Might & Magic Heroes – Das Brettspiel

Wer in den 1990er-Jahren vor dem PC hockte und Videospiele zockte, der wird sich noch voller Nostalgie an sie erinnern: die „Might & Magic“-Rollenspiele, die uns – in krudem Pseudo-3D – in fantastische Welten voller Monster und Abenteuer entführten. Später kam mit „Heroes of Might & Magic“ ein Strategieableger hinzu, der es bis 2011 immerhin in die sechse Inkarnation schaffte. Nun ist das digitale Vergnügen unter dem Titel „Might & Magic Heroes“ von der polnischen Spieleschmiede Axel in ein analoges Brettspiel für zwei bis vier Fantasy-Generäle umgesetzt worden.

von Frank Stein

Wenn man in die schön gestaltete Spielbox hineinschaut, bekommt man schon einen guten ersten Eindruck davon, was einen bei einer Partie „Might & Magic Heroes“ erwartet. Pappmarker, Spielkarten, Spielplanteile, Heldenbögen, Holzklötzchen und Würfel füllen die Box fast bis zum Rand aus. Dabei ist sowohl die Optik gelungen als auch die Qualität des Spielmaterials sehr ordentlich. Man merkt sofort: Nicht nur Fantasy Flight Games kann opulente Genre-Spiele.

Das 23-seitige Regelwerk lässt sich gut lesen und erklärt vor dem Spiel in angenehmen Sinnzusammenhängen die relevanten Mechanismen. Was sofort ins Auge fällt: Im Spiel selbst kommen enorm viele Symbole vor, die eine gewisse Bedeutung haben. Dabei spreche ich noch nicht mal von Gold-, Ressourcen-, Artefakt- oder Schriftrollensymbolen. Nein, es sind vor allem die 10 Magieschulen, die 20 Heldenfähigkeiten, die 7 Kampffähigkeiten der Einheiten und Begegnungsmarker (soll heißen: Monster) sowie die grafisch dargestellten Effekte der Stadtausbauten, die gerade Anfänger unablässig im Regelwerk nachblättern lassen, was nun dies oder jenes genau bedeutet. Hier wäre eine Übersicht sehr schön gewesen, die bedauerlicherweise fehlt.

Eine Partie spielt sich im Laufe von neun, zwölf oder fünfzehn Runden ab – je nachdem, wie episch es die Spieler gerne haben. Gespielt wird auf einem modularen Spielplan, der, abhängig von der Zahl der Spieler, unterschiedlich groß ausfällt und Dank diverser Zufallsmechanismen bei jeder Partie ein wenig anders aussieht. Zu Beginn wählt sich jeder Teilnehmer eine der vier Fraktionen aus (die sich letzten Endes spielerisch nur im Detail unterscheiden) und nimmt sich deren Helden, Kreaturen und Spielmaterialien. Während der folgenden Spielrunden – „Wochen“ genannt –, gilt es dann, mit den Helden die Landkarte zu erkunden, Begegnungen zu überstehen und Orte zu erforschen, um mithilfe von Erfahrung, Gold und Ressourcen die eigene Hauptstadt auszubauen, neue Helden anzuwerben und ihnen jeweils Armeen aus je vier verschiedenen Wesenstypen (jeweils in Standard- und Elite-Ausführung) zuzuteilen. Dafür hat man drei bis vier Aktionskarten vor sich liegen, die verschiedene Aktionen ermöglichen (Helden aktivieren, Bauen, Rekrutieren und Rohstoffe fördern) und in jeder Runde zur Verfügung stehen.

Das Ganze ist eine höchst stimmungsvolle Angelegenheit. Wenn man mit seinen durch Namen, Porträt und Fähigkeiten individualisierten Helden über den farbenprächtigen Spielplan zieht, um sich an kniffligen Gegnern zu versuchen und nach einer knapp siegreich ausgegangenen Schlacht die gerechte Belohnung abzuholen, ist für Identifikation und Spannung schnell gesorgt. Das kann so weit gehen, dass man das eigentliche Spielprinzip, das Sammeln von Siegpunkten, außer Acht lässt und in den zwölf Wochen eines Standardspiels einfach die Welt erkundet, die eigene Stadt ausbaut und den möglichst perfekten Helden zu formen versucht.

Dabei geht es im Grunde darum, als Erster zwölf Siegpunkte zu erringen. Siegpunkte bekommt man vor allem durch das Erforschen gewisser Orte, die meist von besonders schwer zu bezwingenden Ungeheuern bewacht werden. So oder so existieren jedoch kaum genug Siegpunktschauplätze auf dem Spielbrett, um eine Partie gemütlich zu gewinnen. Das Spiel setzt hier eindeutig auf ein Konfliktkonzept, das auch vorsieht, dass Spielerhelden sich gegenseitig Goldminen, Sägewerke und Erzgruben abzuluchsen versuchen. In diesem Fall wird die Herausforderung natürlich noch deutlich größer, denn Fertigkeitskarten, Zaubersprüche und Artefakte machen manchen Helden zur wahren Kampfsau.

Der einzige Kritikpunkt, den sich das Spiel gefallen lassen muss, ist die enorme Spieldauer. Die Box gibt vorsichtig 2h+ an, womit definitiv die kürzest denkbare Dauer einer Partie abgedruckt wurde. Im Standardspiel kann man selbst mit bloß zwei Personen ganz schnell vier Stunden beschäftigt sein. Auf der Website des deutschen Partners Heidelberger werden zwischen 120 und 360 (!) Minuten angegeben. Man sollte also Zeit mitbringen, um „Might & Magic Heroes“ zu genießen. Fans echt epischer Fantasy-Spiele wird das nicht stören, denn letzten Endes ist bei solchen Brettspielen ja ohnehin der Weg das Ziel. Für Gelegenheitsspieler jedoch, die an einem Abend drei bis vier Spiele zocken wollen, ist das Ganze eher nichts.

Fazit: „Might & Magic Heroes“ ist eine tolle Adaption des erfolgreichen Videospielfranchises. Das Spielmaterial kommt bunt und wertig daher, die Atmosphäre beim Erforschen der Weltkarte kann als absolut gelungen bezeichnet werden. Das Regelwerk hat ein paar Macken im Detail und die Spieldauer ist enorm. Für die heitere Runde Zwischendurch ist das Ganze nichts. Aber wer sich an einem langen Wintersamstag in eine ferne Welt entführen lassen möchte, um dort Monster zu bekämpfen, Schätze zu bergen und seine Helden aufzuleveln, der ist hier absolut richtig. Eine Empfehlung für Spieler, die „Runebound“ und „Mage Knight – Das Brettspiel“ mochten.


Might & Magic Heroes
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Marcin Tomczyk
Axel-Malina/Heidelberger Spieleverlag 2014
EAN: 4015566033030
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,95

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