Primetime Adventures

Neben dem "klassischen Rollenspiel", womit meist die bekannten Spiele wie "D&D", "Shadowrun" oder "Warhammer FRPG" gemeint sind, gibt es auch die bunte Szene der "Indie-RPGs", welche die bereits häufig beschrittenen Pfade verlassen und mit ganz neuen Spielkonzepten aufwarten. Diese müssen nicht immer gefallen, interessant sind sie allemal. So habe ich mir, nach einem ersten Kontakt auf einem Rollenspielertreffen, mal ein bekannteres "Indie-RPG" zukommen lassen – nämlich "Primetime Adventures"! Play the greatest TV Show that never was.

von Nicolas Hohmann

 

Nun, ich gehöre ja doch eher zu der Sorte Spielleiter, welche Oldschool lieben und sich gerne mit kleinen Totenköpfen auf dem Sichtschirm mit den in Abenteuern erlegten SC brüsten. Mag man gar nicht meinen, wenn man bedenkt, dass ich hier sehr oft "World of Darkness"-Bücher rezensiere, aber dem ist so, und jeder hat so einen Hang zum Masochismus. So war ich auch zunächst skeptisch, als ich auf einem Rollenspielertreffen zu einer Runde "Primetime Adventures" eingeladen wurde, einem Spiel mit verteiltem Erzählrecht, nur wenig Einfluss durch den Spielleiter und dem Fokus auf Konflikten in den einzelnen Szenen einer TV-Serie. Eine sehr entspannte, sehr lockere und assoziative Runde, sodass wenig später das Regelwerk von mir bestellt wurde.

Daher kommt es als Softcover im DIN-A5-Format mit 106 Schwarz-Weiß-Seiten sowie einigen schwarz-weißen Abbildungen. Das Cover ist sehr simpel gehalten. Es kommt aus dem Hause "Dog-Eared Designes", ansässig in den USA und so musste es auch dort bestellt werden – insgesamt habe ich 20 Euro inklusive Versand bezahlt. Teuer, da bekommt man für das gleiche Geld von professionellen Verlagen mehr. Es gibt wohl auch eine pdf-Version, welche man sich für 15 $ herunterladen kann. Layouttechnisch und von den Innenabbildungen her hat man sehr sauber gearbeitet – vor allen Dingen die Bilder sind besser als so manche "Mage: The Awakening"-Abbildung.

Worum geht es in dem Spiel? Es geht darum, eine TV-Serie zu erschaffen und mit all ihrem Drama nachzuspielen. Die Betonung des Spiels liegt hier wirklich auf der Dramaturgie. Man konzentriert sich nicht darauf, wie bei "D&D" beispielsweise einen Erzbösewicht mit seinen Schergen zu besiegen, wobei das System einem dann als Werkzeug zur Ermittlung des Kampfergebnisses dient. Sicher wird es in jeder guten TV-Serie auch eine Nemesis der Charaktere geben, vielleicht auch mit Schergen. Aber der Fokus liegt auf der Frage, warum die Charaktere gegen ihn kämpfen, welche Entscheidungen ihnen im Laufe der Handlung abgerungen werden und warum sie so handeln. Dafür wird hier ein System geliefert. Ob ein Charakter stirbt, der Bösewicht schwer verletzt wird oder das magische Schwert zerbricht, liegt im Ermessen aller Mitspieler und der für die Fortentwicklung der Handlung für nötig befundenen Dramatik. Ich habe hier bewusst Fantasy als Thema gewählt, um den Vergleich mit "D&D" zu ermöglichen. Mit "Primetime Adventures" ist natürlich jedes Setting, was sich die Teilnehmer ausdenken können, möglich. Ihr wollt "Desperate Housewives" spielen? Nur zu! SF à la "Battlestar Galactica"? Klar. Monsterjäger im Sinne von "Buffy"? Arztserie im Stile von "Emergency Room"? Mystery wie die "X-Files"? Alles machbar.

Nachdem einem das Buch also gute Ideen über die Möglichkeiten, Serien zu erschaffen, gegeben hat, geht es ans Eingemachte, nämlich die Serie ein wenig zu planen. Zunächst einigt man sich natürlich auf Atmosphäre, Setting und Länge der Serie. Hier kann man zwischen 5 und 9 Folgen wählen, wobei jede Folge einem Spielabend entsprechen soll. Ein Spieler wird zum Produzenten (SL) auserkoren, die anderen erschaffen ihre Protagonisten. Dies ist schnell erledigt, zumindest von den Spielparametern her; mangelnde Phantasie kann ein solches Spiel nicht ersetzen. Man bestimmt Name und Konzept, zwei "Issues" (also Ziele des Charakters) und ein "Personal Set", das mit dem Charakter assoziiert wird. Weiterhin wählt man entweder zwei "Edges" und einen Kontakt oder andersherum. Wichtig ist auch die "Screen Presence" des Protagonisten, welche die Häufigkeit des Auftretens und den Impact des Charakters auf die Folge bestimmt. Man hat einen Pool von Zahlen zwischen 1 und 3 und verteilt diese auf die einzelnen Folgen. Schon ein Anhaltspunkt, was passieren wird, denn Folgen mit hoher "Screen Presence" der Charaktere neigen zu starkem Fokus auf die persönlichen Entwicklungen der Protagonisten, niedrige "Screen Presence" aller Protagonisten wird eher die Handlung voranbringen.

Wie spielt sich das Spiel? Die Serie ist bestimmt, alle Protagonisten erschaffen, Zeit für die Pilotfolge! Alle Spieler sitzen um den Tisch herum und nun wird einer eine Szene erschaffen. Die erste Szene, sozusagen der Vorspann, wird meist vom Produzenten vorgegeben, um den Spielern einen Anhaltspunkt zu geben und die Sache ins Rollen zu bringen, aber normalerweise erschaffen die Spieler reihum die Szenen. Hierzu bestimmt man zunächst den Fokus der Szene, wird sie eine persönliche Entwicklung bringen oder die Handlung vorantreiben? Nebst Fokus wird noch eine Agenda angegeben, also wer anwesend ist und was erreichen will, sowie ein Ort, also wo das Ganze stattfindet.

Beispielsweise sagt Susanne, die Spielerin von Xargak, eine Szene an: "Die Szene geht um persönliche Entwicklung. Trübmont der Meisternekromant und sein Schüler Xargak sind auf dem Friedhof auf der Suche nach dem Amulett von Sartan. Er will ihm nun seine Verlobung mit Sonja Tausendglitter gestehen, die Trübmont nicht gutheißen wird." Nun beginnt das Erzählen respektive Ausspielen durch alle Beteiligten in der Szene. Wobei natürlich alle anwesenden Spieler ihre Ideen über die Entwicklung der Szene vorschlagen können und irgendwie gelangt man rasch zu einem Konsenz, wie sich die Szene entwickelt. Schnell steuert man auf einen Konflikt zu, der eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung abverlangt. Im genannten Beispiel kommt es schnell zu folgendem Konflikt: Wird Xargak den gestrengen Worten seines Meisters standhalten, ihm offen widersprechen und sich zu seiner Liebe bekennen oder lässt er sich einschüchtern und schwört seinem Meister, die Bindung zu Sonja zu lösen?

Die Entscheidung findet durch eine Art Voting statt. Die Spielerin von Xargak wird eine gewisse Idee haben, in welche Richtung sie ihren Protagonisten gehen sehen möchte. Der Produzent ebenfalls und so nimmt man meist gegensätzliche Positionen ein. Der Produzent kann nun bis zu fünf Karten aus seinem Budget für die Folge entnehmen. Die Spieler anwesender Protagonisten erhalten eine Anzahl an Karten entsprechend der "Screen Presence". Zusätzlich gibt der Einsatz eines Traits, falls erklärbar, eine weitere Karte und man kann "Fanpost" einsetzen. Spieler nicht-anwesender Protagonisten sind auf den Einsatz von Fanpost beschränkt. Jeder wählt also eine Seite und wirft seine Karten in den Pool, jede rote Karte gibt einen Punkt. Wer am meisten Punkte hat, entscheidet die Richtung, in die es geht. Danach geht es zur nächsten Szene über.

Das ist eigentlich im Groben das ganze Spielprinzip von "Primetime Adventures", wobei es natürlich noch diverse Kleinigkeiten und Details gibt und das Buch auch viele gute Tipps für die Erschaffung einer Serie und einer Folge sowie der Rolle von Spieler und Produzent in dem Spiel gibt. Die 100 Seiten sind sicherlich nicht verschwendet.

Fazit: "Primetime Adventures" liefert ein ganz anders Spielkonzept und somit auch -gefühl, als man es üblicherweise gewöhnt ist. Mir hat die freie und assoziative Komponente sehr gefallen, insgesamt ist es sehr kurzweilig. Dadurch, dass die Spielleitung nur moderative Funktion hat und ein bisschen das Fundament legen muss, ist es wenig vorbereitungsintensiv. Ein weiterer Pluspunkt. Doch cave! Zum einen ist das Spiel nicht für jeden geeignet: Spielern, die glücklich damit sind, der Geschichte zu folgen oder Monster zu dreschen ohne sich selbst die Geschichte ausdenken zu müssen, könnte es keinen Spaß machen. Zum anderen mangelt es im Spiel an Herausforderungen: Jene unter uns, die gerne schwere taktische Entscheidungen treffen und Spaß an der Gefahr des Verlierens haben, könnten auch eine Enttäuschung erleben. Wer bereit ist 15 oder 20 $ auszugeben und probierfreudig ist, könnte am innovativen Mechanismus von "Primetime Adventures" – oder gar an Indie-Rollenspielen insgesamt – kleben bleiben, den anderen (wie mir) bleibt eine gute Erinnerung an eine spaßige Runde und ein weiteres Buch im Regal. Und das ist doch auch was.

Primetime Adventures Grundregelwerk Matt Wilson Dog Eared Designes 2006 ISBN: n.a. 108 S., Softcover, englisch Preis: $ 20 bei dog-eared-designs.com bestellen

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