von Simon Ofenloch
Die Welt der Zukunft ist bei Peter Watts eine gar nicht schöne, neue Welt. Der technische Fortschritt ist mindestens so weit fortgeschritten wie die Plünderung der natürlichen Ressourcen. Großkonzerne haben das Sagen, und aus dem Internet wurde das Arpanet, das wegen seiner unermesslichen, nicht mehr zu kontrollierenden und sich teilweise verselbstständigenden Datenflut auch als „Mahlstrom“ bewertet wird.
Eine Energiekrise ließ sich noch rechtzeitig abwenden. Als die fossilen Brennstoffe allmählich zur Neige gingen, installierte man an heißen Quellen auf dem Meeresgrund hydrothermale Generatoren. Für die Kontrolle der Quellen und die Wartung der Generatoren wurde eine Crew modifizierter Menschen eingesetzt. Diese so genannten „Rifter“ sind durch Körperimplantate in der Lage, im Wasser und in der Tiefsee zu leben.
Ein Mitglied dieser besonderen Gruppe ist Lenie Clarke. Für das N’AmPaz-Unternehmen war sie mit anderen an der Channer-Quelle auf dem Juan-de-Fuca-Meeresrücken vor der Westküste Nordamerikas tätig. Als dort die gefährliche ?ehemoth-Mikrobe entdeckt wurde, ließ der Konzern die Quelle kurzerhand durch einen Nuklearschlag zerstören. Auf die Tiefsee-Crew, die als infiziert galt, wurde dabei keine Rücksicht genommen. Man nahm an, dass keiner der Rifter die Explosion überlebt hatte. Mit dieser Einschätzung hatte man sich schwer getäuscht.
So stellte sich die Handlung im Roman „Abgrund“ von Peter Watts dar. Im Nachfolgewerk „Mahlstrom“ schwört die Überlebende Lenie Clarke Rache an den Verantwortlichen der Nuklearexplosion. Tatsächlich infiziert sowie psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht, plant sie, ?ehemoth über den Erdball zu bringen. Von den Befehlsempfängern des N’AmPaz-Konzerns gejagt, durchstreift sie die Welt und streut ihr tödliches Mitbringsel. Clarke wird zum Schrecken derer, die sich zu Herren der Erde aufgeschwungen haben, und zur Heldenfigur derer, die von den Konzernen unterdrückt und ausgebeutet werden. Ihre Häscher sind ihr dicht auf den Fersen. Unterstützung erhalten sie von einem zweiten Überlebenden der Tiefsee-Crew. In der Zwischenzeit treibt ?ehemoth sein eigenes Spiel. Schließlich droht die Apokalypse, und die gefährliche Mikrobe ist dafür auf Lenie Clarke nicht mehr angewiesen…
Die Grundidee der Buchreihe um die Rifter ist originell. Peter Watts vermischt gekonnt interessante Einzelaspekte: Elemente des Psychothrillers und der Endzeitliteratur, des Cyberpunks, ein wenig Cyberspace, futuristische Alltagsdrogen und neurochemische Experimente. Gesellschaftskritik äußert sich in einer ungerechten, von skrupellosen Firmen dominierten Sozialstruktur.
Die interessanten Aspekte finden sich zwischen den Zeilen, denn Peter Watts ist kein Freund klarer Worte oder deutlicher Beschreibungen und Erklärungen. Er hält sich auch zurück mit landschaftlichen Darstellungen, die einem Endzeitroman allerdings gut zu Gesicht gestanden hätten.
Die Stärken von Peter Watts zeigen sich in der Ausgestaltung seiner Figuren, die allesamt nicht stereotyp entworfen sind und auf überzeugende Art und Weise Tiefe besitzen.
An manchen Stellen wird es verwirrend. Wenn Watts Ereignisse im virtuellen Raum beschreibt, umgeht er Fachsimpelei mit symbolischen Bildern. Das ist zwar durchaus einfallsreich, allerdings mitunter auch sehr anstrengend. Irritierende Zeitenwechsel wie in „Abgrund“ finden sich nicht mehr. Die übertrieben, geradezu angestrengt metaphorischen Kapitelüberschriften wurden hingegen beibehalten.
Am Ende findet sich ein Verweis auf den Folgeband „Wellen“. An dieser Stelle kann man immerhin erkennen, dass „Mahlstrom“ nicht alleine steht. Dass dem Roman ein erster Band vorangegangen ist, verschweigt der Verlag dummerweise auf dem Cover. Lediglich in einem kleinen Nebensatz im inneren Buchtext wird auf diesen Umstand hingewiesen. Der dritte Band trägt im Original den Titel „?ehemoth“. Man darf gespannt sein auf die neuen Informationen und Entwicklungen, die einen in diesem Roman erwarten.
Fazit: Peter Watts schreibt seine Geschichte um die Rifter fort. Im Nachhinein ist man erstaunt, wie wenig substantielle Handlung „Mahlstrom“ eigentlich zu bieten hat. Denn das Wenige an Inhalt ist durchaus interessant, spannend und außergewöhnlich erzählt.
Mahlstrom
Science-Fiction-Roman
Peter Watts
Heyne 2009
ISBN: 978-3-453-52508-5
512 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,95
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