Midgard: Die Geburt der Dunklen Götzen

Wenn Imperien sterben, geschieht dies nicht still und leise. Zu lange und zu machtvoll war ihre Existenz, als dass all dies nun mit einem Schulterzucken abgetan werden könnte. Wenn Imperien sterben, geschieht dies nicht freiwillig. Die bis dato herrschenden Klassen versuchen ihr möglichstes, um den lieb gewonnenen Status quo aufrecht zu erhalten – auch wenn diese Möglichkeiten weit über das hinaus gehen, was man allgemein als Recht und Anstand betrachtet. Als das Valianische Imperium stirbt, suchen die Seemeister Hilfe im Reich der Schwarzmagie...

von Christian Humberg

Leistungskurs Geschichte

... und das hätten sie besser mal gelassen, denn wie der geneigte "Midgard"-Spieler weiß, führte diese Verzweiflungstat zur Entstehung der Dunklen Dreiheit, den Zauberfürsten von Uchana. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.
Wir befinden uns am Ende des sechzehnten Jahrhunderts nL. Das Valianische Imperium, einst stark und mächtig, hat viel von seinem Glanz verloren. Von einer kleinen Inselgruppe im Meer der fünf Winde ausgehend, hatte man seinen Machteinfluss kontinuierlich und erfolgreich ausweiten können, bis ein Großteil der bekannten Welt unter valianischer Knute stand. Der valianische Pelarch, der von der Hauptstadt Candranor aus regierte, hatte die Seemeister an seiner Seite. Jene mächtigen Magier beherrschten die Elemente und die Natur, sie konnten Wesen ebenso ihren Willen aufzwingen, wie sie auch über Wind und Wellen zu bestimmen vermochten. Diese Fähigkeiten, sowie die vom Imperium generell demonstrierte Stärke führten dazu, dass den valianischen Armeen von vorneherein der Ruf der Unschlagbarkeit voraus eilte. Niemand, der noch etwas zu verlieren hatte, legte sich freiwillig mit des Pelarchen Macht an.

Doch Macht korrumpiert, dies galt auch in der damaligen Zeit. Geblendet von ihrer strategischen und militärischen Stärke, übersahen die Herrschenden den Umkehrschluss aus dieser Tatsache: Hatten die unterdrückten Völker erst einmal nichts mehr zu verlieren, gab es erst nichts mehr, was man ihnen noch nehmen konnte, war der Weg frei für Verzweiflungstaten. Für ein letztes, sich selbst aufgebendes Aufbäumen derer, die mit der sozialen Situation und der valianischen Zivilisation nicht einverstanden waren. Was folgte, war ein Krieg an gleich mehreren Fronten – und genau dies überforderte das Imperium und stürzte das einstmals so stolze Reich schließlich in den Untergang. Barbaren wie auch Feuerbeschwörer lehnten sich offen gegen den Pelarchen und seine Macht auf, sodass die Grenzen des Imperiums wieder hart umkämpft waren. Gleichzeitig erschütterten verbitterte und äußerst blutige Sklavenaufstände sowie Intrigen und Verschwörungen das Innere des Reiches. Als Folge dieses Vielfrontenkampfes verloren selbst die Seemeister ihre vereinte Front und spalteten sich, uneins über die Mittel, mit welchen man diesen Aufständen vielleicht noch Einhalt zu gebieten vermochte, auf. Manche verschrieben sich in ihrer Not den dunklen Seiten der von ihnen doch so eindrucksvoll beherrschten Magie. Und bezahlten dafür einen Preis, der die Welt, wie sie bis dato war, nachhaltig und grundlegend verändern sollte.

Dies ist die Geschichte jener vergangenen Tage. Die Geschichte vom Ende dessen, was Valian einst groß machte: Stärke und Einigkeit.

Historienschinken fürs RPG

Wer dieser Rezi bis hierher gefolgt ist, dem ist "Midgard" vermutlich ohnehin ein Begriff. Allen anderen sei von der Lektüre dieses beachtlichen und eindrucksvollen Romans eher abgeraten. Dies liegt nicht an der Qualität der Erzählung! Alexander Huiskes‘ Fantasyroman ist eine spannende und stilistisch sehr überzeugende Fleißarbeit in Sachen valianischer Geschichtsschreibung und liest sich flüssig und angenehm. Doch stößt der völlig unbedafte "Midgard"-Fremdling bei so vielen Querverweisen und Anpielungen sicher schnell an seine Verständnis- und Aufnahmegrenzen.
Huiskes‘ Fachkenntnis ist beachtlich. Mit viel Liebe zum Detail widmet sich der Autor, der auch als Schreiber für die Quellenwerke dieses und anderer Systeme (etwa "Perry Rhodan") fungiert, seiner Geschichte und liefert Fans dadurch eine willkommene Exkursion in die Vorzeit der Tage, in welchen sich das Rollenspiel aufhält. "Die Geburt der Dunklen Götzen" erzählt und bebildert somit Ereignisse, die dem "heutigen" Abenteurer nur noch aus Überlieferungen und Legenden bekannt sind – hier erhält er nun die harten Fakten.

Der Roman folgt vielen verschiedenen Schauplätzen und Figuren, im Laufe der 400 Seiten entwickeln sich aber Tebal Girzadim, führender Stratege Valians, Elekander, Bibliothekar aus Thalassa, und die erfrischend selbstreferentielle Hexe Sathardu zu den eigentlichen Protagonisten. Mit ihnen gelangt der Leser von den Machtzentren Valinars bis in die entlegenen Gegenden der tegarischen Steppe, über deren Geschichte und Kultur der Roman auch einiges zu berichten weiß. Ein informativer Anhang mit Karte, Infomationstext und einem Glossar hilft dem nicht ganz so "Midgard"-kundigen Leser beim Verständnis des doch sehr detailreichen Abenteuers.

Fazit: "Die Geburt der Dunklen Götzen" ist ein Sittengemälde der klassischsten Art: Sehr detailreich und informiert schildert Alexander Huiskes den Untergang Valians als Resultat aus Intrigen, Verschwörungen und der mit lang anhaltender Macht einhergehenden Hybris. Die aus Verzweiflung geborene Hinwendung einiger Seemeister zur Schwarzmagie wird, wie der Kenner weiß, das Antlitz Midgards nachhaltig verändern. Dieser Roman liefert die Geschichte dazu.


Die Geburt der Dunklen Götzen
Rollenspiel-Roman
Alexander Huiskes
Pegasus Spiele 2004
ISBN: 3937826211
418 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 12,95

bei amazon.de bestellen