Mage: The Awakening

Als dritte Säule der klassischen "World of Darkness" erhält das sich mit Magiern der modernen Welt beschäftigende "Mage: The Awakening" ein neues Gewand. Und das kann sich sehen lassen. Nicht nur das Design ist komplett überholt, ähnlich wie bei "Werewolf: The Forsaken" und "Vampire: The Requiem" ist auch der Hintergrund vollständig überarbeitet worden.

von Michael Wilhelm

Im Gegensatz zum Vorgänger "Mage: The Ascension" dreht sich der vorliegenden Band weniger um den Kreuzzug der erwachten Magier gegen das allverschlingende Übel eines mächtigen Feindes wie der Technocracy, sondern vielmehr um den persönlichen Werdegang und die individuelle Evolution eines erwachten Willworkers. Während das Dasein der Traditionen im klassischen "Mage" definiert war durch den Antagonismus gegen die von den Technokraten definierte Realität, sind die Fronten in "Mage: The Awakening" deutlich vager gehalten.

Hintergrund

Auch im neuen Gewand verfügen die Magier über die Fähigkeit, mit reiner Willenskraft die Welt nach ihrem Belieben zu Formen, aber es ist nicht eine feindlich gesinnte Organisation, die das herrschende Paradigma des Daseins bestimmt, sondern das kollektive Verständnis der Schläfer (Terroristen sind hier nicht gemeint, sondern die normalen Sterblichen) von der Welt, die sie umgibt. Das macht es gleichzeitig einfacher und schwieriger für Spieler und Erzähler. In "Ascension“ waren die Fronten klar. Es herrschte Krieg, und der Sieger würde nicht nur bestimmen, welches Paradigma der Realität vorherrschen sollte, sondern auch Erleuchtung erlangen. Mit "Awakening“ führt jeder Magier seinen persönlichen Krieg gegen die Realität und versucht aus mehr oder weniger altruistischen Beweggründen, auf die individuelle Erleuchtung hinzuarbeiten.

Sicher gibt es die Bösen in "Awakening", und auch wenn sie den Nephandi oder Maraudern aus dem Vorgänger ähnlich sehen, fehlt doch irgendwie der weltumspannende Charakter eines Gegners vom Format der Technocracy. Und auch die Exarchen, und die Seers of the Throne als ihre Marionetten, bleiben zumindest im Basis-Buch eine recht vage Bedrohung.

Allen Magiern ist aber gemein, dass sie ihre Kräfte aus der Tradition des untergegangenen Atlantis schöpfen, ganz gleich ob es sich im individuellen Falle um einen Dämonenbeschwörer, eher hermetisch angehauchten Ritualmagier oder den Schamanen eines Naturvolkes handelt.

Magie

Wenn schon der Hintergrund nur noch rudimentär an den Vorgänger erinnert, so sind die Ähnlichkeiten beim Magie-System, welches das Herzstück und den Großteil des vorliegenden Bandes ausmacht, unübersehbar. Anstatt der ehemals neun Sphären der Magie sind es nun derer zehn, genannt Arcana, die zum Teil eben nur einen neuen Namen erhielten. „Forces“, „Life“, „Matter“ und „Time“ wurden beispielsweise praktisch unverändert übernommen. „Correspondence“ wurde in das geläufigere „Space“ umbenannt, während die mit Verfall, Zufall und Chaos definierte Sphäre „Entropy“ in „Death“ und „Fate“ geteilt wurde.

Im groben sind damit auch die in den einzelnen Stufen, wie in der "World of Darkness" üblich rangieren alle Werte zwischen 1 und 5, verfügbaren Kräfte gleich geblieben. Neu ist aber, dass es eine für alle zehn Arcana geltende Hierarchie der Kräfte gibt. In der ersten Stufe verfügt der Eingeweihte vor allem über magische Wahrnehmung des Elements sowie minimale manipulative Fähigkeiten. Im zweiten Grad kommt Beherrschung, Verschleierung und Schutz vor dem Arcanum hinzu. Grad drei erlaubt tiefer gehende Manipulation und Modifikation. Mit Grad vier erlangt der Magier ernst zu nehmende offensive Fähigkeiten. Der Meister des fünften Grades beherrscht das Arcanum bis hin zur Erschaffung von Leben, Materie oder Energie aus dem Nichts.

Einen Großteil des Kapitels über Magie machen die über 300 "Rotes" aus. Dies sind in den traditionellen Orden der Magier etablierte Zaubersprüche. Neben spontaner Zauberei innerhalb der von der Kräftehierarchie vorgegebenen Grenzen gibt es nämlich die Möglichkeit, mit geringem arkanen Aufwand schnelle Zauber mit spezifisch definiertem Effekt und geringen Variationsmöglichkeiten zu wirken. Das hat nicht nur einen einfacheren Würfelwurf zum Vorteil, sondern es werden auch deutlich weniger "Zutaten" in Form von Gesten, Beschwörungsformeln oder Fetischen benötigt. Und obendrein sinkt dadurch die Gefahr eines Paradox-Effektes.

Die Regeln zu diesen gefürchteten Folgen vor allem "vulgärer", für Schläfer offensichtlicher Magie haben ein neues, strahlendes Gewand erhalten. Während bei "Ascension" die Auswirkungen des Paradox hauptsächlich im Ermessen des Erzählers lagen, sind sie nun weitaus konkreter dargelegt und manifestieren sich in Form temporären Wahnsinns, örtlicher und zeitlicher Anomalien oder gar feindlich-fremdartiger Wesenheiten. Besonders interessant ist auch die Schläfern inhärente "Gegenmagie" in Form von Disbelief. Durch die bloße Kraft ihres Unglaubens an Magie können Schläfer selbst mächtigste magische Effekte zunichte machen und so dem erwachten Zauberer ihr Paradigma der Realität aufzwingen.

Organisation

Anstelle der Traditionen treten in "Awakening" die jeweils fünf Orden und Pfade. Der Pfad, den ein Magier beschreitet, wird zum Zeitpunkt seines Erwachens festgelegt und bleibt bis zu seinem Ableben gleich. Auf einer mythischen Reise in eines der fünf Reiche Arcadia, Stygia, Pandemonium, Aether und Primal Wild wird der Grundstein für die magische Karriere in Form eines speziellen Verständnisses von Magie sowie die bevorzugten und für den Magus minderwertigen Arcana gelegt. Der Pfad des Mastigos führt beispielsweise durch das Pandemonium und lehrt besondere Kompetenz in den Arcana "Space" und "Mind", während dessen Fähigkeiten in "Matter" eher eingeschränkt sind.

Neben dem Pfad ist auch der Orden, zu dem ein Zauberer sich zählt, von Bedeutung. Anders als der Pfad ist diese Wahl aber nicht vom Schicksal (oder anderen Mächten) vorherbestimmt, sondern liegt vielmehr in der Übereinstimmung politisch-magischer Ansichten der Realität. Der "Adamantine Arrow" stellt sozusagen die arkane Kriegergarde dar, während die "Silver Ladder" das Vermächtnis der magischen Herrscher von Atlantis aufrechterhält, und ihre Schergen in Form der "Guardians of the Veil", einer Art magischen Geheimpolizei, unterhält. Im Kontrast dazu steht das neu gegründete "Free Council", welches sich als einzige der Orden nicht auf atlantische Tradition beruft und einen anarchischen Gegenpol bildet. Die Wahl des Ordens entscheidet am meisten über die einem Magus zur Auswahl stehendes "Rotes". Diese "Abkürzungen" zu magischen Wirkungen werden von den Orden eifersüchtig vor fremder Kenntnisnahme bewahrt und nur verdienten Mitgliedern gelehrt.

Fazit: Mit den fast 400 prall gefüllten Seiten in diesem hervorragend gelayouteten Hardcover ist "Mage: The Awakening" ein umfangreiches und inhaltlich überzeugendes Werk. Es liest sich flüssig und teilweise geradezu spannend. Sicher ist der eine oder andere Hintergrundband zur Ausgestaltung gerade der magischen Antagonisten vonnöten, um ein stimmungsvolles und auf Dauer spannendes Spiel zu garantieren. Auch wenn man als Kenner und Liebhaber des Vorgängers vielleicht zunächst ein wenig skeptisch sein wird, ob denn ein derart faszinierendes Magie-System überhaupt eine Generalüberholung nötig hat, kann "Awakening" doch überzeugen. Und allein optisch macht sich der vorliegende Band schon hervorragend im Bücherregal oder auf dem Nachttisch. Dennoch kann man schon ein wenig traurig sein, dass mit dem alten "Ascension" auch die Technocracy den Weg allen irdischen gegangen ist.


Mage: The Awakening
Grundregelwerk
Justin Achilli, Bill Bridges, John Chambers, Conrad Hubbard, u. a.
White Wolf 2005
ISBN: 1588464180
400 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 34,99

bei amazon.de bestellen