Nightfall

„Nightfall“: ein Deckbauspiel ums blanke Überleben. In dieser düsteren Zukunftsvision geht es darum, am wenigsten einzustecken. Aber das ist gar nicht so leicht, wenn der Kick plötzlich kein Ziel mehr hat, da die Gegner ebenfalls Effekte spielen dürfen, die auch noch zuerst wirken. Doch wartet, bis ich erst eure Effektketten erweitere ... – Ein raffinierter Spielmechanismus, der süchtig macht: Welcome to the Nightfall.

von Lars Jeske

Bei Deckbauspielen von „The Next Big Thing“ zu sprechen, wäre falsch, schließlich haben sie ihren Siegeszug längst angetreten. Das bekannteste namens „Dominion“ hat es mittlerweile auf 7 Sets gebracht, während für „Thunderstone“ auch schon alle 6 Sets des 1. Zyklus auf Deutsch erschienen sind – und ebenfalls ist kein Ende in Sicht. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis Nebenbuhler auftauchen, die ebenfalls etwas vom Kuchen abhaben wollen. Somit schwappt die Welle gerade nach Deutschland, wobei „Rune Age“, „Ascension“, „Arcana“ und eben „Nightfall“ die hoffnungsvollsten Umsetzungen von Spielideen sind.

Braucht man noch so ein Deckbauspiel? Nein, doch „Nightfall“ von David Gregg ist auch ganz anders, denn es ist ein rein kompetitives Kartenspiel. Leicht verständliche und einfach erklärbare Regeln lassen zwei bis fünf Spieler in diese bizarre Halbwelt aus Menschen, Werwölfen, Vampiren und dergleichen für mindestens eine Stunde lang eintauchen.

Regeln

Das 24-seitige Regelheft wird durch viele Bilder, Beispiele und einstimmende Geschichten über die Zeit des Nightfalls (Autor: Kenneth Hite) aufgebläht. Alles in allem ist diese Herangehensweise der Darreichung jedoch gelungen und eine recht eindeutige und einfach zu verstehende Regelsachlage macht es dem Leser leicht, loszulegen. Zudem gibt es eine vage Kurzregelübersicht auf der Rückseite.

Der Rundenablauf ist simpel: erst mit allen Kreaturen angreifen und anschließend neue Effekte/Kreaturen ins Spiel bringen. Danach kann man sich neue Karten kaufen und zum Schluss wieder auf fünf Handkarten nachziehen. Das Spiel endet, wenn die vorher abgezählten Wundenkarten allesamt verteilt sind. Gewonnen hat der Spieler, der die wenigsten Wunden erleiden musste. Vor allem wenn man schon Deckbauspiele wie „Dominion“ oder „Thunderstone“ kennt, kommen einem viele Mechanismen bekannt vor. Warum auch Bewährtes verwerfen? Ist einem zudem ein Spiel wie „Magic: The Gathering“ bekannt, dann sind die Begriffe Angreifer, Blocker und Effektstapel auch geläufig und man erkennt, dass „Nightfall“ eine Art Symbiose der Spielsysteme ist. Unter diesen Idealvoraussetzungen beträgt die Erklärzeit maximal zehn Minuten, was für ein neues Spiel sehr wenig ist.

Da „Nightfall“ ein Konfrontationsspiel ist, muss man in seinem Zug zuallererst mit allen Kreaturen angreifen, die anschließend auch auf den Ablagestapel kommen. Hoffentlich erst nachdem sie ordentlich viele Wunden bei den Gegnern geschlagen haben, denn das Hauptziel ist es, sich selbst davor zu schützen, Wundenkarten in sein Deck zu bekommen. Da ist Angriff die beste Verteidigung. Jede Kreatur hat dabei sowohl eine Angriffsstärke als auch Lebenspunkte. Als ungewöhnliches und gewöhnungsbedürftiges Merkmal ist hier das Kartendrehen zu erwähnen, denn an den Seiten der Kreaturenkarten sind deren verbleibende Lebenspunkte ersichtlich.

Da Kreaturen in ihrem Angriff nicht aufgepumpt werden können und auch keine sonstigen Effekte an dieser Stelle gewirkt werden dürfen, gibt es anschließend eine Extraphase für Effekte und um neue Kreaturen ins Spiel zu schicken. Schließlich ist die Auslage des aktiven Spielers auch gerade leer. Das Ausspielen von Karten ist dabei recht innovativ. Aus „Magic“ kennt man die fünf Manasphären, hier gibt es in ähnlicher Form Mondphasen. Jede erwerbbare Karte des Spiels ist einer der sechs Farben (grün, gelb, blau, rot, weiß und lila) zugeordnet und hat zwei der übrigen Farben als Nachbarn, die ebenfalls auf der Karte angegeben sind. Der Spieler darf pro Runde immer eine beliebige Karte ausspielen. Wenn eine weitere Karte genau die Mondphase hat, die als Nachbarn der soeben gespielten Karte gilt, darf er seine angefangene Kette verlängern. An diese Karte kann dann wiederholt eine weitere regelkonform angelegt werden. Anschließend dürfen reihum alle anderen Spieler ebenfalls die Kette der Karten durch passende verlängern. Aufgelöst wird die Kette schließlich von hinten nach vor, das heißt die zuletzt gespielte Karte zuerst, dann die davor usw.

Das ist eine interessante Interaktionsmöglichkeit, die bei anderen Deckbauspielen so nicht gegeben ist. Ob es besser ist, eine Karte im fremden Zug zu spielen oder zu warten, ist jedes Mal eine strategische Entscheidung mit anderen Auswirkungen. Um den Spielanreiz vor allem für Vielspieler zu verstärken, hat jede Karte zudem einen zusätzlichen sogenannten Kick-Effekt. Dieser tritt ein, wenn dessen Farbe mit der Mondphase der vorangegangenen Karte korrespondiert. Kick-Effekte sind hierbei entweder zusätzlich eintretende Effekte oder sie verstärken den normalen Karteneffekt auf für die Gegner unangenehme Weise. Kick-Effekte sind vor allem für Spielanfänger recht schwer auszulösen, da man einfach nicht darauf achtet. Sie haben oft jedoch verheerende Wirkungen.

Um an neue Karten zu gelangen bezahlt man diese mit Einflusspunkten. Zwei werden pro Runde von der Bank ausgegeben, weitere kann man sich durch Karteneffekte oder dem Ablegen von Karten generieren. Somit passiert es im Prinzip nie, dass einem das entscheidende Stück Kupfer fehlt, um im Deckaufbau voranzukommen. Zudem darf man mehrere Karten pro Runde kaufen, welche bei Kosten von zwei bis vier erschwinglich sind.

Zum Abschluss muss man seine Handkarten wieder auf fünf auffüllen (überzählige müssen nicht abgeworfen werden). In dieser Phase kann man auch einen der Wundeneffekte auslösen. Somit sind diese Wunden nicht ganz so blockierend wie Flüche bei „Dominion“, immerhin kann man je zwei Karten ziehen. Hinderlich sind sie aber allemal, zudem es beinahe keine Möglichkeit gibt diese wieder loszuwerden.

Spielbeginn

Abhängig von der Spieleranzahl werden zehnmal so viele Wundenkarten vorbereitet. Anschließend wird mithilfe der Auswahlkarten der 24 verschiedenen Befehlskarten ermittelt, mit welchen acht gemeinsamen Sets, hier „Archive“ genannt, man spielt. Ebenso erhält jeder Spieler zwei private Sets, auf die nur er Zugriff hat. Das ist einem von „Rune Age“ bekannt. (Auf die genaue Erklärung dieses Auswahlprozederes verzichte ich an dieser Stelle. Alternativ sind auch für jeden Mitspieler zwei Schnellstart-Archive vorgeschlagen, deren Karten gut auf einander abgestimmt sind.) Wichtig ist, dass jede Karte nur sieben Mal vorhanden ist, man sich also ranhalten muss, um diese zu ergattern. Zum Schluss erhält jeder Spieler die selben zwölf Startkarten, je zwei Kopien von sechs Kreaturen, die im späteren Verlauf auch nicht mehr erwerbbar sind, wirklich für den Spielanfang konzipiert wurden und nach Verwendung auch entsorgt werden. Fünf Karten davon bilden die Starthand und los geht es.

Spielgefühl

Das düstere Setting ist nicht für jeden geeignet, passt jedoch wie die Faust aufs Auge, da es nur darum geht, die Gegner wie bei „Munchkin“ zu ärgern (um es nett zu formulieren). Die gezeichneten Karten zeigen die restlichen Menschen, Vampire, Ghule & Werwölfe in eindeutigen Posen, wodurch sich die Altersfreigabe „ab 14 Jahren“ ergibt. Das Layout ist definitiv nichts für Zartbesaitete.

Während man bei „Dominion“ Siegpunkte ins Deck integriert, sammelt man bei „Thunderstone“ hoffentlich mehr Monster = Siegpunkte als die Kontrahenten. Bei „Nightfall“ kommt es hingegen zur Inversion des gängigen Spielsystems. Hier geht es darum, die Gegner möglichst stark zu behindern und ihnen Wundenkarten ins Deck reinzuwürgen. Spielziel ist es nämlich am Ende, wenn alle Wundenkarten verteilt sind, die wenigsten davon abbekommen zu haben. Einfach am besten überlebt zu haben. Somit ist „Nightfall“ kein Heile-Welt-Familienspiel für gemütliche Abende unter dem Weihnachtsbaum, denn es gibt keine Mitspieler. Jeder ist ein Gegner. Man benötigt eine ausgewogene Strategie bei der Kartenauswahl, wobei man auch die Gegner im Auge behalten sollte, etwas Glück beim Ziehen (und der Zielauswahl der Gegner) und einen gesunden Mix zwischen Kreatuen und Effekten. Allianzen halten meist nur für einen Spielzug, und es ist günstig, einen Plan B in der Tasche zu haben.

Auswirkung unterschiedlicher Spieleranzahl

Bei einer gegen einen ist das Spielprinzip relativ klar, jedoch vorhersehbar, glückslastig und am wenigstens strategisch fordernd. Je mehr Spieler der bis zu fünf am Start sind, umso umsichtiger muss man mit seinen Karten umgehen und diese zusammenstellen. Denn die vermeintliche Devise „alle gegen den Schwächsten“ ist nicht sonderlich praktikabel. Dies wäre zu kurzfristig gedacht, schließlich muss man nicht besser sein als einer, sondern besser als alle. Dies im Hinterkopf. sollte man dafür sorgen. möglichst gleichmäßig und viel die Wunden bei den Gegnern zu verteilen. Dadurch kommt eine Ausgewogenheit ins Spiel, die erst auf dem zweiten Blick clever anmutet. Zudem hat man mit den bisher erlittenen Wunden zusehends mehr Handkarten (durch den Wundeneffekt), um effektivere Ketten und insgesamt mehr Karten zu spielen. Somit bewirken die Wunden, die bei der Endabrechnung negativ sind ,bis dahin eher positiv.

Mit zunehmender Spielerzahl wird das Spiel überproportional interessanter, die aufgedruckten ca. 45 bis 60 Minuten jedoch immer optimistischer. Die ersten Spiele – oder wenn die Mitspieler allzu friedfertig sind – dauern schon fast zwei Stunden. Dies ist jedoch auch dem Stil der Informationsvermittlung geschuldet. Es werden kaum Symbole verwendet und jede Karte hat ihren eigenen (mitunter langen) Text. Vor allem für Spielnovizen oder nach längerer Zeit muss man immer wieder viel lesen. Wie bei allen derartigen Spielen sind die Kartentexte zudem oft interpretierbar. Dafür gibt es jedoch ein Glossar der Karten welches unter Umständen weiterhilft.

Wiederspielbarkeit

Je öfter man das Spiel spielt, umso besser kommt man mit den Spielmechanismen zurecht, kennt langsam auch die Kartentexte und kann sinnvolle Strategien entwickeln. Seitens der Spiels gibt es durch die für jedes Spiel neue Auswahl aus den 24 Sets der Befehlskarten des Basisspiels genügend Kombinationen, um Vielfalt zu gewährleisten. „Dominion“ oder „Thunderstone“ haben zwar je weit mehr als die etwas über 300 Karten von „Nightfall“ im Grundspiel dabei, wenn man aber die Anzahl der Karten pro Set gegenrechnet, (hier nur sieben Karten), bleiben ebenso über 20 Kartensets aus denen man wählen kann.

Auch wenn das Spiel einmal etwas länger dauert, hat man dennoch keine ärgerliche Downtime. Durch den Ketten-Mechanismus haben auch die anderen Spieler jederzeit die Option, mit den passenden Karten ins Spielgeschehen einzugreifen.

Für Vielspieler gibt es zudem durch die beigelegten Promokarten der Erweiterungen „Blutzoll“ und „Ausnahmezustand“ gleich Appetitanreger für noch mehr Abwechslung an Karten. Warum das jedoch Promokarten sind, bleibt offen. Schließlich sind diese im Karton mit eingeschweißt und es gibt keine andere Art, an diese zu gelangen als durch das Basisspiel. (Eine sinnvolle Crosspromotion sind hingegen die Karten „Wald von Thornwood“ zu „Thunderstone“. Hier ist es also günstig, dass „Thunderstone“ und „Nightfall“ nicht nur beide von AEG sind, sondern auch in Deutschland bei Pegasus Spiele den gleichen Herausgeber gefunden haben.)

Die Qualität der Karten ist leider nicht dem häufigen Mischen der Karten angepasst. Vor allem die schwarze Rückseite wird die Gebrauchsspuren sehr schnell zeigen. Wem dieses Flair zuwider läuft, der kann sich jedoch schon mit einfachen Standardhüllen helfen.

Abschließende Gedanken

Ist „Nightfall“ also ein Mix aus „Dominion“ und „Magic“ mit düsterem Setting? Eine sinnvolle Ergänzung für die Spielesammlung ist „Nighfall“ vor allem für all jene, denen „Dominion“ nicht interaktiv genug ist und die sich mit ihrem Kontrahenten lieber wie bei „Magic“ gegenseitig angreifen. Nachtragend darf man jedoch nicht sein.

Die Story hinter dem Spiel ist simpel aber glaubwürdig-annehmbar. Die Kartenzuordnung wirkt jedoch willkürlich. Die vier Rassen (Jäger, Werwolf, Ghul und Vampir) sind nicht primär jeweils speziellen Mondphasen zugeteilt, wodurch jeder gegen jeden kämpft und kein System erkennbar ist. Es gilt also Spieler gegen Spieler und nicht Werwölfe gegen Ghule; in „Rune Age“ kämpfte man ja hingegen fraktionsweise. Auch gibt es weder Karten, die gegen eine spezielle Rasse wirken, noch Eigenschaften, die speziell eine Rasse hat. Dadurch entzieht sich die Notwendigkeit dieser Einteilung der Kenntnis des Spielers. Spaß macht „Nightfall“ dennoch und bestimmt wird da noch einiges für Erweiterungen zurückgehalten.

Das im Deutschen etwas sperrig klingende „Ketten bilden“ ist die grundlegende Innovation und das wichtige Alleinstellungsmerkmal von „Nightfall“, um sich von ähnlichen Spielen abzugrenzen. Die Gegner angreifen kann jeder, mit Stil durch quasi „aufgeladene Karten“ ist es hingegen eleganter. Effiziente Ketten zu bilden mit der Option eines zusätzlichen Kicks hebt die strategische Herausforderung deutlich, was eben auch das Startspieleralter beeinflusst. Einmal mit diesem Spielmechanismus und der Auswertung vertraut, überzeugt diese noch nicht abgegriffene Spielidee restlos. Alles in allem sind die Regeln sehr simpel und eingängig, aber zugleich mächtig, um kompliziertes Taktieren im Spiel zu erlauben.

Fazit: „Nightfall“ ist ein ambitionierter Nischenfüller für die derzeit populären Deckbauspiele. Wenn man das Spielprinzip der Ketten verinnerlicht hat, steigt die strategische Herausforderung und durch das gängige Baukastenprinzip der pro Spiel neu verfügbaren Kartenstapel ist jedes Spiel eine neue Herausforderung. Eine interessante Alternative zu allen anderen Spielen, eindeutig mit Potenzial in den schon angekündigten ersten beiden Erweiterungen. Eindeutig empfehlenswert.


Nightfall
Kartenspiel für 2 bis 5 Spieler
David Gregg
AEG / Pegasus Spiele 2011
EAN: 4250231715105
328 Karten, Kartentrenner, Spielregeln / deutsch
Preis: EUR 29,95

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