Ordensbuch: Ramieliten

Mit dem „Ordensbuch: Ramieliten“ schließt sich die Reihe der fünf Ordensbücher für das Rollenspiel „Engel“. Es erscheint eigenartig, dass ein Rollenspielverlag beschließt, sich zunächst vollkommen auf die Beschreibung der verschiedenen Arten an Spielercharakteren (die fünf Orden der angelitischen Kirche) zu beschränken. Auf dem diesjährigen NordCon wurde allerdings auch erklärt, warum er sich dazu entschlossen hatte. Zunächst sollten alle Spieler unabhängig ihrer Vorlieben gleichberechtigt unter den Engelsorden wählen können, dann konnte man sich weiter auf die Welt konzentrieren.

von amel

 

Anderthalb Jahre hat es immerhin gedauert, bis die Reihe ihren Abschluss fand, doch langweilig war es in dieser Zeit bestimmt nicht – auch wenn der eine oder andere sicherlich gespannt auf die Spielwarenmesse wartet, denn das nächste Buch ist schon angekündigt.

Jeder Orden hat nicht nur unterschiedliche Eigenschaften und Ziele, sondern auch ein anderes Herrschaftsgebiet im angelitischen Europa, was die Ordensbücher zu weit mehr macht als nur einer bloßen Erweiterung der Möglichkeiten für Spieler. Jedes Buch beschreibt auch gleichzeitig ein Stück von Europa: den Himmel (also das jeweilige architektonische Zentrum) des Ordens, die Stadt, die dazu gehört und das jeweilige Herrschaftsgebiet. Dass nähere Informationen zum Orden wie Politik, Ziele und Geheimnisse auch Stoff der Ordensbücher sind, ist wohl selbstverständlich.

Ein Rollenspiel fasziniert mich vor allem dann, wenn es irgendwie anders ist. „Engel“ geht in vielerlei Hinsicht neue Wege. Die grafische Gestaltung ist nur eine davon. Auf die üblichen bunten Fantasybilder oder dunklen Gruseldinger wurde verzichtet. Stattdessen präsentiert sich Engel in weiß und gold mit wenigen Bildern und großzügigem Layout. Ein echter Augenschmaus, wie ich finde. Die beigelegten Faltkarten der Himmel, wenn auch von mäßigem praktischen Nutzen, werten die Aufmachung noch zusätzlich auf.

Die Ramieliten sind die Bewahrer des Wissens, doch wer glaubt, die auf Flößen schwimmende Stadt Prag, die den Himmel des Engelordens umgibt, wäre eine vergeistige Metropole voller Gelehrter, der irrt gewaltig. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Ramieliten sammeln Wissen, das ist wohl wahr, aber sie wollen es nicht teilen. Das Volk wird mit Absicht dumm gehalten; die Kirche ist diejenige, die die Anweisungen gibt, und der Handwerker führt sie aus – Erklärungen gibt es nicht.

Stillstand bedeutet Stagnation, so sagen die Ramieliten. Deshalb darf auch Prag niemals stillstehen und verändert sich in unregelmäßigen Abständen über Nacht. Abends war das Haus noch nah dem Himmel und am nächsten Tag ist es plötzlich in einem der weiter entfernt liegenden Stadtteile – ein Statusverlust, den nur wenige einfach wegstecken. So interessant die Idee ist, so eigenartig finde ich sie. Die praktische Machbarkeit dieser Veränderungen erscheint mir etwas fragwürdig. Die anderen Ideen, die sich in dem Buch verstecken, sind da wesentlich besser. Die Beschreibung des Himmels mit geheimen Räumen, mit seinen Himmelsdörfern, unbekannten Forschungsgebieten, dem Gesang Jeremiels und einer Organisation, die vielleicht viel geplanter ist, als man bei dem teilweise vorherrschenden Chaos erwarten würde, ist spannend zu lesen und gibt auch die eine oder andere Abenteueridee. Die Erklärungen zur inneren Ordensstruktur mit Werdegang der Engel und Geheimgesellschaften stehen dem in nichts nach, genau wie die Ausführungen über das Wirken des Ordens außerhalb der Himmelsgrenzen. Vielleicht nicht am spannendsten aber am besten für das Rollenspiel zu gebrauchen ist das erste Kapitel, das Ramielsland im Groben und die Stadt Prag im Feinen beschreibt. Fast jeder Teil des Landes ist ein Herd an interessanten Konflikten mit grandiosem Rollenspielpotential. Ich hätte gern mehr davon gesehen.

Die meisten Rollenspiele, besonders die, die mit vielen Quellenbüchern aufwarten können, wandeln auf einem schmalen Grat zwischen einer fertigen Erzählung und der Anleitung, wie die Spieler selbst erzählen können. „Engel“ ist vollkommen über die Klippe auf die Seite der Erzählung gesprungen, was gleichzeitig die größte Stärke und die größte Schwäche des Rollenspiels – und des vorliegenden Quellenbandes – ausmacht.

Nachteile dieser Methode gibt es leider gleich mehrere: Vor allem die Übersichtlichkeit leidet, wenn die Quellenbücher wie eine Geschichte aufgebaut sind und Fragen an unterschiedlichen Orten stellen und beantworten. Zweiter Nachteil ist die oft mangelnde Spielrelevanz. Die Bücher präsentieren sich als unübersichtlicher Haufen an Ideen, die nicht zwangsläufig darauf ausgelegt sind, gut zu spielen, sondern viel mehr, interessant zu lesen zu sein.

Doch diese Nachteile nehme ich gern in Kauf, denn sie machen „Engel“ und seine Quellenbücher nicht nur anders, sondern auch unheimlich spannend zu lesen. Die Lektüre des Ramieliten-Ordensbuchs macht einfach Spaß. Konstant stößt man auf Geheimnisse und lauert beim Weiterlesen darauf, wann und wie (und ob) sie aufgelöst werden.

Fazit: Die Hintergrundwelt von „Engel“ ist nicht nur stimmungsvoll, sondern auch immer wieder sehr überraschend. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht. Das „Ordensbuch: Ramieliten“ war jedenfalls eines der größten Lesevergnügen, die ich in letzter Zeit auf dem Rollenspielsektor hatte. Einzig die Spielrelevanz der Informationen könnte noch gesteigert werden.


Ordensbuch: Ramieliten
Quellenbuch
Verena Stöcklein, Ole Johann Christiansen, Thomas Plischke
Feder&Schwert 2004
ISBN 3-937255-11-7
112 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 18,95

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