Monsterkontrolle

Ein Yeti im Supermarkt, der kein Vanille-Eis mag. Ein Kerl, der täglich seine Farbe und damit seine Superkraft ändert. Feuer speiende Katzen, ein interdimensionaler Papier-Gnom, ein Sukkubus, für den Sex bloß noch lästige Pflicht ist – und dazwischen ein paar ganz normale Menschen, deren Gehirne all diese Ereignisse am liebsten sofort wieder vergessen würden. Willkommen bei A. Lee Martinez’ „Monsterkontrolle“, einem Ausflug der etwas anderen Art ins Amerika der kleinen Leute.

von Frank Stein

Judy ist eine kleine Angestellte in einem Supermarkt. Eines Nachts stellt sie fest, dass ein Yeti in der Tiefkühlabteilung hockt und das ganze Eis frisst. Schreit sie panisch auf und flieht? Geht sie mutig zum Angriff über? Nein, sie marschiert – zumindest ein wenig verdattert – bloß ins Büro ihres Chefs, nimmt ein Telefonbuch und ruft eine Hotline für entlaufene Tiere an. Die verbinden sie weiter und schicken ihr einen komischen blauen Typen, der sich Monster nennt und mit einem runenverzierten Baseballschläger den Yetis (es werden am Ende drei sein) eins auf die Mütze gibt. Dann lässt er sich das Ganze abzeichnen und macht sich wieder auf den Weg. Judy glaubt zwar, den Vorfall nie wieder vergessen zu können, doch Monster verspricht ihr, dass das schon bald passieren wird. Das menschliche Gehirn tickt nun mal so, dass es das Übernatürliche nicht akzeptiert.

Viel trockener (im humorvollen Sinne) kann man die Eingangsszene eines Romans, der im besten Sinne des Begriffs als Urban Fantasy zu beschreiben ist, kaum formulieren. Doch A. Lee Martinez, der sich mit schrägen Romanen wie „Diner des Grauens“, „Die Kompanie der Oger“ und „Der automatische Detektiv“ seinen Platz in der humoristischen Phantastik erschrieben hat, liebt seinen Witz scheinbar gut abgehangen und von einem gewissen Understatement begleitet. Dass diese Lustlosigkeit, mit der Monster seinem Job nachgeht, und das beinahe desinteressierte Verhalten von Judy in dem Fall Methode ist, dem ein erfrischend neues Konzept der Parallelexistenz von Magie und Normalität zugrunde liegt, wird sich erst im Laufe des Romans erschließen.

Aus dem Zusammenstoß völlig gewöhnlicher, kleiner Leute und dem Übernatürlichen entstehen für gewöhnlich Geschichten wie „Ghostbusters“ oder „Die dunklen Fälle des Harry Dresden“. Andererseits gibt es in diesen Geschichten Helden, die eine Affinität zum Übernatürlichen haben, die neugierig sind und über sich hinaus wachsen, um die Welt zu retten. Wer solch eine Heldengeschichte erwartet, braucht bei „Monsterkontrolle“ einen langen Atem. Denn die Magie ist flüchtig, die Menschen aus einer universellen Notwendigkeit heraus vergesslich und Monster, der so etwas wie der Protagonist der Handlung ist, ein unverbesserlich Anti-Held, der absolut keine Lust hat, seinen Hals für andere zu riskieren, der sich in der Manier eines Kleinkriminellen aus jeder Krise herauszulavieren versucht und der erst eine ganz besondere Begegnung haben muss (nein, es ist nicht Judy), um zumindest kurzzeitig umzudenken.

Entsprechend plätschert die Handlung von „Monsterkontrolle“ zunächst ein wenig vor sich hin. Der Umstand, dass Judy und Monster zusammen Yetis (und später Trolle) bekämpfen, macht sie keinesfalls zu einem Team. Auch hierin unterwandert Martinez die Lesererwartungen – mit der Folge, dass man sich im Mittelteil schon ein wenig fragt, wohin das Ganze führen soll, wenn sich doch alle Figuren in jedem Kapitel die größte Mühe geben, sich vor jedem Abenteuer zu drücken und jede Aufregung möglich bald wieder zu vergessen. Stellenweise liest sich das Buch wie der Kampf des Autors mit störrischen Figuren, die einfach keine Handlungsträger sein wollen.

Dennoch gelingt es Martinez auf erstaunliche Weise, einen bei der Stange zu halten – zunächst durch rätselhafte Begebenheiten, dann, weil man einfach nicht glauben will, dass Protagonisten sich erfolgreich ihrer dramaturgischen Herausforderung entziehen können, schließlich, weil das Finale doch kräftig was auspackt und zwischen Metaphysik und Special-Effects-Orgie einen Konflikt zur Auflösung treibt, bei der es – man liest es bereits im Klappentext und hält es für den typischen Marketingspruch, doch diesmal stimmt es wirklich – um nichts weniger als die Zukunft des Universums geht.

Fazit: „Monsterkontrolle“ erinnert ein wenig an Geschichten wie „Men in Black“, „Ghostbusters“ oder „Harry Dresden“ – wenn man die jeweiligen Helden weglässt und durch kleine Leute ersetzt, die zu sehr mit ihren Alltagsproblemen zu kämpfen haben, um wirklich scharf auf eine Auseinandersetzung mit dem Übernatürlichen zu sein. Die vergessen, was sie erleben, weil sie nicht anders können, oder zumindest vergessen wollen, weil sie keine Lust haben, sich in irgendeinen Scheiß verwickeln zu lassen, der sie gar nichts angeht. Diese konsequenten Antihelden mixt A. Lee Martinez mit einem interessanten Magiekonzept und einer sich schleichend als alles Dasein bedrohend entpuppenden Gefahr zu einem Roman, der mit trockenem Humor eine etwas andere Art von Urban Fantasy bietet. Für Leser, die bereit sind, sich in ihren Erwartungen herausfordern zu lassen, eine echte Empfehlung!


Monsterkontrolle
Urban Fantasy
A. Lee Martinez
Piper 2010
ISBN: 978-3-492-26702-1
381 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,95

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