Player’s Handbook 3 (v.4.0)

Im entferntesten Winkel der Kosmologie liegt das „Far Realm“, ein Reich albtraumhafter Kreaturen jenseits der Gesetze unserer Natur und unseres Verstandes. Jetzt droht dieses Reich in unsere Welt hereinzubrechen, und nur Helden mit besonders ausgeprägten Psi-Fähigkeiten werden in der Lage sein, dieser Invasionswelle etwas entgegenzusetzen. – Willkommen beim dritten und neuesten „Player’s Handbook“ für „Dungeons & Dragons“!

von Stefan Koller

 

Wer bei diesen einleitenden Zeilen sofort an H. P. Lovecraft und das Rollenspiel „Call of Cthulhu“ denkt, liegt richtig. Seit Autor Bruce Cordell das „Far Realm“ für einem „AD&D“-Abenteuermodul von 1996 erfunden hat, versuchen die Macher von „D&D“, Lovecraft-Inhalte für das heroische Fantasy-Spiel fruchtbar zu machen. Als periphärer Bestandteil der Kosmologie der aktuellen „D&D“-Kampagnenwelt „Points of Light“ wird über das „Far Realm“ versucht, cthuluide Wesen (wie die Illithiden, die es bei „D&D“ seit jeher gab) stärker in „D&D“ zu integrieren. Just dieser thematische Schwerpunkt ist es, der das dritte Spielerhandbuch zu „D&D“ derzeit eröffnet, und eine neue Machtquelle der Spielerklassen erklärt: die Psi-Kraft. Psioniker, die nun in vier Klassen erscheinen (mehr dazu gleich), sind die Helden, die sich den Gefahren des „Far Realm“ entgegenstellen. Ein genauerer (wenngleich marktwirtschaftlich weniger aussichtsreicher) Titel des Buches wäre daher „Psioniker-Handbuch“ gewesen. Im Gegenzug lädt der Band mehr als dessen Vorgänger dazu ein, kampagnengezielt eingesetzt zu werden. Wer immer schon an einem „Call of Cthulthu“/„D&D“-Hybriden am Spieltisch interessiert war, könnte in diesem Buch überlegenswerte Ansätze finden.

Doch zuerst einmal etwas zur Verarbeitungsqualität des Buches. Das „Player’s Handbook 3“ umfasst 224 Seiten und ist von der Aufmachung bis zum Layout seinen Vorgängern nachempfunden. Lediglich die etwas schlechtere Bindung könnte dem langfristigen Einsatz am Spieltisch zum Opfer fallen, aber sonst ist alles gelungen. Vor allem die Bebilderung ist grandios: Vom stimmungsvollen Titelbild aus der Hand Michael Kormacks, bis zu den kleineren Illustrationen, die immer wieder den Text auflockern und das Lektürevergnügen bereichern, gibt es nichts zu bemängeln. Ein brauchbares Inhaltsverzeichnis sowie ein Index sorgen dafür, dass man sich im Buch relativ schnell zurecht findet.

Damit gleich zum Inhalt. Wie für die Serie der „Player Handbooks“ üblich, werden wir anfangs mit neuen Völkern und Klassen bedient. Wie bereits erwähnt, taucht erstmals die neue Machtquelle „psionic“ auf, für die in absehbarer Zeit der Erweiterungsband „Psionic Power“ erscheinen soll. Den neuen Völkern wird wie üblich eine Doppelseite gewidmet, und statt 6 (wie bisher üblich) gibt es diesmal nur 4:

  • Minotauren – Menschen mit Stierköpfen, bekannt aus der griechischen Mythologie. Hier werden sie als Wesen skizziert, die sich an der Grenze zwischen animalischer und „zivilisierter“ Psyche bewegen – Narnia lässt grüßen.
  • Githzerai – neben den Githyanki eines von zwei unterdrückten Völkern, das seiner Gefangenschaft durch Wesen im „Far Realm“ entkommen konnte, und seither großen Wert auf geistige Disziplin legt. Wie man sieht, eine naheliegende Völker-Wahl für die psionische Ausrichtung des Buches, und eine perfekte Ergänzung für den thematischen Schwerpunkt zum erwähnten „Far Realm“.
  • Wilden – Pflanzenwesen, die einem weiteren Element der aktuellen „D&D“-Kosmologie zugeordnet werden können – dem Feywild –, die wie wandelnde Blätter aussehen (!) und die sich als Behüter der Natur verstehen.
  • Shardmind – eine Ansammlung einzelner Kristalle, die sich zu einer humanoiden Form gruppieren (und diese nach Belieben wieder auflösen kann), und mit einer individuellen Psyche ausgestattet sind. Wiederum gibt es eine thematische Einbindung mit dem „Far Realm“, sind die Shardminds doch buchstäblich „Splitter“ jenes Tors in das andere Reich, das die Welt der „D&D“-Helden vom Fernen Reich einst trennte, das „Living Gate“.

Als Abschluss des Kapitels wird pro Volk ein neuer Legendärer Pfad beschrieben. Diese passen zu den schon bestehenden Merkmalen der Völker, indem sie ihre Kampagnenrolle für einen groß angelegten Kampf gegen das „Far Realm“ unterstreichen: Githzerai werden zu Illithiden-Jägern, Shardminds verstärken jene Fähigkeiten, die sie aus ihrer Verbindung zum „Living Gate“ entlehnen.

Den größten Teil des „Player’s Handbook 3“ bildet dann von Seite 20 bis 134 die Vorstellung der neuen Grundklassen, die wie gewohnt mit Mächten und Legendären Pfaden ausgestattet werden. An neuen Klassen winken:

  • Ardent (Machtquelle: Psi, Gruppenrolle: Leader) – Eine Neuauflage der Paladin-Klasse mit größerer Betonung auf unterstützende Effekte. Die Emotionen des Ardent dringen nach außen und können dort die Kampfkraft ihrer Freunde nachhaltig beeinflussen.
  • Battlemind (Psi, Defender) – Söldner, die über ihre Psikräfte sowohl in der Lage sind, dem Gegner arg beizusetzen, als auch ihre eigene Körperform je nach äußeren Anforderungen zu verändern.
  • Mönch (Psi, Striker) – Der waffenlose Kämpfer, entfernt dem Shaolin-Mönch nachempfunden, der über eine besonders hohe Mobilität am Kampfschauplatz verfügt.
  • Psioniker (Psi, Controller) – Der klassische Psi-Meister bisheriger Editionen, der aus großer Entfernung das geistige Innenleben seiner Feinde unter Kontrolle hat und ihnen damit schwer zusetzen kann.
  • Runenpriester (Göttliche Kraft, Leader) – Eine Art Kleriker, der die Runen der Schöpfung kennt, diese manipulieren kann und damit tiefgreifende Änderungen bei Freund und Feind hervorrufen kann.
  • Sucher (Naturbezogene Kraft, Controller) – Ein Schützer des Waldes, der seinen Feinden mit Fernkampfangriffen zusetzt. Eine Art Mischung aus „Avenger“ und Waldläufer.

Abschließend gibt es noch jeweils eine neue Epische Bestimmung, die auf eine der neuen Klassen zugeschnitten ist (was man schon an den Namen wie „Runenschmied“ oder „Beschützer der Jagd“ erkennen kann). Dazwischen findet sich eine 20-seitige Rubrik zu einer neuen Spielart des „Multi-Classings“, mithilfe derer Spieler aus den Mächten zweier Grundklassen schöpfen können: die sogenannten Hybrid-Klassen. Stärker als beim herkömmlichen „Multi-Classing“ ist diesmal die Verteilung der beiden zugrundeliegenden Klassen stärker ausgewogen, sprich, man schöpft wirklich zu gleichen Teilen aus beiden Klassen, und spielt nicht nur (etwa) einen Paladin mit nur leichten Anklängen des Klerikers. Dieses System wurde vor Monaten erstmals im DDI vorgestellt, seither eingehend getestet, und liegt nun in überarbeiteter Version vor.

Im Abschlusskapitel (S. 162-213) gibt es ergänzendes Regelmaterial zu den neuen Klassen, vor allem auf Talente und magische Ausrüstung bezogen, sowie ein Rubrik zu sogenannten „Skill Powers“, also generische „Utility Powers“, die man klassenunabhängig für klassenspezifische „Utility Powers“ gewisser Stufen austauschen kann – sicher eine sinnvolle Bereicherung für jene Spieler, die mit der bisherigen Auswahl ihrer „Unterstützenden Mächte“ nicht zufrieden waren. Als Appendix winkt noch ein kurzer Beitrag, wie man die Regelinhalte einer „Macht“ optimal erfasst, sowie ein Glossar mit „Keywords“ zu allen bisherigen (drei) Spielerhandbüchen – eine wertvolle Ressource für Besitzer dieser Bücher. Ein einschneidendes Regel-„Update“ wie beim Vorgängerbuch findet man hier jedoch nicht.

Bewertung

Es gibt genau zwei Gründe, warum man sich das Buch zulegen könnte. Zum einen sollten sich Spielrunden den Kauf überlegen, denen die Kampagnenidee rund um das „Far Realm“ und die (damit einhergehenden) neuen Psi-Klassen gefallen. Zum anderen versucht der Band natürlich auch, Spielrunden anzusprechen, die bei ihrer bisherigen Klassenauswahl bleiben möchten, aber nach ergänzendem Material suchen – wie etwa Hybridklassen und „Skill Powers“. Das verdient natürlich, getrennt bewertet zu werden.

Was die neuen Psi-Klassen betrifft, kann man es so zusammenfassen: Wer eine gelungene Umsetzung bisheriger Psi-Regeln bei „D&D“ sucht, wird enttäuscht sein. Viele der interessantesten Psi-Mächte, wie die Traumreise oder das „Lesen“ in der Erinnerung von Gegenständen (vgl. „Complete Psionics Handbook“ für die 2. Edition), wurden hier restlos getilgt und durch weit farblosere, rein kampfbezogene Psi-Mächte ersetzt. Hier wirkt besonders das Wegfallen von neuen (Psi-)Ritualen schmerzlich, das vieles auffangen hätte können. Wieder einmal macht sich der einseitige Bezug der Regeln auf das Geschehen auf der Battlemap unschön bemerkbar. Dies gilt auch für viele Psi-Mächte, die aus Vorgängereditionen übernommen wurden, denn dort hören die Ähnlichkeiten jenseits der Namensgleichheit auf (vgl. etwa „Mind over Flesh“, S. 87, mit dem klassischen „Mind over Body“). Fans der 4. Edition, die dem Neumaterial ohne Altlasten dieser Art entgegentreten, können sich hingegen auf gelungene Neuerungen freuen, die das Geschehen auf der Battlemap mit abwechslungs- und einfallsreichen Effekten gehörig aufpeppen. Mit „Shred Reality“ (S. 90) verschwindet etwa der Gegner vorübergehend im Nirgendwo – der Spieler darf dessen Miniatur vom Spielfeld nehmen. Auch einfachere Sachen, wie die Klassiker „dominate“ und „mind blast“ (S.87-88), können als gelungen eingestuft werden, weil sie eine direkte, nicht verunstaltende, Umsetzung von Altbekanntem sind. Auch am alten System, wonach die Effekte von Psi-Kräften je nach dem Einsatz von „Kraftpunkten“ aufgewertet werden können, hat man festgehalten. Dies bedeutet auch, dass Spieler eine größere Freiheit als (bei der 4. Edition) bisher bei der mechanischen Umsetzung ihrer Mächte haben – ein deutlicher Anreiz für erfahrenere Spieler, die sonst schon alles gesehen haben.

Was die von den Psi-Regeln unabhängigen Neuerungen betrifft, ist ebenfalls eine gemischte Wertung angebracht. Die Hybridklassen schaffen es zwar endlich, das hervorragenden Multiclassing der 3. Edition auch in die 4. Edition zu integrieren, und damit, dass sich die Anzahl möglicher Klassenkombinationen um ein Vielfaches nach oben schraubt. Die Hybridklassen können aber, auf sich allein gestellt, wohl kaum die Anschaffung eines 220 Seiten umfassenden Buchs rechtfertigen. Die „Skill Powers“ hingegen erfüllen einen Kaufanreiz nicht nur ob des geringen (Seiten-)Umfanges nicht, sondern deshalb, weil der Verlag hier oft einfach alten Wein in neue Schläuche gefüllt hat. Seien es die alten „Luck“-Feats der 3. Edition, die einem das erneute Würfeln auf eine Fertigkeit ermöglichen, wenn man das Erstergebnis nicht akzeptieren möchte oder einfach die Volksfähigkeit der neuen Shifter („Eberron Player’s Guide“, S. 28) die hier als „Battle Feint“ auftauchen – das kennt der Leser eigentlich schon. Obendrein wird die wirklich überlegenswerte Idee, Skill Challenges auf Spielerseite aufregender zu gestalten, just mit den „Fertigkeitenmächten“ völlig links liegen gelassen.

Fazit: Mit dem „Player’s Handbook 3“ stellt der Verlag eine etwas eigenwillige Ergänzung vor, die so manchen Buchtitel verdient hätte, aber sicher nicht den eines „Player’s Handbook“. Denn jener Titel suggeriert, fälschlicherweise, dass wir es mit einer allgemein sinnvollen Erweiterung zu tun haben. Leider stimmt das nicht: zu ausgefallen sind die neuen Völker (eine Kristallsammlung? ein Blattmensch?), zu speziell die Psi-Klassen, zu wenig überzeugend und innovativ die allgemeinen Neuerungen im Buch, als das es wirklich verdient, an die bisherigen Titel „Player’s Handbook“ 1 und 2 anzuschließen – also an Bücher, die für jeden Spieler der Edition fundamental und rundum gelungen sind, und deren Einsatz für jede „D&D“-Kampagne schlechthin sinnvoll erschien. Potenzielle Käufer sollten sich deshalb gut überlegen, ob der hauseigene Spieltisch die letztlich sehr betonte thematische Ausprägung des Buches teilt.


Player's Handbook 3
Quellenbuch
Mike Mearls, Bruce Cordell, Robert Schwalb
Wizards of the Coast 2010
ISBN: 9-780786-953905
224 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 34,95

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