenants"), Sonderfertigkeiten nach Punkten geordnet, Menschlichkeit, usw. Und doch bietet "Prometheans" mehr Neues als man zunächst annehmen mag.

"Promethean" ist eine limitierte Reihe. Ich habe keine offizielle Ankündigung dazu gefunden, aber aus Kommentaren von White-Wolf-Mitarbeitern in Foren geht klar hervor, dass es nur eine begrenzte Zahl an Büchern geben wird. Die Marketing-Magier von White Wolf scheinen die Fünf zur heiligen Zahl erkoren zu haben und so wird "Promethean" wohl auf fünf Bücher beschränkt werden (im Gegensatz zum für nächstes Jahr angekündigten "Scion", das nur drei Büchern umfassen wird). Eine gute Entscheidung, wie ich finde, denn nur eine Limitierung einer Reihe auf ein paar Bücher erlaubt es, ein hoch fokussiertes Spiel wie "Promethean" zu veröffentlichen. Dieser Fokus auf ein bestimmtes Thema ist auch gleichzeitig die größte Stärke von "Promethean", doch dazu später mehr.

Das Buch bildet optisch für mich den bisherigen Höhepunkt der Reihe. Das helle Cover mit dem Schriftzug und dem Gesicht/Schädel in der Mitte ist das bisher Gelungenste und auch die Innengestaltung ist großartig. Als Farbe wurde ein blasses Lila gewählt und so sind alle Bilder und Überschriften in diesem Farbton gehalten. Lila klingt furchtbar, ich weiß, aber unterstreicht das Design hervorragend, ohne aufdringlich zu sein. Die ganzseitigen Bilder vor jedem Kapitel sind in dünnen Linien auf die Seiten gehaucht und selbst die seltenen schwarzen Flächen wirken als ob sie aus einem Geisterreich kommen, um ins Nichts zu zerfasern. Interessierte können die Promo-Datei  (Ausschnitte aus dem Buch) und das Demo-Abenteuer (mit Kurzregeln) von der Homepage des Verlages herunterladen. Sie geben einen guten Eindruck von der Grafik und einen weniger guten vom Inhalt des Spiels.

Der wichtigste Teil der Einleitung ist das Glossar. Zwischen all den "Transmutations", den "Bestowments" und all dem "Azoth", "Pyros" und "Vitriol" kann man schon mal den Überblick verlieren.

Das erste Kapitel beleuchtet den körperlichen und psychischen Zustand der Prometheans von allen Seiten. Die "Created" wurden, wie der Name schon sagt, gebaut und nicht geboren: Leichenteile, die auseinandergerissen und wieder zusammengesetzt wurden, um mit göttlichem Feuer, dem "Pyros", belebt zu werden. Daher kommt auch der Name der Wesen, vom göttlichen Feuer, das Prometheus gestohlen und den Menschen gegeben hat. Er wurde hart dafür bestraft, so wie die Prometheans mit ihrem Dasein bestraft sind. Das Kapitel ist angereichert mit Beispielen, die die Lektüre spannend machen, ist aber etwas zu ausführlich.

Eigentlich ist alles altbekannt: Die Prometheans sind Wesen, die gern Menschen wären, es aber nicht sind, und ihr Leben ist ach so fürchterlich trotz all der Superkräfte und der Langlebigkeit. Der Unterschied ist, dass diese Prämisse im Gegensatz zum gleichen Ansatz bei "Vampire" aufgrund des Hintergrunds (und der Regeln, wie sich später noch zeigen wird) durchaus funktionieren kann. Wir bekommen ein Spiel mit einem starken Fokus auf genau dieses Thema. Die Natur selbst rebelliert gegen die Prometheans. Auch wenn sie meist wie normale Menschen aussehen, spüren diese die Unnatürlichkeit der gebauten Wesen und reagieren mit Hass und Angst. Lynchversuche, die sich anschließend niemand erklären kann, grundlose Beschimpfungen und Angriffe sind für den Promethean an der Tagesordnung. Noch schlimmer: Bleibt er lange an einem Ort, vergiftet er mit seiner bloßen Anwesenheit die Natur. Sie wird ansteckend, tödlich und schließlich zu einer Wüste.

Kapitel zwei, "Characters", erklärt dem Leser die Charaktererschaffung und die dazugehörigen Fertigkeiten und Hintergründe. Hier gibt es wenig Überraschungen für den eingefleischten "World of Darkness"-Fan. Zunächst wird ein Mensch nach Grundregelwerk erschaffen; die speziellen Promethean-Eigenschaften folgen. Es gibt fünf "Lineages", deren Bandbreite von den Nachfolgern von Frankensteins Monster bis zu Toten reicht, die auf schamanistischem Weg wieder zum Leben erweckt wurden. Fünf "Refinements" (sechs, wenn man die Bösen mitzählt) verkörpern die Lebensphilosophie des Monsters. Letzere unterscheiden sich angenehm von den anderen Gruppierungen dieser Art in den anderen Reihen, da man sie beliebig wechseln kann und sie auch sonst mehr Einfluss auf den Promethean haben als üblich. Für ein philosophisches Spiel dieser Art völlig überzogen ist die Anzahl an "Transmutations", den Superkräften der "Created". Es gibt zehn Gruppen an verschiedenen Fertigkeiten und pro Punkt fast immer gleich mehrere Kräfte.

Es gibt Vor- und Nachteile – hauptsächlich Nachteile –, ein erschaffenes Wesen zu sein, so beschreibt uns Kapitel drei "The Promethean Condition". Hier wird sehr genau auf "Disquiet" und "Torment" eingegangen und auch auf den Einfluss der erschaffenen Monster auf die Natur, einschließlich Regeln natürlich. Es ist erfreulich anzusehen, dass es ausnahmsweise mal wirkliche Nachteile mit sich bringt, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, denn sonst hätte ja niemand Interesse, diesen Zustand zu ändern. Die Regeln sind gut gelungen und unterstreichen das Thema ausgezeichnet.

Aber noch wichtiger für das Verständnis des Spiels ist das Spielleiterkapitel "Storytelling and Antagonists". Gleich zu Beginn wird sehr ausführlich der Umgang mit "Milestones" erklärt. "Milestones" sind wichtige Punkte auf der Pilgerfahrt zum Menschwerden des Prometheans. Der Spielleiter legt für den Spieler bedeutende Punkte und Ziele fest und wenn dieser sie erreicht, erhält er "Vitriol" (das auch als Erfahrungspunkte ausgegeben werden kann) und ist einen kleinen Schritt weitergekommen. Wie dieses System funktionieren soll, wird sehr ausführlich und anschaulich dargestellt – so anschaulich, dass man fast den Eindruck bekommen könnte, dass das System funktioniert. Die herkulische Aufgabe zu erahnen, was den Spielern im Spiel wichtig genug ist, dass sie es gern auf ihrer Pilgerfahrt erleben würden, ist für den Spielleiter aber wohl nur schwerlich zu meistern. Kennt sich die Gruppe lang genug und ist der Spielleiter außerordentlich einfühlend, gebe ich dem System eine Chance, es kann aber eine Spieltechnik, die die Meilensteine durch Kommunikation zwischen Spielleiter und Spieler ermittelt, unmöglich ersetzen. Der Tipp, man solle Spieler-Feedback in die Geschichte einarbeiten, steht unter "Advanced Concepts". Mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden.

Die übrigen Konzepte und die Gegner-Beschreibungen bieten zwar wenig wirklich Neues, geben der Welt aber Farbe. Es gibt einen kurzen Eintrag über Prometheans, die aus Atomkraft entstanden sind, ein "Refinement" von Bösewichtern, die das Chaos nutzen und verbreiten wollen und spieltechnisch interessante Manifestationen von "Pyros".

Im Anhang befindet sich der erste Teil eines Abenteuers, das über die Quellenbücher fortgesetzt werden soll. Dieser Teil spielt in Chicago. Die anderen Teile werden in anderen bereits mit Quellenbüchern versehenen Städten angesiedelt sein.

Fazit: "Promethean: The Created" ist ein sehr stimmungsvolles Spiel, das endlich einmal versucht das einzulösen, was die Welt der Dunkelheit seit ihrer Erfindung verspricht, aber selten geliefert hat: die Möglichkeit zur tiefgründigen Charakterdarstellung von Wesen, die verzweifelt versuchen, Mensch zu werden. Die Zutaten sind dafür größtenteils vorhanden, auch wenn White Wolf ein weiteres Mal den unverzeihlichen Fehler begeht, die komplette Verantwortung für ein Gelingen des Spiels auf die Schultern des Spielleiters zu laden. Wie schön wären doch ein paar Spiellanleitungen gewesen, die vom üblichen Schema "Der Spielleiter denkt sich eine Geschichte aus, der die Spieler wohl oder übel folgen müssen" abweichen ...

Wem das theatralische Selbstmitleidsgehabe einiger Vampire auf den Geist geht, wird an "Promethean" vermutlich wenig Freude haben. Wer aber Interesse an einer rollenspielerischen Abwechslung und Herausforderung hat, bekommt die Möglichkeit, eine gut fokussierte, extrem stimmungs- und anspruchsvolle Kampagne mit einem echten Ende zu erleben.


Promethean: The Created
Grundregelwerk
Bill Bridges, Justin Achilli, Alan Alexander u. a.
White Wolf 2006
ISBN: 158846606X
288 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 34,99

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