Point Blank

Manch einer mag bei „Point Blank“ an einen grimmigen Kriminalfilm aus den 1960er Jahren denken, mit Lee Marvin in der Hauptrolle. Manch anderer mag auch wissen, dass der Begriff das Abfeuern einer Waffe aus nächster Nähe bezeichnet. Beides passt zum eben so betitelten Comicwerk von Texter Ed Brubaker und Zeichner Colin Wilson, einer grimmigen Kriminalgeschichte, die sich zentral um die Frage dreht, warum einer Person aus nächster Nähe in den Kopf geschossen wurde. Na und dann sind auch noch Superhelden mit Elastan-Anzügen und ohne solche beteiligt.

von Simon Ofenloch

 

Ex-Geheimkommando-Soldat Cole Cash will nur ein paar Bier mit seinem alten Kameraden John Lynch trinken. Doch Lynch kommt nicht. Lynch liegt auf der Straße in seinem eigenen Blut, nicht tot, aber fast. Auf der Suche nach dem Schützen stößt Cole auf den Superverbrecher Tao und dessen mächtige Geheimorganisation, die in allerlei üble Machenschaften, von Drogenhandel bis Weltpolitik, verwickelt ist. In einem Strudel aus Geheimnissen, Lügen, Manipulation und Gewalt trifft Cole zudem Holden Carver, einen wichtigen Mann in den Rängen von Taos Schattenimperium. Einen Mann, der zwei Gesichter zu haben scheint.

„Point Blank“, das ist – wenn auch als eigenständige Bildergeschichte präsentiert, mit einem „Ende“ im letzten Panel – der Auftakt zu einer umfangreicheren Mini-Serie von Autor Ed Brubaker, nämlich „Sleeper“, gezeichnet von Sean Phillips. Für „Point Blank“ hat diesen Job der Neuseeländer Colin Wilson übernommen.

„Point Blank“, das ist vor allem die Geschichte von Cole Cash. Aus seiner Perspektive werden die Geheimnisse um das Attentat auf Lynch gelüftet – um nur wieder neue Rätsel zu enthüllen. Bis zum bitteren Ende. Den Weg dorthin pflastern einige Leichen, denn Cole ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, Gegner zum Reden zu bringen oder einen vorbeugenden Erstschlag auszuführen. Wer sich auf den Comic einlässt, bekommt Gewalt und Action satt. Aber auch eine raffinierte, originell verschachtelte Erzählstruktur, einen spannenden Handlungsverlauf, lakonische Texte und Dialoge – auch in gelungener deutscher Übersetzung – sowie detailreiche Zeichnungen in packenden, lebendigen Bildkompositionen.    

Und vor allem Hintergrundinformationen, die zum Verständnis von „Sleeper“ zwar nicht zwingend notwendig sind, aber dennoch bereichernd. Hilfreich ist dabei auch der dem Comic hintangestellte Artikel von Jochen Ecke, der fachkundig das besondere „Wildstorm“-Universum und dessen Einfluss auf das Genre des amerikanischen Superhelden-Comics beschreibt. Auch wenn „Point Blank“ als eigenständiges Werk ohne Vorwissen goutiert werden kann, ist es zweifellos dienlich, sich im „Wildstorm“-Universum ein wenig auszukennen. Denn diesem Superhelden-Kosmos hat Ed Brubaker einige seiner Charaktere entnommen, so Überschurke Tao, John Lynch oder eben Cole Cash, ehedem bekannter als maskierter Superheld „Grifter“. Elastan-Jünger finden sich auch in „Point Blank“, vor allem in den Bars „Domino“ und – bedeutungsschwanger – „St. Christopher’s“.  

Jochen Eckes Artikel folgen noch einige wenige Skizzen, Zeichnungen, Charakterentwürfe.

Fazit: „Point Blank“, das ist die direkte Vorgeschichte zu Ed Brubakers Mini-Serie „Sleeper“. Ebenso außergewöhnlich, ebenso lesenswert. Auch für sich allein genommen ein Meisterwerk.


Point Blank
Comic
Ed Brubaker, Colin Wilson
Cross Cult 2008
ISBN: 978-3-936480-70-2
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,80

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