Mater Ecclesia

Endlich ist es so weit: Die Angelitische Kirche erhält ihren eigenen Quellenband! Feder&Schwert hat uns ein fast 200 Seiten starker Quellenband an die Hand gegeben, in dem Hintergründe und Strukturen der weltlichen und der geistlichen Seite der Angelitischen Kirche präsentiert werden. Nun ist es also möglich, in der Welt der Engel auch einfache Menschen zu spielen. Na ja, zumindest einfache Kirchenmenschen...

von nana

 

Der wohl am sehnlichsten erwartete Quellenband der Engelwelt erscheint im bekannten Design und mit bewährten Strukturen. Den Anfang bildet eine Einleitung, die einen Wegweiser durch die Kapitel bietet und so den spärlichen Index ersetzen soll. In den fünf Kapiteln erhält der Leser zunächst eine Übersicht über die Kirche und ihre weltlichen Diener, mit einem separaten Kapitel zu den Templern und solchen Menschen, die nur indirekt für die Kirche arbeiten. Kapitel 5 bietet eine Zusammenstellung von 30 fertigen NSCs, die den Spielleiter in seiner Darstellung unterstützen sollen. Im Anhang schließlich noch die Anleitung, wie die Inhalte dieses Werks im Spiel umzusetzen sind. Wie immer ist es dabei möglich, das reguläre D20-System oder jedoch Arkana-Karten als Grundlage zu wählen.

Ob der vielen Details ist dieser Band jedoch mehr noch als andere streckenweise eine ziemliche Bleiwüste. Daran können auch die schönen Illustrationen von Eva Widermann nichts ändern. Rangordnung, Kleiderordnung, Stellung der Templer, der Inquisition und der anderen Orden: Was immer man schon gerne wissen wollte – nun ist es Fakt.

Das erste Kapitel nennt sich zwar „theoretisch“, ist de facto jedoch eines der flüssig lesbareren. Am wichtigsten für den Spielleiter ist hierbei wohl die Frage der Glaubensvermittlung und der Stellung der Kirche im einfachen Volk, schließlich ist das der springende Punkt, wenn es plötzlich gilt, in der Engelwelt Menschen zu verkörpern. Die Autoren lassen nichts unversucht, die Glaubensstruktur zu entschlüsseln und die Motivationen der tief sitzenden Gottesgläubigkeit zu vermitteln. Eher unspektakulär sind da schon fast die Abschnitte zu den „Schrottbaronen“ und der Inquisition. Letzteres wird im Detail für jeden Orden behandelt, was für einzelne Abenteuer wohl relevant, für den interessierten Leser jedoch eher eine ermüdende Aufzählung ist. Wer mit der Engelwelt ein wenig vertraut ist, wird hier nicht viel Neues und Unerwartetes entdecken.

Kapitel zwei widmet sich dem Klerus und den Strukturen in den Orden und ihren Klöstern. Auch hier finden sich akribische Details, die wohl für die meisten Abenteuer ungenutzt verstreichen. Die Zeichnungen von Eva sind hier für die weniger begeisterten Auswendiglerner bitter nötig, um Überblick über die Kirchenhierachie mit der damit verbundenen Kleiderordnung zu bewahren.

Das Ganze gipfelt dann in dem Kapitel über die Templer. Wer hat sich nicht schon gefragt, wie es denn wäre, einen Streiter des Herren ohne Flügel zu spielen. Die Antwort darauf lautet wohl: Es ist nicht einfach und begleitet von intensiven Studien zum „geheimen Bändercode des Templerheeres“ und ähnlichen Wichtigkeiten, die das alltägliche Leben der Templer prägen und eine glaubhafte Darstellung ohne entsprechendes Wissen nur schwer zulassen.

Mehr Einsichten und Anregungen geben dafür die zwei folgenden Kapitel. Wie schon in den anderen Quellenbänden bieten die „Dramatis personae“ immer wieder neue Ideen zu spannenden Abenteuern.

So man sich denn entschieden hat, die Menschwerdung zu wagen, bietet das Regelwerk detaillierte Beschreibung der Charakterklassen und Fertigkeiten. In diesem Zusammenhang werden zwei neue Grundcharakterklassen vorgestellt, der Rest der Klassen passt sich jedoch weitestgehend an die D20-Vorgaben an. Nicht allein deshalb bietet es sich an, hier vielleicht einmal das Engelspiel mit regulärem Regelsystem auszuprobieren.

Alles in allem muss man allerdings sagen, dass „Mater Ecclesia“ vielleicht nicht ganz das ist, was sich „Engel“-Spieler erhofft haben. Denn so sehr das „Menschsein“ in der Engelwelt seinen Reiz ausübt, so schwer ist es in dem geschilderten Hintergründen spielbar. So wie eigentlich kein Rollenspielszenario im „wirklichen“ historischen Mittelalter ansiedelt, weil die Mentalität und Lebenssituation der Leute nicht überzeugend (oder Spielspaß fördernd) zu vermitteln ist, so krankt auch die Kirche der Engelwelt, von Feder&Schwert als riesiger, skrupelloser Moloch beschrieben, an seiner konkreten Spielbarkeit. Den Charakteren bleibt im Prinzip nichts, als sich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung von dieser Kirche wegzubewegen (das geht den meisten Engelscharen so – sogar in der Büchern – und das gilt für die Spieler von Menschen umso mehr), es sei denn der Spieler ist a) der perfekte Rollenspieler, der es schafft, seine eigene Persönlichkeit so weit von seinem Charakter zu trennen, das auch die dauerhafte Verkörperung „des Bösen“ gelingt, oder aber er ist b) ein totaler Fiesling, der es cool findet, Kinder zu klauen, „Ungläubige“ niederzumetzeln und jedem, der das Wort Technik auch nur denkt, eine möglichst antike Waffe zwischen die Rippen zu schieben (aber mit so Spielern sollte man sich lieber nicht umgeben).

Interessanterweise gibt es in der Engelwelt ja dessen ungeachtet einfach Menschenschlage, die den Rollenspieler in mir (und anderen) reizen, darunterdie Leute, die ins „Brandland“ hinter den Fegefeuern gehen, oder diejenigen, die eben mit den Technikartefakten zu tun haben. Nur werden diese im vorliegenden Quellenbuch praktisch völlig ausgeblendet; Regeln oder Spielinformationen für sie sucht man vergebens, beschäftigt sich „Mater Ecclesia“ doch tatsächlich zu 95% mit der Kirche und ihrer internen Hierarchie.

Fazit: Fast muss man sagen, „Mater Ecclesia“ ist ein paar Monate zu spät erschienen. In der offiziellen Zeitlinie ist es einzuordnen unmittelbar bevor die Brittanischen Inseln erobert werden. Leider sind die Romane, in denen eben dieser Vorgang geschildert wird, schon seit längerem auf dem Markt (gerade ist der zweite Band erschienen) und sie zerstören das mühsam erarbeitete Bild dieses Quellenbandes. Wenn es schon schwierig war, in einer „Engel“-Kampagne für längere Zeit den ungetrübten Enthusiasmus über die Kirche und ihre Aufgaben zu bewahren, so ist es nun für normalsterbliche Charaktere wohl fast unmöglich. Allein, wer die Romane noch nicht gelesen hat oder mit einer hohen Toleranz/Ignoranz gesegnet ist, wird in der Lage sein, die in „Mater Ecclesia“ beschriebene Gottesfürchtigkeit und die damit verbundene Hörigkeit gegenüber der Kirche glaubhaft zu repräsentieren. Sicherlich ist es Feder&Schwert mit diesem Quellenband gelungen, die Welt, die bisher alleine den Engeln gehörte, auch für Menschen spielbar zu machen. Doch es stellt sich die Frage: Wollen wir diese Art von Menschen wirklich spielen?


Mater Ecclesia
Quellenbuch
Ole Johan Christiansen, Thomas Plischke, Verena Stöcklein
Feder&Schwert 2005
ISBN: 3937255303
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 31,95

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