Montsegur 1244 (Narrativa)

Im Jahre des Herrn 1244 stehen die Heere vor der Burg Montsegur, auf der sich die Sekte der Katharer versteckt hat. Der Fall der Festung steht unmittelbar bevor – wirst du deinen Glauben verteidigen, diesem abschwören oder fliehen? Im Erzählspiel „Montsegur 1244“ übernehmen die Spieler die Rollen der Katharer, erzählen die Geschichte der Burg nach und interpretieren die historischen Ereignisse komplett neu.

von Ansgar Imme

Schon vor einigen Jahren gab es in bekannten Rollenspielforen Empfehlungen zu sogenannten Erzählspielen als Weiterentwicklung der üblichen Rollenspiele. Ulisses Spiele hat sich entschieden, drei der bekanntesten und beliebtesten Spiele („Dogs of the Vineyard/Hunde im Garten des Herrn“, „My Life with Master/Stets zu Diensten, Meister“ und „Montsegur 1244“) als Luxusedition in kleiner Auflage von 300 Stück auf den Markt zu bringen sowie eine günstigere PDF-Version zu veröffentlichen. Ulisses übersetzt dabei die umfangreiche italienische Version und orientiert sich nicht an den kürzeren Originalpublikationen.

„Montsegur 1244“ stammt vom schwedischen Autor Frederik J. Jensen und schildert die historische Begebenheit der Belagerung der französischen Burg Montsegur in den Jahren 1243 und 1244. Auf der Burg hielten sich die sogenannten „Katharer“ auf, eine auf dem frühen Christentum beruhende Glaubensgruppe, die vom Papst und der Inquisition verfolgt wurde. Im Spiel erlebt man den Beginn der Belagerung, danach die lange Zeit mit immer knapper werdender Versorgung bis hin zur Aufgabe der Burg. Schließlich muss man sich als Überlebender entscheiden, ob man seinem Glauben abschwört oder auf dem Scheiterhaufen verbrennt.

Im (würfellosen) Spiel erschaffen die Spieler im Lauf von vier Akten dabei die Geschichte des Falls der Burg und seiner Insassen. Sie erzählen, wie sie während der Belagerung agieren und zu ihrer Entscheidung kommen sowie warum so viele den Tod wählen, statt dem Glauben abzuschwören. Dabei werden in jedem Spiel die historischen Geschehnisse neu interpretiert.

Das Spiel besteht aus einer mattschwarzen Box und enthält eine Spielanleitung mit 56 Seiten, einen Spielplan aus Kunstleder, 12 Charakterkarten, 16 Handlungskarten, 24 Szenenkarten, 3 Faltblätter mit Charakterinformationen, eine Häretikerfigur, eine hölzernes Katharerkreuz, einen Narrativa-Notizblock und einen Narrativa-Bleistift. Sofern man das Spiel als PDF erwirbt, sind mit Ausnahme von Block und Bleistift alle Unterlagen im PDF eingearbeitet und ausdruckbar (insgesamt 113 Seiten). Leider enthält im PDF jeweils eine Seite eine Szenen-, Handlungs- und Charakterkarte, während im Original die Karten nur etwa Spielkartengröße haben. Gleichzeitig ist der Spielplan, der im Original DIN-A3 bis DIN-A2 Größe hat, auch auf einer Seite untergebracht. Hier ist beim Ausdruck ein wenig Flexibilität gefordert.

Nach dem Aufbau des Spielplans mit Szenenkarten und Handlungskarten (der als eine Art Spielbrett zur Unterstützung dient, an welcher Stelle man sich gerade befindet), wählt jeder aus den 12 vorhandenen Charakteren der Reihe nach abwechselnd solange aus, bis alle Charaktere vergeben sind. Es ist explizit gewünscht, dass jeder mehrere Charaktere übernimmt (je nach Spielerzahl von 3-6 also etwa 2-4 Charaktere). Alle Charaktere sind den Zielen der Katharer wohlgesonnen, müssen aber keine strengen Gläubigen sein. Jedes Charakterblatt enthält neben einem Portrait noch ein wenig Hintergrund zur Figur. Da es keine Spielwerte gibt und die Charaktere auf historischen Vorbildern beruhen, könne die Spieler durch drei Fragen, die sie zur Figur beantworten müssen, diese individualisieren. Von den ausgewählten Charakteren muss jeder Spieler eine Figur als Hauptcharakter auswählen, die bis zum Epilog nicht sterben darf.

Das Spiel wird in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog gespielt. Im Prolog verüben die Katharer in der nahegelegenen Stadt Avignonet ein Attentat auf einen Inquisitor, ehe in den vier Akten die Belagerung beginnt, der Winter immer härter wird und die Stimmung schlechter, es zur Schlacht um die Burg kommt und die Burg und seine Bewohner kapitulieren müssen. Im Epilog steht man schließlich vor der Entscheidung, ob man seinem Glauben abschwört oder dafür auf den Scheiterhaufen geht.

Der Ablauf des Spiels hat eine vorgegebene Form: Der Spieler mit der tiefsten Stimme (laut Spielanleitung genau so formuliert) erhält das gelbe Kreuz des Häretikers und beginnt das Spiel. Nach seiner Runde geht es an den nächsten Spieler über. Der Spieler mit dem gelben Kreuz liest den Hintergrundtext des Aktes vor. Vom Ablauf her bereitet in jedem Akt (im Prolog gibt es dagegen nur eine gesamte Szene, der Epilog beschließt das Geschehen) jeder Spieler beginnend mit dem Häretiker-Kreuz-Spieler eine Szene vor, in der sein Charakter handelt und in die er Charaktere seiner Mitspieler einbringen darf. Der Spieler beschreibt, wo und wann die Szene stattfindet, welche Personen anwesend sind und welchem Zweck die Szene dient. Bevor der Spieler die Szene vorbereitet, zieht er noch eine Szenenkarte, auf der sich ein Satz befindet, den der Spieler in die Szene einbauen sollte. Der ausführende Spieler hat dabei das Erzählrecht und kann auch neue Elemente einbringen, den Ort und die Zeit der Szene verändern und schließlich die Szene beenden. Wenn die Szene beendet ist, behält man seine Szenenkarte, da man mit dieser auch eine Szene eines anderen und damit dessen Erzählrecht übernehmen kann, um z.B. der Handlung eine weitere Person zuzuführen oder zu einem anderen Ort zu wechseln. Der abgebende Spieler zieht zudem eine Handlungskarte, auf der sich Personen, Gegenstände oder Ereignisse wiederfinden, die in die Handlung eingebaut werden können. Durch die Szenen- und Handlungskarten sollen einerseits die Spieler überrascht und zur Kreativität animiert werden, andererseits wird jedes neue Spiel von „Montsegur 1244“ dadurch auch immer wieder neu interpretiert.

Bewertung

Eine Bewertung von „Montsegur 1244“ fällt nicht leicht. Vermutlich werden Spieler es nur lieben oder hassen können und sich einige auch sehr schwer damit tun, sich auf das Setting und die selbstbestimmte, freie Handlungsweise einzulassen. Einerseits wirkt „Montsegur 1244“ durch den Spielplan und eine Art Reihenabfolge wie ein Brettspiel (im Gegensatz zu den beiden anderen „Narrativa“, die Ulisses veröffentlicht). Andererseits bietet es innerhalb der einzelnen Akte ein komplett freies Spiel (klassische Sandbox), indem jeder Spieler sogar aufgefordert ist, Szenen zu kreieren. Im Gegensatz zum „normalen“ Rollenspiel kann man sich somit keine Pause gönnen oder gar ganz auf das Mitspielen „verzichten“, sondern die eigene Kreativität wird stark gefordert. Spieler, die einen festen Ablauf erwarten oder Mechanismen folgen wollen, werden hier wenig Spaß haben. Unterstützt und angeregt wird der Ablauf dafür durch die Handlungs- und Szenenkarten, die Impulse geben und einem ansatzweise kreativen Spieler weiterhelfen. Speziell Rollenspieler aus klassischen und bekannten Systemen wie „DSA“, „D&D“ oder auch der „Welt der Dunkelheit“ werden zudem mit dem Spiel ohne Spielleiter und dem selbstbestimmten Spiel anfängliche Eingewöhnungsprobleme haben.

Trotz aller Freiheiten ist es dann doch aber wieder auch von Zeit, Rahmen und Ort begrenzt, da sich nahezu alles auf der Burg abspielt und die Spieler gewissen vorgegebenen Grundsituationen folgen respektive sich in diese einfühlen müssen. Hier ähnelt es zum Teil den bekannten Krimi-Spielen, in denen man ebenso einen vorgegebenen Rahmen hat, innerhalb dessen man agieren kann – wobei dort sicherlich der Handlungsrahmen etwas enger ist.

Als herausfordernd stellen sich das Einfinden in das Mittelalter von vor fast 800 Jahren und erst recht die Darstellung einer christlichen Sekte in diesem Zeitraum dar. Da vermutlich viele Spieler vorher schon einmal mit Fantasy-Rollenspielen in Kontakt waren, welche oft eine abgewandelte Form des Mittelalters darstellen, wirkt dies zunächst vertraut. Letztlich gibt es da aber doch einige Unterschiede und ohne leichte geschichtliche Vorkenntnisse mag es in der einen oder anderen Runde zu Unstimmigkeiten kommen. Als Hilfe bietet „Montsegur 1244“ aber einen umfangreicheren Anhang, der hier ein wenig unterstützt und Tipps bietet. Die Darstellung der Sekte (die auch mit Material versorgt wird) stellt ebenso eine Herausforderung dar, da man sich das Verhalten frühchristlicher Sekten nur schwer vorstellen kann.

Ein abschließender Satz noch zur Preisgestaltung: Durch die kleine Auflage und vom Material her qualitativere Ausstattung gibt es das Spiel nur sehr hochpreisig. Gefühlt ist „Montsegur 1244“ – trotz gleichen Preises – gegenüber den beiden anderen Spielen eher teurer, da dort die Ausstattung umfangreicher ist. Sehr günstig bekommt man dagegen die PDF-Version, die es auf der E-Books-Seite des Verlags für gerade mal 5 Euro zu kaufen gibt.

Fazit: Spieler, die ein freies Spiel schätzen, werden größtenteils ihre wahre Freude haben und müssen sich nur auf den Handlungsrahmen einlassen. Wer hingegen einen Spielleiter benötigt, der Ordnung schafft und den Überblick behält oder lieber Brettspiele beziehungsweise Spiele mit klaren Mechanismen und Regeln spielt, ist hier an der falschen Stelle. Wer damit keine Probleme hat und sich offen zeigt, wird ein neues und anderes Spielerlebnis erleben.


Narrativa: Montsegur 1244
Erzählspiel
Frederik J. Jensen
Ulisses Spiele 2014
ISBN: 386889263X
113 Seiten (PDF) bzw. 57 Seiten + Zubehör (Spiel), deutsch
Preis: EUR 79,95

bei amazon.de bestellen