Mythologies

Vampire erzählen sich zahlreiche Legenden, wenn sie unter sich sind: Wie sind einst die ersten Vampire entstanden? Welche Geheimnisse und Schrecken hält der Untod bereit? Und gibt es Dinge da draußen, die Jagd auf die Jäger machen? Diesem reichen Legendenschatz widmet sich das vorliegende Buch. Einige dieser Legenden könnten wahr sein…

von Christian Beier

 

Wie es sich für ein Buch dieser Art gehört, ist schon die Einleitungsgeschichte ein faszinierender urbaner Mythos über eine etwas andere Form des Vampirismus. Auch wenn ich nicht zu viel des Inhalts der Geschichte „Fading away“ verraten möchte, so muss ich sagen, dass ich noch nie so viel Spannung auf so wenige Seiten konzentriert gesehen habe. Eine sehr gute Einstimmung auf das Thema des Buches.

Die Einleitung ist relativ typisch für ein „Vampire“-Buch: Es werden der grundlegende Aufbau des Buches erklärt, Thema und Stimmung festgelegt und allgemeine Hinweise gegeben, wie das Buch in einer Chronik verwendet werden kann. Das Buch ist sowohl für Spieler, wie auch für Erzähler geeignet, auch wenn letztere meiner Meinung nach wesentlich mehr vom Buch haben werden.

In den einzelnen Kapiteln werden die verschiedenen Mythen (die sich teilweise gegenseitig ausschließen) jeweils kurz vorgestellt, gefolgt von einigen Spielleiterhinweisen und den Auswirkungen, welche es auf das Setting hätte, sollte der Mythos der Wahrheit entsprechen.

Kapitel Eins „Damnation“ beschäftigt sich mit den möglichen Entstehungsmythen von Vampiren. „Blood of the Bull“ bringt Vampirismus mit den Mithraskulten Persiens in Verbindung. „Sons of the Serpent“ erzählt eine etwas düsterere Version der Verführung Evas durch die Schlange (Warnung: nicht ganz jugendfrei). „Embraced by Fear“ greift den durch den Ordo Dracul propagierten Mythos der spontanen Vampirwerdung auf und zeichnet ein Bild von fünf Individuen, welche sich aus Angst vor dem Tod ihren größten Schwächen hingeben. „Blood Gods“ macht aus Vampiren die Überbleibsel von Halbgöttern. „Emperors of Blood“ schließlich geht einen ähnlichen Weg wie „Embraced by Fear“, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass in diesem Szenario verschiedene römische Kaiser die Rolle der ersten Vampire einnehmen und einige der römischen Bräuche unter diesem Gesichtspunkt in einem etwas düsteren Licht erscheinen lässt.

Während die Legenden des ersten Kapitels sich auf die ferne Vergangenheit beziehen, geht Kapitel zwei „Modern Legendry“ auf diejenigen Legenden ein, welche sich in der Stadt der Charaktere ereignet haben (könnten). „Eaters of Sin“ beschreibt eine Art von Vampiren, welche mit dem Blut die Sünden ihrer Opfer aufnehmen und „Breath-Drinkers and Liver-Eaters“ beschreibt solche, die sich von anderen Dingen als Blut ernähren. „Solace“ verbindet Vampire mit dem 21. Jahrhundert und bringt eine Droge ins Spiel, welche Vampiren sich wieder menschlich fühlen lässt – für eine Weile. „The Sleep of Reason“ ermöglicht es Vampiren angeblich, die Träume von Menschen in sich aufzunehmen und führt die mysteriöse Traumwelt ein.

Die folgenden zwei Subkapitel beschäftigen sich damit, was mit einem Vampir passiert, wenn er in Starre fällt. „Understanding the Fog of Eternity“ deutet ein Muster hinter den falschen Erinnerungen nach der Starre an, gewisse mythologische Archetypen, die sich in das Bewusstsein des Vampirs einschleichen. „The Second Death“ (mein persönlicher Lieblingsabschnitt) geht davon aus, dass Vampire, die in Starre fallen, in die Unterwelt eingehen, bis sich ihr Körper erholt hat. „Art in the Blood“ beschreibt ein Ritual, welches den Geist eines Vampirs oder Ghuls in ein Porträt bannt. Meiner Meinung nach eines der schwächsten Kapitel, da nur von sehr begrenztem Nutzen, um daraus eine Geschichte zu entwerfen.

Kapitel drei „What Monsters Fear“ beschreibt, wie der Name schon sagt, Dinge vor denen Vampire Angst haben. „The Thing in the Mirror“ ist eine Art Candyman für Vampire: recht konventionell, aber mit ein paar netten Ideen. „The Just Angel“ beschreibt einen angeblichen Engel, der immer wieder in Städten auftauchen soll, um die dort anwesenden Vampire zu richten. „Blood Curses“ macht das Leben für Vampire schwerer, wenn durch einen Fluch die traditionellen Volkweisheiten (Knoblauch, fließendes Wasser etc.) zu einer sehr realen Bedrohung werden. „My Ghoul, My Master“ kehrt das Herrschaftsverhältnis in der vampirischen Welt um und zeigt Ghule, die ihre Herren versklaven. „Frenzy Plague“ beschreibt eine seltsame Blutkrankheit, welche das Tier im Vampir aufstachelt. „Black Hounds“ und „The Hunter“ sind zwei sehr unterschiedliche Bogeyman-Geschichten über Kreaturen, welche Vampiren nachstellen und sie vernichten möchten. „Dreadful Night of the City“ schließlich macht die Dunkelheit und Sünde der Stadt selbst zu einer intelligenten und sehr, sehr hungrigen Kreatur.

Fazit: Eines der besten Quellenbücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Dieses Buch hat alles, was ich bei der Veröffentlichung von „Vampire: The Requiem“ gut fand, und nichts von den Dingen, denen ich noch immer kritisch gegenüberstehe. Es gibt fast nichts, was an diesem Buch nicht stimmt (abgesehen von meiner Meinung zu Hardcover-Quellenbüchern, die ja aus meinen anderen Rezensionen zur Genüge bekannt sein dürfte). Natürlich könnte es Leute geben, die mit dem Buch Probleme haben, weil sie a) lieber einen definitiven Hintergrund als diffuse Gerüchte oder b) lieber crunchy Regeln, statt viel Hintergrund haben wollen. Wer indes nicht zu diesen beiden Kategorien gehört, der kann bei diesem Buch ohne Bedenken zugreifen.


Mythologies
Quellenbuch
Matthew McFarland, Robin D. Laws, Kenneth Hite u. a.
White Wolf 2006
ISBN: 1-58846-265-X
142 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 26,99

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