Player's Handbook – Power Cards (v.4.0)

„Dungeons & Dragons 4th Edition“ als Kartenspiel!? 100 so genannte „Power Cards“ pro Charakterklasse lassen einiges fürchten, vermuten und hoffen – ein Sammelkartenspiel wird „D&D4E“ allerdings noch lange nicht.

von Jorge C. Kafka

 

Deal out the Cards

Wizards of the Coast hat im Juni 2008 mit dem Erscheinen der 4th Edition des ultimativen Rollenspielklassikers „Dungeons & Dragons“ im wahrsten Sinne des Wortes die Karten neu gemischt.

Der Trend im Brettspielbereich (besonders bei Spielen aus dem Hause Fantasy Flight Games), die Spielercharaktere mit speziellen Action, Spell oder Power Cards auszustatten und vor allem aus den Kampfabläufen eine Melange aus Sammelkartenspiel (etwa „Magic: The Gathering“) und Onlinerollenspiel (etwa „World of Warcraft“) anzurühren, setzte sich seit 2008 offensichtlich auch im klassischen Pen & Paper-Rollenspiel durch.

Jede Charakterklasse der aktuellen 4th Edition von „Dungeons & Dragons“ verfügt von Beginn an über unterschiedliche Powers; diese sind dem Zeitpunkt beziehungsweise der Art ihrer Anwendung gemäß noch einmal unterteilt in At-Will, Encounter, Daily und Utility Power.

Der Charakterbogen des „Player’s Handbook“ bietet für diese Powers nur die üblichen Leerzeilen zum Eintragen. Sehr schnell kam in unterschiedlichen Foren der Wunsch der Spieler auf, diese Powers tatsächlich auf Karten zu drucken, damit sie wie in Sammelkartenspielen als Deck für den jeweiligen Charakter genutzt werden können. Das wahrscheinlich weltgrößte inoffizielle D&D-Forum ENWorld bietet einen noch heute aktualisierten Thread (angelegt März 2008) zum Thema selbstgemachte „Power Cards“.

Reading the Cards

Wizards of the Coast reagierte sehr schnell auf die Wünsche und Ideen der „D&D4E“-Spieler und kündigte noch im gleichen Jahr an, die Powers tatsächlich demnächst als Kartensets zu entwickeln und bald auch herauszugeben.

Im März 2009 war es nun so weit. Mit Erscheinen des „Player’s Handbook 2“ wurden die ersten acht Sets der Power Cards veröffentlicht. In einer standardisierten Pappschachtel, dick wie ein Taschenbuch, aber etwas schmaler, liegen die 100 „Power Cards“ gut verschweißt in zwei Plastikfächern. Analog zum „Player’s Handbook“ wurde die Farbkennzeichnung grün = At-Will, rot = Encounter, grau = Daily und blau = Utility beibehalten. Sie macht sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite sofort deutlich, um welche Art von „Power Card“ es sich handelt.

Die Aufteilung einer „Power Card“ ist relativ simpel, übersichtlich und, zumindest für den „D&D4E“-Spieler, selbsterklärend. Am oberen Rand der Karte findet sich der Name der jeweiligen Power, am unteren Rand die jeweilige Art. Bei den blauen Karten, denen für die Utility Powers, ist eine zusätzliche Zeile abgedruckt, in der entweder ein farbig passend unterlegtes Kästchen für At-Will, Encounter oder Daily angehakt ist. Unterhalb der Power-Bezeichnung findet sich immer ein Ein- oder Zweizeiler, der die Power bildhaft beschreibt. Selbstverständlich sind weiter auf der Karte aufgeführt: die Keywords, die Art der Action, Range, Attack vs. Defense, Target, Power Type, Level und natürlich die Class, zu der die „Power Card“ gehört. Vier unterschiedliche Symbole zeigen zusätzlich an, ob es sich beim Effekt der Power um eine Melee Attack auf einen Gegner, eine Ranged Attack, einen Burst oder einen Area Effect handelt. Diese Symbol ist im Grunde redundant, wird diese Information doch bereits mit den Worterklärungen in den Feldern Range und Target gegeben.

Das größte Feld der „Power Cards“ bietet Raum genug für spezielle Erklärungen der Power. Hier wird kurz und prägnant erläutert, wie viel Schaden die Power anrichtet, was bei einem misslungenen Einsatz der Power geschieht, ob die Power einen Trigger hat, welchen zusätzlichen Effekt die Power auslöst, welche Voraussetzung die Power eventuell hat oder welches Class Feature die Power beeinflusst. Dieses Feld ist bei allen acht „Power Card“-Sets in den seltensten Fällen zur Hälfte beschriftet. Meist sind es drei bis sechs Zeilen, die die wichtigen Informationen enthalten. Der Rest der Karte ist somit leer. Das wirft die berechtigte Frage auf, warum eine derart kleiner Schriftgrad gewählt wurde anstatt den wichtigsten Teil der „Power Cards“ besser lesbar zu gestalten!

Game of Cards

In der Spielpraxis ließen sich vor Erscheinen der „Power Cards“ im Umgang mit den Powers im Grunde zwei unterschiedliche Arten unterscheiden. Die eine (1) ist übersichtlich, aber raumgreifend, die andere (2) ist unübersichtlich, aber platzsparend:

(1) Entweder legte man sich einen Ausdruck der jeweiligen Powers neben seinen Charakterbogen und platzierte bei Gebrauch der Power einen Marker darauf oder markierte sie mit einem Bleistifthaken oder man hatte die Powers ausgeschnitten vor sich gelegt und drehte sie nach Gebrauch einfach um.

(2) Oder man hatte seine Powers ausgeschnitten und benutzte sie wie ein Kartendeck, indem die verwendete Power auf einen Ablagestapel gelegt wurde.

Bei beiden Varianten hatten sich die Spieler oft handschriftliche Notizen auf den „Power Cards“ gemacht, beispielsweise den tatsächlichen Schaden, den Attack-Wert oder weitere Schadensboni beziehungsweise -mali.

Platz auf dem Spieltisch zu sparen, ist immer gern gesehen. Besonders bei „D&D4E“ nehmen Spielfeld, Miniaturen, Würfel und vieles andere mehr enorm viel Raum ein; und wenn dann auch noch bis zu sechs Spieler mit ihren Charakterbögen, Getränken, Futterreien und Würfelbechern am Tisch sitzen, kann es ziemlich eng werden, vor allem, weil man dem Spielleiter doch so viel Freiraum als möglich belassen will…

Solange sich die Powers noch auf einer DIN-A4-Seite unterbringen ließen, war das Platzproblem noch nicht so eklatant, sobald die Charaktere aber aufsteigen und in den zweistelligen Levelbereich vordringen, nimmt die Zahl der nützlichen Powers deutlich zu!

Der gewiefte Spieler wird jetzt sagen, in den höheren Levelbereichen fallen die schwächeren, frühen Powers weg und werden durch bessere ersetzt. Das ist leider nur zum Teil richtig, denn gerade von den At-Will Powers gibt es pro Charakterklasse meist nicht mal eine handvoll! Und die Encounter Powers sind innerhalb der Charakterklassen relativ gut ausbalanciert und ergänzen sich eher, als dass sie sich überlappen oder ersetzen.

Eigentlich müsste der „D&D4E“-Spieler mit stetig steigendem Charakterlevel das Prinzip der „Power Cards“ begrüßen. Nicht jeder Rollenspieler ist darauf aus, all die Fähigkeiten seines Charakters auswendig zu lernen und im Gedächtnis die durch Stufenanstieg, Boni, Mali, magische Waffen, Gegenstände, Rüstungen oder Artefakte, Verzauberungen und vieles andere veränderten Werte seiner Powers behalten und ergänzen. Alle aktuellen Powers auf DIN-A4-Bögen ausgedruckt zu haben, kann in einer langen „D&D4E“-Nacht schon zu einem gewaltigen Verwaltungsakt ausarten – da verliert sich die Spielfreude und die Spielerfreundlichkeit des Systems schnell.

Also bleiben am Ende die vorgefertigten „Power Cards“?! Machen sie das Spiel dann übersichtlicher und schneller? Steigern sie den Spielspaß?

More Cards

Generalisiert man einmal, kristallisieren sich in Bezug auf die „Power Cards“ drei Gruppen unter den „D&D4E“-Spielern heraus:

1. Die Individualisten. Sie hatten schon mit Erscheinen von „D&D4E“ ihre eigenen „Power Cards“ gestaltet oder im Internet gefunden und optimieren sie nur noch beziehungsweise bearbeiten sie für ihre Hausregeln.

2. Die Casual Gamer. Für sie sind die „Power Cards“ von Wizards of the Coast ein Segen. Kaufen, auspacken, spielen, ergänzen.

3. Die Power Gamer. Sie haben das Abonnement für den „Character Builder“ bei Wizards of the Coast abgeschlossen, verwalten ihre Charaktere online, sind auf dem neuesten Stand der Regelergänzungen, -erweiterungen und Errata, und drucken sich ihre aktuellen „Power Cards“ farbig aus und verbringen sie in edle Sammelkartenhüllen.

Wer sich in keiner der Gruppen wiederfindet oder irgendwie dazwischen, dem geht es wie dem unentschlossenen aber ambitionierten Autor. Er muss einfach noch seinen Weg finden… Jedoch steht für ihn fest, „Power Cards“ erleichtern „D&D4E“, sie machen es ein wenig schneller und fördern den Spielspaß.

Wie oben bereits angesprochen, sind zurzeit nur die „Power Cards“ für die acht Charakterklassen des „Player’s Handbook“ käuflich zu erwerben. Spieler der zusätzlichen Klassen aus dem „Player’s Handbook 2“ müssen sich noch bis August 2009 gedulden.

Wer neue Builds oder zusätzliche Powers aus den Büchern „Martial Power: A 4th Edition D&D Supplement“ oder „Arcane Power: A 4th Edition D&D Supplement“ (erscheint im April 2009) benutzt, darf entweder im Mai („Martial Power“) oder erst im November („Arcane Power“) diesen Jahres jubeln.

Fazit: Die Kernfrage lautet letztlich: Sind die „Power Cards“ die 9,99 EUR (pro Päckchen) wert oder nicht? Die Antwort lautet ebenso entschieden wie differenziert: Das kommt darauf an. „D&D4E“-Spieler, die vor dem Erscheinen der „Power Cards“ bereits Alternativen entwickelt oder im Internet gefunden haben, benötigen die „Power Cards“ nicht. Die kreative „D&D4E“-Gemeinde stellt im Internet mittlerweile effizientere, graphisch ansprechende und vollständigere „Power Card“-Sets beziehungsweise -Lösungen kostenfrei zur Verfügung.

„D&D4E“-Spieler, die den „Character Builder“ von Wizards of the Coast nutzen und damit ihre Charaktere verwalten, könnten in Versuchung geraten, weil sie dann ‚richtige’ Karten verwenden können und keine Ausdrucke der „Power Cards“. Doch die Vorteile des „Character Builder“ (siehe oben) wiegen schwer.

„D&D4E“-Neueinsteiger können sich getrost ihr Set an „Power Cards“ zum Regelwerk dazu kaufen. Die Karten peppen die Spielrunde auf, sehen ansprechend aus, sind ordentlich verarbeitet und halten auch mal die üblichen Kaltgetränk- oder Chips-Attacken aus. Wer als „D&D4E“-Spieler keine Anschaffungen wie „Player’s Handbook“ oder „Player’s Handbook 2“ plant, hatte bis dahin ohnehin keine Kosten und kann den niedrigen Preis für 100 Karten durchaus verschmerzen.

Die ‚Sammler’ unter uns Rollenspielern sollten gleich ein Display mit allen acht „Power Card“-Sets bestellen; im Regal ist für die Päckchen im schmalen Taschenbuchformat sicher noch Platz. Alle Käufer der „Power Cards“ müssen jedoch mit Mehrausgaben rechnen, wollen sie Up-to-date sein, denn es ist noch nicht aller Karten Abend! (Sprich: Es sind noch lange nicht alle „Power Cards“ erschienen.)


Player’s Handbook – Power Cards
Spielhilfe
Wizards of the Coast Inc. 2009
Sprache: Englisch
je 100 Karten (8 verschiedene Klassen erhältlich)
Preis: EUR 7,99 bis 9,99

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