Märchenkrieger, LOS!

„Märchenkrieger, LOS!“ ist ein kleines „Fate“-Quellenbuch von einer deutschen Autorin. Es ist eine Weltbeschreibung, in der Anime auf Märchen und ein Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts trifft. Das klingt eigenartig? Mag sein, aber das funktioniert ziemlich gut. Ich hatte nach der Lektüre jedenfalls Lust, direkt loszuspielen.

von Amel

Mit den „Worlds of Adventure“ liefert der Verlag Evil Hat in regelmäßigen Abständen (über Patreon finanzierte) Quellenbücher für „Fate“ in kleinem Format. Diese kleinen Welten liefern jeweils eine eigene Rollenspielwelt, die ganz „Fate“-typisch mit Regeln unterfüttert und genug Ideen und Hintergründen versehen wird, um recht schnell loszuspielen. Das deutsche „Fate“-Team hat ein paar davon in der „Fate-Abenteuerwelten-Reihe“ übersetzt. Zusätzlich finanzierte es mit einem Crowdfunding drei Abenteuerwelten von deutschen Autoren. Anne Wiesner hat die vorliegende kreative und schön spielbare Welt erschaffen und in dieses kleine 108 Seiten lange Heft gegossen.

Ich muss gestehen, die Ankündigung von einer Mischung aus Märchen und Anime hat mich zunächst völlig kalt gelassen. Mit Anime habe ich recht wenig zu tun, auch wenn ich die eine oder andere Serie geguckt habe. Als ich das Heft schließlich in der Hand hielt, was ich überrascht, wie viel Spaß „Märchenkrieger, LOS!“ macht. Die Mischung funktioniert gut. Im Jahr 1870 ist die Grenze zwischen Menschenwelt und Märchenland brüchig geworden. Die Spieler verkörpern Menschen, die mit der Anime-Version einer Märchenfigur verbunden ist. Beide Seiten sind vollwertige auf irgendeine Weise verbundene Wesen.

Die Spieler übernehmen beide Figuren. Sie arbeiten im Auftrag von König Ludwig II. von Bayern und wohnen unter dem Schloss Neuschwanstein. Das verdeutlicht auch gleich, wie genau man es im Spiel mit historischer Genauigkeit halten soll. Man darf sie ignorieren, Hauptsache ist, es macht Spaß, denn 1870 ist Neuschwanstein eigentlich noch im Bau. Der König hat Visionen und vergibt Aufträge an die Charaktere, in denen sie gegen böse Märchenfiguren kämpfen oder andere für die Sicherheit der Bevölkerung wichtige Aufträge übernehmen, die im Zusammenhang mit der Märchenwelt stehen.

Die Märchenwelt wird durch die Anime-Linse betrachtet. Die Verwandlung von Mensch in Märchenfigur und umgekehrt erfolgt ganz Anime-typisch mit viel Farben und Geräuschen. Die Märchenfiguren können fliegen oder Flammen werfen. Vielleicht haben sie riesige Waffen oder sind stark wie Ochsen. Es sind Anime-Märchen-Figuren mit Superkräften.

Regeltechnisch wird „Fate Core“ mit „Turbo-Fate“ vermischt. Die Menschen haben Fertigkeiten wie in „Fate Core“. Die Märchenfiguren haben Methoden wie in „Turbo-Fate“, sie beschreiben also „wie“ sie etwas machen und nicht genau, was sie können. Zu den emotionalen Märchenfiguren passt das ziemlich gut. Da beide Regelwerke kostenlos als PDF zur Verfügung stehen, ist auch niemand gezwungen zwei Regelbücher zu kaufen, um „Märchenkrieger, LOS!“ spielen zu können. Die Charaktererschaffung funktioniert ansonsten recht normal. Einige Aspekte können entweder für die Figur oder die Menschen gewählt werden. Durch die Charakterentwicklung kann das auch wechseln, was den Spielern die Möglichkeit gibt, sich in unterschiedlichen Phasen der Kampagne mehr auf die eine oder die andere Seite zu konzentrieren. Stress und Konsequenzen gelten für beide.

Das Heft beschreibt alle Bereiche des Spiels: Charaktererschaffung, Gegner und Figuren, ein kurzer Blick auf Anime und natürlich die Geschichte der Menschenwelt. Details gibt es entsprechend der „Fate“-Philosophie nur wenige. Der König und seine Gegnerin, die böse Königin, werden beschrieben, es gibt Beispielgegner und zwei oder drei Absätze zur geschichtlichen Entwicklung. Der Hinweis „Macht, was ihr wollt!“ ist aber wesentlich wichtiger als irgendwelche Daten oder Beschreibungen. Alles sind nur Bespiele.

Der Leser wird von Appolonia und ihrem Märchengegenstück, dem Marienkind, durch die Regeln geführt. Fast der gesamte Text ist ein Dialog zwischen den beiden unterschiedlichen Figuren. Die beiden erklären dem Leser, worum es geht und was es zu beachten gilt. Der Dialog (und die kleinen Streitereien zwischen den beiden) hilft bei der Vorstellung, wie das Spiel ablaufen kann. Zwar macht er die Lektüre interessant und witzig, hilft aber nicht unbedingt, wenn man schnell etwas nachschlagen will. Ich persönlich mag „In-Voice“ eigentlich gar nicht, weil es den Text zumeist aufbläht, ohne ihm etwas hinzuzufügen. Wegen der Kürze des Buchs und der gelungenen Untermauerung des Spielkonzepts kann ich hier aber gut damit leben. Der Stil ist vielleicht etwas „überdesignt“. Beim Charakterbogen ist es ähnlich. Er besteht aus zwei Hälften, die jeweils in eine andere Richtung zeigen. Der Spieler muss den Charakterbogen also umdrehen, wenn er die Figur wechselt. Die Idee mag ganz witzig sein, ich halte die Dreherei am Spieltisch aber doch für etwas unpraktisch.

Das sind aber nur kleine Kritikpunkte in einem ansonsten sehr gelungenen Buch. Das Konzept funktioniert hervorragend, liefert Stimmung, Spannung und ein Ziel für die Charaktere. Es wird durch die Regeln unterstützt und hervorragend umgesetzt. Lasst euch nicht vom Thema abschrecken. „Märchenkrieger, LOS!“ ist ziemlich cool.
    
Fazit: Ein fiktives Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in das eine Märchenwelt eindringt, die eher an typische Animes gemahnt als an die Brüder Grimm. Auch Gruppen, die Anime nicht so sehr mögen, würde ich empfehlen, einen Blick auf das gelungene Heft zu werfen. Abenteuer, Action, Humor und Spannung fügen sich ein gut designtes Rollenspielkonzept.

Märchenkrieger, LOS!
Quellenbuch
Anne Wiesner
Uhrwerk Verlag 2018
ISBN: 978-3-95867-155-3
108 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

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