Märchenwälder, Zauberflüsse

„Märchenwälder, Zauberflüsse“ ist der Folgeband von „Verwunschen und Verzaubert“ – der „DSA“-Abenteuersammlung um kleine Schicksale und märchenhafte Begegnungen. In beiden Bänden treffen aufrechte Helden fernab großer Schlachten und politischer Umwälzungen auf Wesen, deren Schicksale und Nöte so zeitlos wie herzergreifend sind. Riesen und Feen, Hexen und Geister, Baumschrate und Elementare, verwunschene Magiertürme, Wichtel, uralte Harnischträger und immer wieder Menschen mit ihren kleinen Sorgen und Nöten benötigen die Hilfe wahrer Helden – jener, deren Ruhm sie dereinst von Lagerfeuer zu Kamin weitertragen, und deren Taten eines Tages den Stoff für neue Märchen geben werden.

von Jan Stetter

 

„Märchenwälder, Zauberflüsse“ ist eine weitere Abenteuersammlung mit den Schwerpunkten Märchen, Sagen und romantische Geschichten für das deutsche Fantasy-Rollenspiel „Das Schwarze Auge“. Sie besteht aus fünf Kurzabenteuern, die zusammen etwas mehr als 90 schwarz-weiß bedruckte Seiten umfassen und in einem soliden, gut verarbeiteten Einband präsentiert werden. Das Papier wirkt etwas billig und grob, aber es ist nicht anders als bei den bisherigen Abenteuerpublikationen.

Das Layout ist leider ziemlich überfrachtet und läßt so manche Seite etwas unübersichtlich werden, dafür bekommt man für sein Geld allerdings sehr, sehr viel Text, zusammen mit ansprechenden Illustrationen und schönen Karten. Preis und materielle Leistung stimmen also bei „Märchenwälder, Zauberflüsse“, auch wenn die optische Darbietung auf vielen Seiten keine Märchenatmosphäre aufkommen läßt.

Die Abenteuer selbst sind für Helden mit niedriger bis größerer Erfahrung konzipiert und laut Redaktion mittelschwer vorzubereiten und zu leiten. Die Spieler benötigen dabei nicht viele Vorkenntnisse und können ohne große Umstände ins Geschehen eintauchen. Deren Helden müssen sich mit Interaktion, Talenteinsatz, Magie und Kampf an Orten bewähren, die zu beliebiger Zeit im Bornland, auf Maraskan, im Mittelreich, Selem und Weiden zu finden sind.

(Wichtig: Spieler, die diese Abenteuer noch spielen wollen, sollten gleich zur Beurteilung springen, um nicht zu viel über die einzelnen Handlungsstränge zu erfahren und sich damit den Spaß zu nehmen.)

„Der Baum und das Mädchen“ von Michael Masberg:

Der Ratschluss der Götter ist unergründlich, und nicht immer ist der Tod das Ende des Lebens. Was kann geschehen, wenn der schwarze Rabe nicht kommt, um ein kleines Mädchen, das gestorben ist, über das Nirgendmeer hin in die Hallen des dunklen Boron zu tragen? Was geschieht, wenn Körper und Geist zunehmend verfallen und der Geist im nichttoten Leib doch nicht sterben kann? Und was, wenn man als götterfürchtige Heldengruppe versucht, einem solchen We¬sen zu helfen, und dabei auf den Rat einer Kreatur angewiesen ist, die für das Beantworten einer simplen Frage mindestens drei Menschenleben zu benötigen scheint?

Die Helden brauchen für ihre gute Tat die Hilfe des Pflanzenkönigs der Lebensbäume, den sie nur in der grünen Hölle Maraskans an einem Ort finden können, den der seltsame Tierkönig der Harnischträger allein kennt und den er nicht ohne intellektuelle Ansprüche der besonderen Art preisgeben möchte. Nebenbei gilt es in diesem Abenteuer also auch, die Dschungel Maraskans zu erkunden und zu überleben – jenem Eiland Deres, das nicht umsonst die „Tödliche Insel“ genannt wird. Das Abenteuer ist ein klassisches Märchen voller Dramatik, Hoffnungen und wundersamer Begegnungen, und trotz seines geradlinigen Aufbaus bleiben genügend Zeit und Raum für eigene Kreativität.

„Der letzte Wunsch“ von Matthias Freund:

Inmitten der Stadt Selem, in Aventurien verschrien als Hort uralter Echsenkulte und verwirrter Geister, lauscht ein kleines Mädchen mit großen Augen einem Märchenerzähler – und bricht dann unvermittelt zusammen. Dann erhebt es sich wieder, doch ist nicht mehr dasselbe Kind: Ein Dschinn hat von ihm Besitz ergriffen. Nur mit Einfallsreichtum und Mut und der Hilfe eines Geisterbibliothekars gelingt es den Helden, das Mädchen zu retten und den letzten Wunsch des Dschinns zu erfüllen.

Auch dieses Abenteuer ist eher linear strukturiert: Die Helden werden angeworben, müssen zur Erfüllung ihrer Queste etwas herumreisen und gelangen in einer originellen Villa der Elemente zum Finale, bei dem sie eine Eisrose nicht durch Gewalt, sondern durch überlegtes Handeln zerstören müssen. Der Weg dorthin ist allerdings gesäumt mit zahlreichen Rätseln unterschiedlicher Schwierigkeit, und Spieler, die mit dem Hintergrund Aventuriens nicht sonderlich vertraut sind, werden darüber lange brüten müssen oder gelegentlich wohl auch der Hilfe des Spielleiters bedürfen.

„Riesige Liebe“ von Sebastian Thurau:


Im wahrsten Wortsinn riesengroß ist jene Kreatur, die ihre schützende, mühlradgroße Hand über das Schicksal zweier Liebender ausbreitet und diese damit unverhofft und unbe¬dacht in große Schwierigkeiten bringt. Die Helden sitzen durch einen Schiffsdefekt im kleinen Hafenstädtchen Bornstein fest und erfahren, dass der Sohn des örtlichen Bronnjarin spurlos verschwunden ist. Natürlich brechen sie auf, um ihn zu suchen, und gelangen in den bornischen Winterwald, wo sie in einem Magierturm aber nicht den Jungen, sondern ein Mädchen im Dornröschenschlaf entdecken. Es ist die Geliebte des gesuchten Sohnes, die von einer Fee auf Wunsch eines Riesen verzaubert wurde, um die Liebe der beiden Menschen zu testen. Nun also müssen die Helden noch intensiver nach dem Bronnjarin-Sohn suchen, um die Angebetete aus ihrem Zauberschlaf wieder erwecken und den Riesen zufriedenstellen zu können.

Dieses Abenteuer ist ein wirklich waschechtes Märchen, wie es auch bei den Gebrüdern Grimm stehen könnte. Es enthält alles, was für eine romantische Liebesgeschichte im sagenhaften Umfeld nötig ist, und es wird alle Spieler erfreuen, die Handlungen dieser Art mögen.

„Eichhornschweif und Schmiedeschürze“ von Uli Lindner:

Ein Schmied und guter Bekannter der Helden bittet die jungen Abenteurer um einen Gefallen ganz besonderer Art: Sie sollen eine alte Schuld begleichen und seinen Freunden, den Hämmerlingen, helfen. Das sind Feenwesen, die Dere und insbesondere den Handwerkern eng verbunden sind und anscheinend die Zerstörung Wehrheims überlebt haben. Die Helden nun sollen einige dieser Hämmerlinge in den Schwarzen Landen finden und wohlbehalten an ihr gewünschtes Ziel eskortieren, wo sie sich neu ansiedeln wollen. Ihre Reise führt die Helden somit durch das Herz der Schwarzen Lande Aventuriens, durch Ruinen und schlimmere Überreste großer Schlachten, durch Leid, Tod und gegen die Bestien des Untodes – und sie lässt die Helden und ihre Begleiter einen Funken Hoffnung in den Herzen jener säen, die in den Kriegen der letzten Jahre viel mehr als nur ihr Haus und ihre Familie verloren haben.

Uli Lindners Abenteuer ist wesentlich dunkler und bedrückender als die anderen in diesem Buch. Die Reise der Helden ist voller Gefahren, ihre Begegnungen erfordern oft genug Gewalt und hartes Vorgehen, denn die feindlichen Söldner und Dämonen lassen nicht gut mit sich handeln. Aber gerade dieser Kontrast rundet den Sammelband gut ab, und wenn die Helden kurzzeitig durch die Hämmerlinge in die Anderswelt gelangen, entfaltet sich auch hier eine märchenhafte Atmosphäre.

„Falkenherz“ von Michael Masberg:

In Weiden steht der Trutstein, inmitten der Fluten, dort, wo das Rotwasser beginnt. Viele Märchen ranken sich um diesen Stein – und es ist an den Helden, die wahre Geschichte zu erfahren, Liebe und Leid zu verstehen und einen uralten Fluch zu brechen. Sie werden in das mittnächtliche Herzogtum geführt und im Auftrag eines Viehbarons in eine zutiefst romantische und herzzerreißende Ballade rund um das Leben eines durch Zauberhand gefangenen Barden und die Liebe im Herzen zweier Frauen verstrickt, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: einer uralten Hexe und einer der sagenumwobensten Feen Aventuriens. Es ist nun an den Helden, zwischen den rivalisierenden Frauen zu vermitteln und die Seele des armen Spielmannes aus ihrem Gefängnis zu befreien.

Wie man sich leicht denken kann, ist die Liebe auch in diesem Abenteuer wieder ein zentrales Thema, aber nichtsdestoweniger wird den Helden einiges an Geschick, Überredungskunst und Cleverness abverlangt, um gleichsam die Hexe und die Fee davon zu überzeugen, ihren alten Streit beizulegen. Und man weiß ja, wie empfindlich gerade Hexen auf freche Helden reagieren...

Beurteilung:

Wie schon „Verwunschen und Verzaubert“, so offenbart auch „Märchenwälder, Zauberflüsse“ wieder die Vielfalt, um die sich die Herausgeber und Autoren von „DSA“ im Bereich der Abenteuer erfolgreich bemühen. Der Käufer und Leser bekommt mit diesem schönen Sammelband weder Gewölbekriechen noch Monsterjagen geboten, weder Epik noch Welterschütterndes, sondern wirklich märchenhafte Geschichten voller Tragik, Grusel, Romantik und Zauber. Es fehlt allen Abenteuern allerdings an ausreichend detaillierten Hintergrundbeschreibungen, weshalb sie besonders für den „DSA“-Spielleiter mit relativ viel Aufwand verbunden sein könnten. Dafür bieten sich aber auch diese Kurzabenteuer wieder perfekt für andere Rollenspielsysteme an und können problemlos jede thematisch breite Fantasywelt und gleichfalls auch „Agone“, „Ars Magica“, „Blue Rose“ und besonders das Britannien König Arthurs in „Pendragon“ bereichern. Die Handlungsstränge sind zwar klassisch konzipiert und oftmals sehr linear, doch durch ihre enge Nähe zum Märchenhaften und damit zu dem, was jeder von uns schon von Kindheit an kennt, ist es leicht, sie kreativ mit Geschichten und Erlebnissen am Rande des Hauptstranges zu bereichern.

Fazit: „Märchenwälder, Zauberflüsse“ ist unter dem Strich ein lohnenswerter Sammelband für alle, die sich für diese Thematik begeistern können.


Märchenwälder, Zauberflüsse (DSA-Abenteuer Nr. 153)
Abenteuersammlung
Matthias Freund, Sebastian Thurau u. a.
Ulisses 2008
ISBN: 978-3-940-42402-0
90 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 18,00

bei amazon.de bestellen