Player’s Strategy Guide (v.4.0)

Ein in der Computerspielbranche beliebter Titel hat es in den Pen&Paper-Bereich des Rollenspiels geschafft: die Strategiehilfe in Buchform. Unter diesem Aspekt geht der aktuelle „Player’s Strategy Guide“ für die 4. Edition von „Dungeons & Dragons“ (oder kurz „4E“) neue Wege und erklärt Spielern, wie sie ihre Charaktere optimal generieren und in der Kampagnenwelt einsetzen.

von Stefan Koller

 

Auch wenn sich der „Player’s Strategy Guide“ (wie eben suggeriert) an den gängigen MMO-Strategiehilfen orientiert, sei gleich vorweg gesagt: dies gilt primär äußerlich. Im Inneren findet der Leser Texte und Hinweise, die man so aus dem digitalen „Dragon“-Magazin wie auch den älteren „D&D for Dummies“-Büchern schon kennt. Prinzipiell geht es darum, Neuspielern einen Leitfaden durch die Hülle an Regelmaterial bei „D&D“ zu geben, damit diese, ohne endlos Bücher zu wälzen oder Optimierungsforen zu durchforsten, gut informierte Entscheidungen zur Erschaffung ihrer Charaktere treffen können. Um zu sehen, wie der vorliegende Band dieses Ziel erfüllt, gilt es, die einzelnen Kapitel näher unter die Lupe zu nennen.

Doch zuerst etwas vorweg zur äußeren Aufmachung. Das Buch kommt als stabiler Hardcover-Band von 160 Seiten daher, mit einem teils glänzenden Titelbild, wie wir es aus der „Power“-Serie für die 4. Edition schon kennen. Auch die farbliche Markierung des Titels (Titelleiste in violett) reiht den Titel der „Power“-Buchserie zu („Martial Power“, „Arcane Power“, „Divine Power“ …) und versteht sich als Wegweiser für nicht zuletzt diese Bücher, in denen Spieler mit neuem Regelmaterial bedient wurden. Auffällig ist die Illustrierung des Bandes, für die die Künstler von Penny Arcade, dem wohl bekanntesten Web Comic, verantwortlich zeichnen. Penny Arcade ist seit der Anfangszeit der 4. Edition mit dieser stark verbunden, haben sie doch in mehreren PodCasts für den „D&D“-Verlag Wizards of the Coast mitgewirkt.

Auch die übrigen Illustrationen sind, wie etwa die von Stan „Stan!“ Brown, größtenteils an Comics orientiert, was nicht nur am cartoon-artigen Zeichenstil liegt, sondern auch daran, dass die Bilder mit Sprechblasen versehen sind. Während die Bilder vielleicht nicht so stimmungsvoll wie in anderen „D&D“-Büchern sind, gelingt es ihnen dennoch durchwegs, den Text ideal zu veranschaulichen. Spieler-Tipps werden weniger dargestellt als das, was blüht, wenn man sie nicht befolgt (der Kleriker, der keine Zeit zu heilen hat, der Schurke, der zu lange in einer dunklen Ecke wartet, bis er seinen Hinterhältigen Angriff einsetzen kann, usw.). Auch was die Texte selber betrifft, sind diese stimmig geschrieben, lesen sich flüssig, und machen den „Player’s Strategy Guide“ zu einem der ersten „D&D“-Bücher seit Langem, die man sogar ohne Unterbrechung schnell und gerne durchliest (etwa zwei Nachmittage) – und dabei gut unterhalten ist. Damit zum Produktinhalt.

Das Buch hat vier Kapitel – Kapitel 1 zur Charaktererstellung, Kapitel 2 zur Gruppenbildung (also die ideale Zusammensetzung der „Party“), Kapitel 3 gibt generelle Tipps für das strategisch und taktisch intelligente Spielen, und Kapitel 4 ist ein etwas allgemeineres mit Verhaltenstipps zum Spiel im Großen und Ganzen.

Kapitel 1 orientiert sich klassisch am Aufbau des Spielerhandbuches, und gibt bei jedem der einzelnen Schritte der Charaktergenerierung eine Orientierungshilfe. Von der Wahl des Volkes, der Klasse, der Mächte, der Fertigkeiten, bis zu den feineren Entscheidungen bei Talenten, Legendären Pfaden und Epischen Bestimmungen ist wirklich an alles gedacht. Grundsätzliche Kriterien wie die Abstimmung des Volkes und der Talente auf die eigene Rolle in der Gruppe werden ebenso erklärt (etwa die Rubrik „Striker Feats“), wie die Kriterien, auf die man bei der Wahl der Mächte achten sollte. Auch wenn dem erfahrenen Spieler hier vieles selbstverständlich scheint – wie etwa, dass man bei der Wahl der „at-will“-Mächte möglichst verschiedene nimmt, und diese Wahl dann mit den Begegnungsmächten abstimmt, um Redundanzen und Kongruenzen zu vermeiden –, ist das alles sehr einleuchtend formuliert und für Neuspieler äußerst wertvoll.

Weniger theoretisch geht es in den eingestreuten Frage-Tests zu, deren Titel („Welche Klasse bist Du?“, „Welches Volk bist Du?“) schon alles sagt. Einziger Kritikpunkt bei den Tests ist, dass Völker und Klassen der späteren Spielerhandbücher nicht eingeflossen sind. Diese werden zumindest in den tabellarischen Übersichten – ebenfalls sehr wertvoll – berücksichtigt, wo es gilt, zu veranschaulichen, welches Volk zu welchem Klassen-„Build“ am besten passt. Als nächstes widmet sich das Kapitel den fortgeschritteneren Optionen im Regelwerk wie dem Multi- und Hybrid-„Classing“. Diese Rubriken können nicht überzeugen, gehen eigentlich nicht mal über die Tipps zu Letzerem im dritten Spielerhandbuch hinaus, sind also weniger eine Weiterentwicklung von Bestehendem als eine Ermutigung für Neuspieler, die sich mit dem Material noch nicht beschäftigt haben. Auch hier wird deutlich, dass der Band eindeutig nicht für erfahrene Spieler konzipiert ist beziehungsweise diesen nicht wirklich etwas Neues bieten möchte.

Kapitel 1 schließt mit gezielten „Build“-Tipps zu einzelnen Charakterkonzepten und -aspekten, erklärt also, welche Talente etc. man wählen sollte, um gewisse taktische Ziele wie hohe Trefferpunkte, hohe Initiative, hoher Schaden, hohe Rüstklasse, etc. zu erreichen. Diese Rubrik ist sehr prägnant gehalten, sehr hilfreich, wenn man einen Charakter der Art noch nie erschaffen hat, und den Wald vor lauter (Regel-)Bäumen nicht sieht.

Damit zu Kapitel 2. Hier geht es um die optimale Erstellung einer Gruppe aus mehreren Charakteren. Es gibt auch eine kleine Überschneidung mit dem Vorgängerkapitel, wenn erklärt wird, welche Gruppenrollen man mehrfach besetzen kann und welche weniger; daran knüpft die Diskussion in diesem Kapitel zu Gruppen mit einer Größe unter- oder oberhalb des Standards von fünf Spielern an. Sehr hilfreich wurden hier die Tipps aus dem „Dragon“-Magazin eingestreut, dass sich eine Gruppe nicht immer an die Vorgabe des „Spielerhandbuchs“ halten muss, wonach jede Rolle mindestens einmal besetzt sein müsse. Da diese Frage immer wieder in Foren auftaucht, leuchtet ein, dass hier Klärungsbedarf bestand, und positiv ist sicher auch, dass die Grundstruktur (jeweils ein Striker, Defender, Leader, Controller) aufgelockert wurde.

Unter diesem Aspekt widmet sich das Buch als nächstes der Optimierung der einzelnen Rollen im Zusammenspiel mit dem Rest der Gruppe. Es geht sowohl um taktische Kombinationen, als auch um die Gesamtfertigkeitenwahl der Gruppe als Ganzes – Letzteres ist insofern wichtig, als dass die Gruppe ein hohe Bandbreite an Fertigkeitenherausforderungen bestehen muss. Abgerundet wird das Kapitel durch eine Vorstellung von drei Beispielsgruppen. Die Beispiele erklären, worauf die Gruppe als ganzes taktisch optimiert ist (wie etwa, zwei Defender vorne), wie diese taktisch anpassbar ist, etc. Erst die Beispiele vermitteln erfolgreich, was in der vorangehenden Diskussion nicht immer greifbar war – nämlich wie das taktische Zusammenspiel der einzelnen Rollen konkret aussieht, und wie anpassbar dieses an Einzelsituationen ist.

Daran schließt dann Kapitel 3 nahtlos an. Es beschäftigt sich mit dem strategisch und taktisch idealen Verhalten einer Gruppe auf and abseits der Battlemap. Herausragend sind die Kampfanalysen zu einzelnen Begegnungen aus Kaufabenteuern, darunter der berühmte Showdown mit dem Hobgoblin-Häuptling Eisenzahn (aus dem Abenteuer „Die Feste auf dem Schattenfell“). Diesem Showdown wurden viele Spielergruppen zum Opfer – in der erratierten digitalen Version des Abenteuers, die mittlerweile kostenlos auf wizards.com zur Verfügung steht, wurden deshalb Eisenzahns Spielwerte drastisch heruntergeschraubt. Wie aber das vorliegende Kapitel erklärt, ist die ursprüngliche Begegnung leicht zu bewältigen, wenn die Gruppe nicht in Eisenzahns Lager hineinstürmt und sich allen (Hob)Goblins auf einmal ausliefert, sondern die Gegner in kleineren Gruppen aus dem Lager lockt. Das ist klassisches MMO-Verhalten („Pullen“ einzelner Gegner), das sich auch bei „D&D“ bewährt hat. Es ist sicher lobenswert, bereits Neuspieler auf den Wert von taktischen Eigenanalysen hinzuweisen – wie hier im Buch vorexerziert –, anstatt diese zu ermutigen, bei einem „TPK“ (Total Party Kill) dem Spielleiter eine „unausgeglichene“ Begegnungsgestaltung vorzuwerfen.

Das übrige Kapitel ist übrigens nicht nur taktisch orientiert wie hier – obwohl es wertvolle Tipps zum Ressourcen-Haushalt gibt (wie den Heilschüben) –, sondern gibt generelle Tipps zur Hand, um das Spiel insgesamt attraktiver zu gestalten. Hervorzuheben ist hier die Hilfestellung zur Beschleunigung des Spieles an sich – denn es ist ein weit verbreitetes Phänomen, dass Kämpfe in der 4. Edition zu lange (und langwierig) vonstatten gehen. Wie das Buch richtigerweise feststellt, ist das Phänomen nicht allein den hohen Trefferpunkten der Gegner geschuldet (etwas, das sich über Hausregeln bewältigen lässt), sondern auch dem, dass Spieler den Runde-für-Runde-Entscheidungsprozess („Welche Macht setze ich diese Runde ein?“) nicht immer optimal gestalten – die Hinweise „Kenne Deine Mächte!“ und „Halte Deine Mächte in einem gut organisierten Format bereit!“ sind hier wirklich angebracht. Etwas heikler, aber noch zutreffender, ist der Hinweis, dass Kämpfe in der 4. Edition umso länger werden, je weniger taktisch optimiert eine Gruppe vorgeht. Auch das kennt man vom Spieltisch. Entsprechend ist der vorliegende Band – der diese taktische Optimierung eingehend erklärt – besonders für Gruppen interessant, die an langwierigen Kämpfen leiden.

Ein weiteres Highlight des Kapitels 3 ist eine Hilfestellung für Spieler, die es mit taktisch wenig versierten Mitspielern zu haben. Es ist ein leidiges Thema, wie man Spieler, die optimieren, in einer Gruppe von Nichtoptimierern unterbringt (und umgekehrt), und die Herangehensweise an das Thema wirkt hier überraschend sensibel. (Schon weit härter äußert sich der kürzlich erschienen „Pathfinder“-Spielleiterband – sinngemäß: „Sie haben keine Wahl: Werfen Sie den Optimierer hinaus, er zerstört nur das harmonische Spiel der Gruppe.“)

Genau diesem Aspekt, dem Sozialverhalten am Spieltisch, widmet sich Kapitel 4 – eine hervorragende und nicht vorherzusehende Wende in einem Band, der sich als Strategiehilfe verkauft. Gerade hier werden die besten Tipps im Buch überhaupt gegeben, um den Spielgenuss für sich und andere aufzuwerten. Hier geht es weniger um die spielmechanische Ebene und mehr darum, wie man seine Mächte kreativ einsetzt, seinem Charakter abseits jeglicher Regeln Leben einhaucht, wie man als Gruppe ein Kampagnenhandbuch führen könnte, und und und. Abschließend gibt es etwas brachialer noch das kleine Einmaleins des guten Benehmens am Spieltisch, das treffend mit der Rubrik „Sei kein Aas!“ schließt und noch mal auf das Hauptaugenmerk des Buches selber hinweist: „D&D“ ist ein Gruppenspiel, also denk’ an Dein Team!

Fazit: Als ich das erste Mal das „Spielerhandbuch“ der 4. Edition in Händen hatte und die einleitenden Tipps zu den vier (damals neuen) Gruppenrollen wie „Striker“ und „[Crowd] Controller“ las, dachte ich, mich in einen „Warcraft“-Strategieband von BradyGames verirrt zu haben (ISBN: 0744004055). Die überall gleichlautenden Tipps und (damit einhergehend) ähnliche Strukturierung des Spieles selbst verdeutlichten, worauf die Vorab-Unkenrufe abzielten, „D&D“ wäre mit der 4. Edition rettungslos zu einem MMO am Spieltisch verkommen. Als sich der Verlag Wizards of the Coast jetzt auch noch entschied, bestehende Parallelen zu den BradyGames-Strategieführern zusätzlich zu verstärken und einen eigenen „Strategy Guide“ für „D&D“ herauszugeben, erwartete ich das Schlimmste. Und wurde positiv überrascht. Ja, es geht darum, den eigenen Charakter optimal zu gestalten. Aber das ist nur ein einzelnes Thema des Buches, und bei Weitem nicht das dominanteste. Das Grundanliegen des Buches ist es, den Spielspaß zu erhöhen, und zwar den der ganzen Gruppe. Das Ziel von „D&D“ ist der Spaß als Gruppe, und dieser Band erklärt das optimale Zusammenspiel mit den anderen Charakteren und Spielern. Dass der Band dabei sich primär an Neuspieler und an ein jüngeres Publikum richtet, sollte ältere Semester nicht abschrecken. Die sensible Herangehensweise und durchwegs überzeugenden Gedankengänge wissen zu gefallen. Die durchgängig eingestreuten Anekdoten von bekannten Spielern aus der „D&D“-Szene sind nicht überflüssiges Beiwerk – sie unterstreichen das Gesagte und verdeutlichen, wie die Kolumne von Wil Wheaton (dessen Avenger einem klassischen „Split the Party“ zum Opfer fiel), dass es bei „D&D“ um mehr weit geht als der Zahlendreherei auf einem Charakterblatt.


Player’s Strategy Guide
Quellenbuch
Andy Collins, Eytan Bernstein
Wizards of the Coast 2010
ISBN: 9-780786-954889
160 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,95

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