Lovecraft-Bibliothek 13: Die Xothic-Legenden

„Lin Carters Xothic-Erzählungen gehören zu den fantasiereichsten und spannendsten Geschichten, die jemals zu H. P. Lovecrafts unheimlichen Mythos um die Großen Alten aus den Weiten des Alls geschrieben worden sind.“ verspricht der Text auf den Buchrückseite. Angesichts dieser Erwartungshaltung vermag der Inhalt des Buches nur zu enttäuschen.

von Joachim A. Hagen

 

Lin Carter ist zwar ein versierter Autor, aber irgendwie wirken seine Geschichte wie B-Filme, die bekannte Muster wiederholen, ohne ihnen jedoch neue Tiefe, Eigenständigkeit oder Originalität zu verleihen. Carters Problem liegt darin, dass er zwar erkennbar in Lovecrafts Spuren wandelt, aber nicht aus dessen Schatten herauszutreten vermag. Zu sehr folgen seine Geschichten altbewährten Mustern. So bleiben seine Erzählungen zwar unterhaltsame Hommagen an Lovecraft, ohne jedoch eigene Kraft und Lebendigkeit zu gewinnen.

Lin Carters großes Manko ist es, den von Lovecraft geschaffenen Mythos zu kategorisieren. (Der so genannte Mythos bildet den von Howard Philips Lovecraft geschaffenen Hintergrund, vor dem viele von dessen Geschichten handeln: die Existenz mächtiger und bestenfalls amoralischer kosmischer Wesenheiten, die in vergangenen Äonen die Erde heimsuchten und zum Teil noch heute auf ihr verweilen oder deren Einfluss immer wieder spürbar wird.) So werden bei Lin Carter Mythos-Wesen eindeutig Geschlechter und Verwandschaftsbeziehungen zugewiesen: So ist Cthulhu beispielsweise ein Sohn Yog-Sothoths und hat wiederum selbst mit seiner Gemahlin Idh-yaa auf dem Stern Xoth drei Söhne gezeugt: Zoth-Ommoth, Ythogtha und Ghatanothoa, die alle – wie Cthulhu selber – auf der Erde gefangen gesetzt sind und ihrer Befreiung harren.

Zudem greift Carter die Idee des „Krieges der Götter“ von August Derleth auf und unterteilt in gute und böse Mythoswesen, während diese Kreaturen bei Lovecraft allesamt bestenfalls amoralisch waren. Lin Carter erzeugt dadurch ein Schubladendenken, in das der Mythos eingepasst werden kann, und vermenschlicht das Unmenschliche; er entzaubert den Mythos und macht ihn zu etwas, das mit wissenschaftlicher Nüchternheit betrachtet werden kann. Damit fehlt aber der Nimbus des Unerklärlichen, des für menschliche Gehirne Unverständlichen, völlig.

Des Weiteren geht Carter sehr frei mit Mythos-Büchern um. So tauchen regelmäßig das „Necronomicon“, „De Vermiis Mysteriis“, „Von unaussprechlichen Kulten“ sowie „Cultes des Ghoules“ auf. Der Leser wird stellenweise davon und anderen fiktiven wissenschaftlichen Texten erschlagen. Dies mag ja passend sein, wenn es sich bei den Hauptfiguren der Geschichten um Wissenschaftler handelt, aber dennoch bleibt manchmal der Eindruck haften, man blättere durch ein Verzeichnis verwendeter Literatur.

In der Erzählung „Der Schrecken in der Galerie“ darf der Ich-Erzähler sogar seitenweise aus den „Unausssprechlichen Kulten“ zitieren; dabei erfahren er und der Leser den gesamten Mythos-Hntergrund aus Carterscher Sicht. Hier macht Carter eindeutig den Vorhang zu weit auf; statt sich in Andeutungen zu ergehen, die der Atmosphäre dienlich gewesen wären, seziert er regelrecht. Wo Lovecraft aus gutem Grund vage bleibt, erläutert Carter. Damit ist er irgendwie der Typ, der einen Witz und dessen Funktionieren erklärt, statt ihn einfach zu erzählen.

Inhalt

„Die Xothic-Legenden“ stellen eine Auswahl von zwölf Kurzgeschichten, von denen die ersten fünf einen Episodenroman bilden und in diesem Zusammenhang auch erst ihre eigentliche Wirkung entfalten. Den Mittelpunkt dieser Geschichten bildet die Forschung von Professor Harold Hadley Copeland und die von ihm entdeckten Zanthu-Tafeln.

„Die rote Opfergabe“ gibt vor, eine Übersetzung aus den Zanthu-Tafeln zu sein und schildert, wie Zanthu in prähistorischer Zeit danach strebt, der Hohepriester des Ythogtha zu werden. Zuvor muss er allerdings die „rote Opfergabe“ darbringen... Diese kurze Geschichte, mehr eine Episode, erinnert eher an Fantasy im Stile von „Conan“ und wirkt wie das Einleitungskapitel einer längeren Erzählung; für sich allein stehend ist sie eher unbefriedigend, erlangt aber im Rückblick aus den vier nachfolgenden Geschichten heraus eine tiefere Bedeutung.

In „Der Bewohner der Gruft“ schildert Professor Copeland seine Suche nach dem Grab des Hohepriesters Zanthu von Mu im asiatischen Hochland. Während er die Expedition in menschenverlassene Gebiete führt, suchen ihn erschreckende Träume und Visionen heim, die er einem noch nicht ausgeheilten Fieber zuschreibt. Die einheimischen Träger verschwinden nach und nach, und am Ende erreicht der ausgemergelte Copeland das Ziel seiner Wünsche, wo er eine erschütternde Entdeckung macht...

„Das Ding in der Tiefe“ ist wiederum ein Auszug aus den Zanthu-Tafeln. Zanthu, mittlerweile zum Hohepriester des Ythogtha-Kultes aufgestiegen, muss mitansehen, wie sein Kult gegenüber dem des Ghatanothoa immer mehr an Macht verliert. Er beschließt, einen weiteren Abstieg zu verhindern, indem er seinen Gott aus dessen Gefängnis befreit. Ein Vorhaben mit schwer wiegenden Konsequenzen...

In „Aus der Tiefe der Zeit“ befasst sich der Kurator Stephenson Blaine mit der Sichtung von Professor Copelands Nachlass. Dabei darf er die Auswirkungen des Mythos am eigenen Leib erfahren und stellt schließlich fest, dass er ein uraltes Übel erwecken soll.

„Der Schrecken in der Galerie“ bildet den Abschluss des Episodenromans, der sich aus den vorherigen Erzählungen zusammensetzt. Arthur W. Hodgkins schildert in einem Polizeiprotokoll, wie er als Nachfolger von Stephenson Blaine den Copeland-Nachlass klassifizierte. Dabei stieß er auf beunruhigende Hinweise über ein Wesen namens Zoth-Ommoth und dessen verderblichen Einfluss. Hodgkins Suche nach einer Lösung führten ihn schließlich in die Miskatonic Universität nach Arkham – zum „Necronomicon“...

In „Der Winfield-Nachlass“ erbt der junge Winfield von seinem verstorbenen Onkel, dem schwarzen Schaf der Familie, ein Haus samt Grundstück. Am Anfang ist er über die wertvolle Büchersammlung aus dem Häuschen, aber dann wird die Sache langsam unheimlich. Und was hat es mit den Leichenfunde auf dem benachbarten Feld zu tun? Schließlich erkennt er, welches Erbe er anzutreten hat...

In „Vielleicht ein Traum“ sucht ein Mann bei einem Okkultisten Rat, weil er seit kurzer Zeit über Alpträume leidet, die ihn in eine unterseeische Stadt namens R’lyeh entführen. Der Okkultist macht unter den Erbstücken, die der Hilfe Suchende von einem Onkel erhalten hat, einen interessanten Fund. Die Auflösung der Geschichte ähnelt der von „Der Schrecken in der Galerie“.

„Das seltsame Manuskript in den Wäldern von Vermont“ behandelt erneut das Thema des Unheil bringenden Erbes. Ein Mann erbt die Waldhütte seines Bruders, der unter mysteriösen Umständen verschwand. In der Hütte findet er ein Tagebuch, welches ihm nach und nach Auskünfte über das Schicksal seines Verwandten gibt – und ungute Vorahnungen weckt...

In „Etwas im Mondlicht“ befasst sich ein frischgebackener Psychiater mit dem seltsamen Fall eines Mannes, der sich vor einer Echse auf dem Mond fürchtet. Eigenartigerweise weist der Patient jedoch keine der klassischen Symptome eines Paranoiden auf, spinnt aber eigenartige Theorien über außerirdische Wesenheiten, welche einst die Welt bevölkerten. In einem Versuch, das Vertrauen des Gestörten zu gewinnen, erklärt sich der Arzt bereit, ihm Auszüge aus eigenartigen Schriften zu besorgen. Er ahnt nicht, dass für seinen Patienten die Zeit abläuft...

„Die Fischer von draußen“ warnen vor den Konsequenzen allzu eifrigen wissenschaftlichen Forschens, die ein Archäologe am eigenen Leib erfahren darf.

„Hinter der Maske“ handelt von einem wissenschaftlichen Assistenten, der zuviel in Mythos-Werken liest – mit negativen Konsequenzen.

„Die Glocke im Turm“ ist die Erzählung eines alten Mannes, der jedes Mal schreit, wenn die Kirchturmglocken läuten. Einst gelang es ihm, mittels eine Droge in eine andere Welt zu blicken. Dabei gewann er mehr Einsichten, als er sich gewünscht hatte. Die Pointe der Geschichte ist an „Das Ding in der Tiefe“ angelehnt.

Beim Durchlesen der obigen knappen Inhaltsangaben wird wohl schnell klar, dass sich in nahezu allen Geschichten ein Schema wiederholt. Nahezu alle geben vor, die schriftliche oder mündliche Wiedergabe eines vergangenen Geschehens zu sein, sie handeln nahezu alle von unliebsamen Erkenntnissen, die einen Preis kosten und am Ende jeder Geschichte kommt eine Pointe, selbst wenn diese vorhersehbar ist.

Was „Die Xothic-Legenden“ aufwertet, ist das Vorwort des US-amerikanischen Herausgebers Robert M. Price, in dem er eingehend und kritisch Lin Carters Umgang mit dem Mythos Lovecrafts schildert. Price verfasste zu jeder Kurzgeschichte Carters auch eine informative Einleitung, welche mit Hintergrundinformationen aufwarten und es leichter machen, den Kontext, in dem die Geschichten entstanden, zu sehen.

Fazit: Wer gezielt an einem Einblick in Lin Carters Werk interessiert ist, soweit es seine Rolle als Autor in der Tradition Lovecrafts anbelangt, wird mit „Die Xothic-Legenden“ gut bedient. Wer allerdings nach anspruchsvollen Gruselgeschichten sucht, kann diese Buch ruhig an sich vorbei gehen lassen.


Die Xothic-Legenden (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens #13)
Horror/Mystery-Kurzgeschichtensammlung
Lin Carter
Festa Verlag 2004
ISBN: 3-935822-54-5
324 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

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