Lovecraft-Bibliothek 19: Das schleichende Chaos

Howard Phillips Lovecraft zählt neben Edgar Allan Poe und Ambrose Pierce zu den drei Eckpfeilern der amerikanischen Horrorliteratur – so steht es auf dem Rückumschlag der Bände der vom Festa Verlag herausgegebenen Reihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ geschrieben, die dem Leben und Werk des eigenbrödlerischen Autors aus Providence, Rhode Island gewidmet ist. Mit „Das schleichende Chaos“ liegt der dritte Band der 6-bändigen Sub-Reihe mit den gesammelten Erzählungen Lovecrafts vor.

von Frank Stein

 

Zehn Kurzgeschichten, zwei längere Erzählungen, die Erinnerung an eine persönliche Begegnung und einige Notizen zu Lovecraft: Das alles findet sich zwischen den in edlem Schwarz gehaltenen Buchdeckeln des Hardcoverbandes, der dem Leser erneut eine Sammlung cthuloiden – aber auch schwarzromantischen und amerikanisch-kolonialen – Grauens beschert. 285 Seiten umfasst das Werk, dessen Stories eindrucksvolle 17 Jahre von Lovecrafts Schaffen umfassen – von 1919 bis 1936 – und somit auch ein Bild des Wandels zeichnen, der sich im Stil und in den Interessen des Autors niedergeschlagen hat.

Die Verschiebung von Wahn und Wirklichkeit, die einen musischen Geist befallen mag, scheint Lovecraft immer wieder bewegt zu haben, denn davon handeln gleich die ersten drei Geschichten, die bemerkenswerterweise immer wieder entweder direkt im alten Griechenland spielen oder aber Verweise auf die griechische Mythologie enthalten. „Der Baum“ wird für einen Bildhauer zur grausigen Erinnerung an seinen unter seltsamen Umständen verstorbenen Freund. Drogenumnebelte Albträume erleben zwei junge Künstler in „Hypnos“. Und in „Iranons Suche“ irrt ein mit Weinlaub bekränzter Jüngling durch die Lande auf der Suche nach der Stadt Aira, in denen man – wie er sich zu erinnern glaubt – einst seine Lieder liebte. Es sind seltsam melancholische Geschichten, deren Grusel auch nur sanfter Natur ist.

Deftigeren County-Horror bieten die zwei Kurzgeschichten „In der Gruft“ und „Das Bild im Haus“, die beide von den perversen Taten kranker Männer im kleinstädtischen oder ländlichen Umfeld erzählen. Einmal wird einem pietätlosen Totengräber eine grässliche Lektion erteilt, einmal fressen sich schändliche Riten, die in einem alten Buch beschrieben werden, in den Geist eines alten Einsiedlers, der daraufhin zum Psychopathen wird. Die Stories sind kurz und deutlich auf die „Pointe“ hingeschrieben, die empfindsame Gemüter vor Ekel erschaudern lassen mag.

Die bekanntesten Lovecraft-Geschichten dieser Anthologie sind zweifelsohne „Die Musik des Erich Zann“, die Geschichte eines wahnsinnigen Geigers, der verzweifelt versucht, eine unirdische Musik durch sein Spiel auszusperren, sowie die mit fast 90 Seiten recht lange Erzählung „Der Schatten aus der Zeit“, in welcher in bester Manier – aber ein bisschen in Jules-Verneschem Entdeckerstil – vom Wirken uralter Mächte zu lesen ist. Ein Gelehrter wird vom Geist eines Wesens aus dem Abgrund der Zeit übernommen, das unsere Gegenwart erforschen will, während sein Bewusstsein in prähistorischer Zeit Gast einer unglaublich fremdartigen Zivilisation ist. Der Horror hier ist weniger expliziter Natur, eher die Tragweite der sich daraus für die Menschheit ergebenden Erkenntnisse soll kosmisches Grauen hervorrufen.

Weiterhin findet sich in dem Buch die sehr gute Geschichte „Jäger der Finsternis“ über einen namenlosen Schrecken, der im Glockenturm einer verfallenen Kirche in einer Truhe eingesperrt ist und den allzu neugierigen Protagonisten heimsucht. Hier taucht ein „leuchtendes Trapezoeder“ auf, dem an anderer Stelle auch eine eigene Kurzgeschichte gewidmet ist. Cthuloides Grauen durchweht diese Zeilen.

Zum Bonusmaterial gehört diesmal die sehr unterhaltsam verfasste Erinnerung Dorothy C. Walter, die tatsächlich „Drei Stunden mit H. P. Lovecraft“ verbracht hat. Das klingt nun nach wenig, aber sie selbst äußert sich überrascht darüber, wie viel es offenbar doch war angesichts der zurückgezogenen Lebensweise des Schriftstellers. Eher fragmentarisch – mal heiter, mal interessant, mal belanglos – sind die „Notizen zu Lovecraft“, die sich Robert H. Barlow gemacht hat und die sich tatsächlich teilweise sogar auf die in dem Band versammelten Kurzgeschichten beziehen.

Fazit: Wie schon die anderen Bände der Reihe ist auch „Das schleichende Chaos“ dem bibliophilen Lovecraft-Liebhaber wärmstens ans Herz zu legen. Das thematische und stilistische Spektrum der Geschichten ist sehr breit, sodass man nicht nur einen guten Überblick über die Themen und den Stil des Autors bekommt, sondern auch für jeden Geschmack was dabei ist: vom romantischen Grusel über den deftigen Horror bis hin zum chtuloiden Grauen. Der Preis von 24 Euro wirkt zwar auf den ersten Blick stattlich, ist aber bei einem Werk dieser Güteklasse und auch angesichts der wirklich guten handwerklichen Bearbeitung völlig gerechtfertigt.


Das schleichende Chaos (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens #19)
Horror/Mystery-Roman
H. P. Lovecraft
Festa Verlag 2006
ISBN: 978-3-86552-056-2
285 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,00

bei amazon.de bestellen