Lovecraft-Bibliothek 20: Necronomicon

Im Rahmen der Bibliothek des Schreckens werden die neu übersetzten Werke des Großmeisters des Horrors H. P. Lovecraft in einer sechsteiligen Sammlung aufgelegt. Mit „Necronomicon“ liegt nun der vierte Band der Reihe vor, der sechs Geschichten sowie einiges Bonusmaterial umfasst.

von Oliver Adam

 

Zuerst einmal überzeugt die äußere Gestaltung. Der edle, 330 Seiten umfassende Band ist mit einem Hardcover-Umschlag, einem schwarzen Lesebändchen, hoher Papierqualität und der stimmungsvollen Titelgestaltung hervorragend ausgestattet und reiht sich nahtlos in die Reihe der bisherigen erschienenen Titel ein. Aber welcher Inhalt verbirgt sich nun zwischen den Buchdeckeln?

Den Auftakt der sechs Geschichten macht „Stadt ohne Namen“. Hier berichtet der Ich-Erzähler von einer archäologischen Expedition in diese Stadt prähistorischen Ursprungs. Verborgen unter der Erde findet er einen geheimen Ort mit Wandmalereien, die schreckliche und abartige Wesen darstellen, und entdeckt schließlich sogar was sich hinter den abstrakten Zeichnungen verbirgt. Diese atmosphärische Geschichte deutet das Grauen nur subtil an und blendet dort ab, wo sich bei anderen Horror-Autoren die Story erst entfalten würde. Sehr mutig geht der Festa Verlag mit der Übersetzung neue Wege und überträgt den Klassiker „Es ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt“ neu mit „Es ist nicht tot, was ewig liegt, und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt“. Für Mythos-Kenner gewöhnungsbedürftig, aber sicherlich näher am Original.

In der fiktiven Neu-England-Stadt Kingsport spielt „Das Fest“. Der Ich-Erzähler folgt einer Einladung seiner Verwandtschaft zum Jul-Fest. Dort wird er mit allerhand Schrecken konfrontiert – die Örtlichkeit wirkt irgendwie unreal, vor allem erweisen sich jedoch die Verwandten als unheimlich. Und am Ende bleibt unklar, ob das alles real oder nur eine Wahnvorstellung war. Die Stimmung dieser Geschichte wird gekonnt aufgebaut, mündet aber nicht in ein adäquates Finale und so bleibt leider ein nicht zufriedenstellender Eindruck zurück.

Im Mittelpunkt von „Das gemiedene Haus“ steht ein Bauwerk, an dem Edgar Allan Poe bei seinem Aufenthalt in Providence einst vorbei ging, und das von den Menschen des Ortes aufgrund zahlreicher unerklärlicher Fälle von Tod und Wahnsinn in seinen Mauern gemieden wird. Der Protagonist der Geschichte geht den Geheimnissen des Hauses auf den Grund und schafft es schließlich – für eine Lovecraft-Geschichte recht ungewöhnlich – das Rätsel aufzulösen. Auch hier besticht die Erzählung durch einen stimmigen Spannungsaufbau, der allerdings mit den vielen Details etwas ermüdend ist. Zudem ist die Auflösung des Themas angesichts der großen und zeitlich langfristigen Bedrohung sehr profan.

Völlig untypisch für Lovecraft ist „In den Mauern von Eryx“, das in ferner Zukunft auf dem Planeten Venus spielt. Die Menschheit ist gerade dabei diesen Planeten auszuplündern und schürft in diesem lebensfeindlichen Umfeld nach Kristallen, die sie zur Energiegewinnung nutzen. Der Protagonist verfängt sich dort in einem Labyrinth unsichtbarer Mauern und hält die Geschehnisse in seinem Tagebuch fest, wobei es spannend zu lesen ist, wie sich die Stimmung vom Entdeckerdrang bis hin zu nihilistischem Grauen wandelt. Dabei ist die Geschichte eher im Bereich Science Fiction anzusiedeln als im Horror-Genre. Alles in allem eine spannende Lektüre mit einigen Längen und einer klaren Aussage zu den Themen menschliche Überheblichkeit und Kolonisierung.

„Gefangen bei den Pharaonen“ schrieb Lovecraft als Ghostwriter für den berühmten Entfesselungskünstler Harry Houdini. Dieser übernimmt in dieser Geschichte die Protagonistenrolle und wird auf einer Ägyptenreise von seinem ägyptischen Führer in eine Falle gelockt und in einen verborgenen, tiefen Schacht bei den Pyramiden abgeseilt. Dort erblickt er unaussprechlichen Schrecken, der einfach nicht existieren darf. Eine sehr stimmungsvolle, düstere Geschichte, die mit vielen Andeutungen arbeitet, gleichzeitig jedoch auch wieder einige Längen aufweist.

Die umfangreichste Geschichte ist „Berge des Wahnsinns“, die aus der Sicht von William Dyer erzählt wird, eines Mitglieds der Expedition der Miskatonic University an die Antarktis. Zunächst ist das Team auf der Suche nach außergewöhnlichen Gesteinsarten. Schon bald stoßen sie auf unmögliche Fossilien und eine verborgene vorzeitliche Zivilisation. Die Erzählung ist bewusst in einem wissenschaftlichen Tonfall gehalten und kommt dadurch etwas zäh in Gang. Aufgrund des Inhalts ist sie jedoch eine der wichtigsten und besten Geschichten von Lovecraft und sollte von jedem, der Interesse am Cthulhu-Mythos hat, gelesen werden.

Im Anschluss an die Horrorgeschichten, finden sich noch einige Bonusmaterialen von unterschiedlicher Qualität. „Die Geschichte des Necronomicons“ ist eine praktische Übersicht über die verschiedenen Auflagen des fiktiven Mythos-Buches. „Katzen und Hunde“ ist ein schwacher längerer Text, der sehr subjektiv aus Sicht Lovecrafts die Vorteile von Katzenbesitzern gegenüber Hundebesitzern darstellt. Zwar ist die Aufzählung teilweise amüsant zu lesen, gleichzeitig ist sie jedoch auch rassistisch, intolerant und vollkommen diskreditierend gegenüber Hundebesitzern. Es folgen einige kürzere Abhandlungen und ein Gedicht, die allenfalls der Vollständigkeit wegen interessant sind.

Fazit: „Necronomicon“ ist mit seiner hervorragenden Aufmachung für alle Fans und Sammler eine wirkliche Bereicherung der cthulhoiden Bibliothek. Alleine die hervorragenden Geschichten „Berge des Wahnsinns“, „Gefangen bei den Pharaonen“ und „In den Mauern von Eryx“ rechtfertigen einen Kauf des Bandes. Allerdings sind die enthaltenen Erzählungen für Lovecraft eher untypisch und weisen darüber hinaus auch einige Schwächen auf, so dass Neueinsteiger besser zunächst auf die ersten Bände der Reihe zugreifen sollten.


Necronomicon (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens #20)
Horror/Mystery-Roman
H. P. Lovecraft
Festa Verlag 2007
ISBN: 978-3-86552-063-0
330 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,00

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