Midgard – Das Brettspiel

Die Welt des urdeutschen Rollenspielklassikers „Midgard“ wurde 2007 in Form eines Brettspiels neu herausgebraucht, um nicht zuletzt den Bekanntheitsgrad zu erweitern und neue Fans zu gewinnen. Es gilt, fünf Prestigepunkte zu erlangen, um als legendärer Held den Spielsieg zu erringen.

von Lars Jeske

 

 

Die sagenhafte Welt von „Midgard“, dem seit über 25 Jahren erfolgreichen deutschen Fantasy-Rollenspiel … sagt mir nichts. Somit kann ich, ohne vom Mythos voreingenommen zu sein, für das auf diesem Hintergrund und Regelwerk basierenden Brettspiel von Lutz Stepponat eine Rezension schreiben, die vermutlich nicht in blinder Heldenverehrung gipfelt.

Für 3 bis 5 Spieler geht es bei diesen Brettspiel darum, in laut Verpackung 90 bis 120 Minuten den legendären Helden zu bestimmen, also denjenigen Spieler, dem es zuerst gelingt, durch das Bereisen der Städte von Midgard fünf Prestigepunkte zu erlangen. Ob man dies allein versucht oder sich mitunter die Dienste anderer Mitspieler sichert, um leichter eine Aufgabe erfüllen zu können, bleibt jedem selbst überlassen. Letztendlich kann es nur einen Sieger geben.

Ein Spiel das alles vereint

Dieses Spiel ist die Antwort auf die ungestellte Frage, ob es eines gibt, welches (fast) alle Spielmechanismen mit einander vereint. Das Spiel ist dabei sowohl kooperativ, als auch kompetitiv und besitzt einen variablen Spielplan.

Aus der ursprünglichen „Midgard“-Welt der Rollenspieler kommen die klassischen Eigenschaften jedes Helden. Um es nicht zu kompliziert zu gestalten, werden diese durch Gewandtheit, Intelligenz und Stärke wiedergegeben. Des Weiteren gibt es aus diesen noch jeweils eine abgeleitete Eigenschaft, die benötigt wird, um in einem Kampf zu bestehen: Abwehr, Zaubern und Angriff. Stufenaufstiege (hier Grade genannt) sind auch kein Problem, denn dadurch erringt man ein nützliches Talent, welches man sich selber wählen kann. Die 4 Lebenspunkte eines jeden Charakters können indes nur durch Ausrüstungsgegenstände gesteigert werden.

Das Kartenziehglück bestimmt die Anzahl der Aktionen pro Spielzug des Spielers, und auch sonst braucht man ein glückliches Händchen, um sich sein Schicksal, Belohnungen, Ausrüstung oder die passenden Abenteuer günstig zu ziehen.

Selbst für das Würfelglück ist gesorgt. Ähnlich zu „Runebound“ muss man allenthalben Tests auf seine Eigenschaften ablegen, um Marker zu erhalten, die für die Erfüllung von Aufgaben nötig sind. Hierbei ist in der Regel ein Prüfwurf erfolgreich, wenn man mit dem Würfelwurf (W20) sowie dem Charakterwert auf einen Wert von mindenstens 20 kommt. Mitunter würfelt ein Mitspieler dagegen, ob man die Aufgabe auch bestanden hat. So man den Gegenstand erbeutet oder die Person überzeugt hat, einen zu begleiten, muss man „nur noch“ in die entsprechende Stadt reisen, um diese Marke abzugeben und seinen Lohn für die Mühen einzustreichen. Bei Kämpfen wird in Kampfrunden mit Angreifer und Verteidiger um die höheren Werte gewürfelt.

Dennoch ist der strategische Aspekt des Spiels nicht zu vernachlässigen. Man muss seinen Zug trotz der vielen Glücksfaktoren ordentlich planen, um gezielt auf das Erreichen der Prestigepunkte hinzuarbeiten. Dadurch, dass es 14 verschiedene Möglichkeiten gibt, diese Punkte zu ergattern, gibt es weder eine Obertaktik, noch ist man jemals aufgrund von Karten- oder Würfelpech so weit abgeschlagen, als dass man nicht doch noch siegreich sein könnte.

Ausstattung & Regeln

Die Ausstattung des Spiels kann man am besten mit dem Wort „reichhaltig“ beschreiben. Die Schachtel beinhaltet fast zwei Kilogramm an Spielmaterialien, vorrangig aus Pappe, welche sogleich die Augen erstrahlen lassen. Zehn sehr stabile Charakterbögen, viele verschiedene Marker (nebst Tüten, um diese gesondert zu sortieren), unzählige Spielkarten, zwei 20-seitige Würfel, Holzklötzchen, Pappfiguren und Burgentableaus (welche sich als variabler Spielplan entpuppen werden) überzeugen sofort und geben einen ersten Vorgeschmack auf die Komplexität des Spiels. Das gesamte Material ist sehr gut gearbeitet und funktional, sodass man es gar nicht erwarten kann loszuspielen.

Ein kleines Manko sind jedoch die vielen zu platzierenden Marken. Zum einen wird das Spiel dadurch recht statisch, zum anderen wird bei deren Verlust das Spiel unspielbar.

Die Regeln werden in einem 24-seitigen A4-Heft erklärt, was erst einmal etwas Einarbeitungszeit voraussetzt. Aber schließlich handelt es sich hier um ein Karten-Brett-Würfel-Rollenspiel, da gibt es viel zu definieren. Nachfolgend werden nur ein paar Regeln angesprochen, um einen groben Überblick zu geben. Die Regeln an sich sind relativ logisch, jedoch ist die Reihenfolge, in der diese erklärt werden, mitunter suboptimal. Zum Teil Grundlegendes wird erst spät erläutert, während im vorderen Teil sogar schon Details erklärt werden, welche eher für erfahrene Spieler interessant sind. Auch wird nicht alles Wichtige an anderer Stelle noch einmal wiederholt. Aber ist vielleicht nur Geschmackssache, dass man die Regeln für den Spieleinstieg und die für erfahrene Spieler besser hätte trennen können. Was jedoch wirklich fehlt ist ein Index, damit man auch während einer Partie rasch etwas nachschlagen kann. Vor allen in den ersten Runden kann es dadurch zu einigen Verzögerungen kommen.

Spielvorbereitung

Zumindest ein Mitspieler sollte die Regeln sehr gut kennen und das Wichtigste erklären können. Für die 3 bis 5 Spieler sind 5 Charaktere vorgefertigt, die wahlweise je in (eigenschaftsgleicher) weiblicher oder männlicher Form vorliegen. Barde, Krieger, Spitzbube, Zauberer und Priester stehen zur Verfügung, wobei es auch 5 Blanko-Charakterbögen gibt, um eigenen Ideen freien Lauf zu lassen. Die dabei zu verwendende Charaktergenerierung ist sehr gut in den Spielregeln erläutert.

Nachdem sich jeder seine Grundausrüstung genommen hat (einige Gegenstände wurden nach Druck der Regeln umbenannt, was für Verwirrung sorgt, da schafft jedoch das Internet und das entsprechende FAQ-Dokument Abhilfe) braucht es nur noch eine Welt für die Abenteurer. Diese Welt besteht aus 12 Tableaus, auf denen Burgen und Platzhalter für Marken abgebildet sind. Jede Burg repräsentiert eine Stadt in „Midgard“. Diese können ganz nach belieben zusammengelegt werden, sodass aufgrund dieses variablen Spielplans die Langzeitmotivation steigt.

Das Platzieren der Marken ist etwas mühselig und benötigt jetzt noch etwas Zeit. In jeder Stadt gibt es einen zufälligen, offen ausliegenden Schatz sowie sechs weitere Marken (3 für Personen, 3 für Gebäude), wobei jeweils die Hälfte der 72 Marken verdeckt und zufällig, oder offen und vordefiniert platziert werden. Somit befinden sich in jeder Stadt neben dem Schatz (den man für die 2. erfüllte Aufgabe in dieser Stadt erhält) 3 offene und 3 verdeckte Marken. Neben den offenen Aufgaben liegen unter den verdeckten Begegnungen, Ereignisse, Kämpfe, zusätzliche Ausrüstung oder sogar Fälschungen von Originalaufgaben, welche somit leichter zu erringen sind, als über die Prüfwürfe.

Zufällig bestimmt jeder Spieler seinen Startort, bekommt 4 Aktionskarten und dann geht es auch schon los.

Spielzug

Die Spielsteuerung läuft über Aktionskarten, die (ähnlich den Schicksalskarten bei „Warrior Knights“) bis zu drei Funktionen/Information haben. Jede Karte hat einen Wert von 2 bis 4 Aktionen, eine Spezialaktion und meistens noch Angaben zu den Lebenspunkten, die man heilen kann. Welche Funktion der Karte man benutzt, bleibt dem Spieler überlassen.

Wenn ein Spieler an der Reihe ist, spielt er zuerst eine seiner Aktionskarten aus, die definiert, wie viele Aktionen er in seiner Runde überhaupt durchführen darf. Nun kann dieser mit der Welt interagieren, gegebenenfalls durch weitere Aktionskarten, als letztes zieht er wieder eine Aktionskarte und der nächste Spieler ist dran.

Was sich einfach anhört, wird kompliziert, wenn man auf seiner Spielerhilfe nachschaut und sieht, dass man 15 Möglichkeiten für Aktionen hat. Diese reichen vom Reisen, Kaufen, oder Aufträge versuchen, bis zum Überfall auf andere Spieler, Reparieren der Rüstung oder der Steigerung eines Charakterwertes.

Größtenteils ist man damit beschäftigt Aufträge zu erfüllen, das heißt einen Prüfwurf durchzuführen, um eine Marke in einer Stadt zu erhalten und diese dann gewinnbringend am Zielort abgeben zu können. Dafür können sich die Abenteuer zu Gruppen zusammenschließen. Dies erleichtert dem aktiven Spieler den Würfelwurf, den anderen Gruppenmitgliedern bringt es im Erfolgsfall eine kostenlose Aktion. Also womöglich genau den einen Zug mehr, um einem anderen Spieler bei einer Aktion zuvorzukommen.

Extra, aber nicht ausschließlich, für die Gruppenbildung wurden auch noch Abenteuer konzipiert, die immer dann ins Spiel gebracht werden, wenn ein weiterer Schatz einer Stadt verdient wurde. Bei diesen Abenteuern handelt es sich um einen Block von 3 Aufgaben, welche die Gruppe (oder der Einzelkämpfer, was ungleich schwieriger ist) lösen müssen. Hat man dies gemeistert, gilt es, den Bossgegner dieses Abenteuers zu besiegen, um überhaupt etwas von der Belohnung und den Erfahrungspunkten zu sehen.

Langzeitmotivation

Durch den variablen Spielplan und die Vielzahl der Möglichkeiten, Prestigepunkte zu erlangen, möchte man immer wieder neue Strategien ausprobieren. Obwohl die Hälfte der Marken immer an den gleichen Orten liegen, kann man sich nur eine grobe Taktik überlegen, also sich zum Beispiel bevorzugt auf die lukrativeren Aufträge stürzen. Mit genügend Spielpraxis nimmt die Spieldauer ab, dennoch halte ich die angegebenen 120 Minuten für sehr optimistisch. Positiv fällt auf, dass man nie so weit abgeschlagen ist, als dass man keine Chance mehr auf den Spielsieg hätte.

Obwohl immer nur ein Spieler an der Reihe ist, gibt es auch Interaktion. Durch die Gruppenbildung und die resultierenden Bonusaktionen, das gelegentliche Handeln untereinander, Würfeln gegen den aktiven Spieler und schikanierende Reaktionskarten, die man während des Zuges eines anderen spielt, ist man fast immer mit ins Spielgeschehen eingebunden. Selbst wenn es einmal etwas dauert, bevor man selber wieder am Zug ist, wird das Spiel selbst in voller Besetzung nicht langweilig oder langatmig.

Fazit: Wen die Einarbeitungszeit und der etwas mühsame Spielaufbau nicht stören, dem eröffnet sich mit „Midgard – das Brettspiel“ ein wunderbar vielseitiges, komplexes, jedoch nicht zu kompliziertes Spiel. Rollen- und Brettspieler mit einem Fable für Fantasy werden in moderater Spielzeit hier gleichermaßen bedient.


Midgard – das Brettspiel
Brettspiel für 3 bis 5 Spieler ab 12 Jahren
Lutz Stepponat
Phantastische Spielwelten/Heidelberger Spieleverlag 2007
ISBN: 4-015566-010390
Modularer Spielplan (12 Städte), 10 Charakterbögen, 10 Pappfiguren, 238 Karten, 246 Marker, 2 Würfel, 60 Holzwürfel, 5 Spielerübersichten, Regelwerk, deutsch
Preis: 49,99 Euro

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen