Lore of the Forsaken

Als ein Quellenband, der darauf abzielt, Spielern einen bestimmten Aspekt des Spiels „Werewolf: The Forsaken“ näherzubringen, beschäftigt sich „Lore of the Forsaken“ verstärkt mit der spirituellen Natur der Uratha und der Welt des Hisil. Das Ziel des Buches ist es, den Spielern mehr Möglichkeiten zur Ausgestaltung ihrer Charaktere zu geben und gleichzeitig dem Erzähler genug Freiheiten zu lassen, um immer neue Überraschungen aus dem Shadow Realm in seine Geschichten einbauen zu können.

von Christian Beier

 

„The Tarot of Eight Packs“ ist eine Sammlung von acht kurzen Geschichten, welche die Stimmung des Buches wiedergeben und verschiedene Beispiele für den enormen Einfluss der Geister auf die Uratha und ihre Feinde liefern. Die Geschichten sind interessant, allerdings ein wenig kurz. Weniger verschiedene Geschichten und dafür mehr Inhalt wäre hier wünschenswert gewesen, besonders da das Layout in der letztendlich gewählten Form verdächtig viele weiße Flächen lässt.

In der Einführung wird die Stimmung des Bandes festgesetzt und nochmals betont, dass die Uratha nicht die Herren der Geisterwelt sind und einige Dinge für sie genauso seltsam und Furcht erregend sind, wie für einen normalen Menschen. Dass ihr Zorn und die Fähigkeit, sich in eine Zwei-Meter-Mordmaschine zu verwandeln, nicht die Lösung für alle Probleme sind. Sollte nach der Lektüre des Grundregelwerkes eigentlich klar sein, trotzdem gut, dass es hier noch mal betont wurde.

Im ersten Kapitel greift das Buch gleich in die Vollen und widmet sich den Herren der Geisterwelt, den geheimnisvollen Incarna. Zunächst wird darauf eingegangen, wie man diese Geister findet und möglicherweise einige dazu bringt, als Totem des Rudels zu agieren, dann folgt eine Beschreibung der mächtigsten unter ihnen. Zunächst in der Gestalt von Luna, für die zahlreiche Interpretationen geliefert werden, wie sie zu sehen ist, ohne das Geheimnis, welches sich um dieses Wesen rankt, zu zerstreuen, dann in der Gestalt der Totems der Gefallenen und Reinen Stämme und schließlich durch die Maeljin. Zu den Totems lässt sich sagen, dass sie sehr stimmig beschrieben sind, jeweils mit einer eigenen Geschichte über ihr Verhalten nach dem Mord an Vater Wolf und einigen Anregungen, wie sie auf ihre Stämme Einfluss nehmen könnten, ohne diese mächtigen Gestalten direkt als NSCs auftreten lassen zu müssen. Positiv hervorzuheben sind auch die Totems der Reinen Stämme, welche ebenfalls Einfluss auf die Uratha ausüben und in einigen Fällen diese gar direkt kontaktieren (in der Regel keine angenehme Erfahrung). Ganz anders präsentiert werden die Maeljin, welche jeweils in ihrer „reinen“ Form beschrieben werden, gefolgt von einem Beispiel eines Maeltinet-Dieners von ihnen. Die Maeltinet werden als Avatare der Persönlichkeit der Maeljin beschrieben, was es den Spielern ermöglicht, sich mit den Maeljin auseinanderzusetzen und trotzdem eine Chance zu haben, aus diesen Konflikt siegreich hervorzugehen (wenn auch nicht gegen die – zu Recht unbesiegbaren – Incarna selbst, sondern „nur“ gegen Jagglinge). Außerdem gibt es einen schönen Widererkennungseffekt, bei dem man aus den Dienern auf ihre möglichen Herren schließen kann, und dies bietet die Möglichkeit, wiederkehrende Gegner ins Spiel einzubauen.

Weiter geht es mit einer Betrachtung der lunaren Vorzeichen der Uratha, gefolgt von einer detaillierten Betrachtung der Rolle, welche diese Vorzeichen im Rudel zu spielen haben und welches Verhalten und welche Charaktereigenschaften von ihnen erwartet werden. Wer bereits mit „Werwolf: Die Apokalypse“ vertraut ist, wird hier nicht viel Neues entdecken. Aber auch das Wenige ist für alte Hasen zumindest einen Blick wert, sei es die visionäre Rolle des Cahalith, das Einzelgängertum den Irakka oder die Tatsache, dass Ithaetur keine sanften Schamanen sind, sondern Gewalt über Geheimnisse besitzen, welche vielen den Verstand rauben würden (und einige sind sich nicht sicher, ob nicht genau das bei den Ithaeur der Fall ist). Für Spieler ohne Vorkenntnisse des „anderen“ Werwolf ist dieses Kapitel ohnehin Pflicht, alle anderen werden – trotz der Bekanntheit der meisten Konzepte – sicherlich Freude an einem durchweg guten Schreibstil haben. Abgerundet wird das Kapitel durch fünf neue Gaben, welche die Stärken der einzelnen Vorzeichen noch stärker zum Vorschein bringen.

Um Gaben geht es auch im dritten Kapitel. Statt jedoch endlose Seiten mit neuen Kräften zu füllen, wird stattdessen stärker auf den Hintergrund eingegangen: Was ist eine Gabe? Wie lernt man sie? Mehrere Seiten werden den rollenspielerischen Aspekten gewidmet, der Verhandlung – oder dem Kampf – mit den Geistern, um sich ihrer Fähigkeiten zu bemächtigen. Zahlreiche Beispiele verdeutlichen dieses doch recht komplexe Thema und geben Aufschluss über die sehr weltfremde Denkstruktur der Geister. In gleicher Weise werden danach auch die Riten der Uratha erläutert und illustriert. Abschließend folgen dann doch einige neue Riten und drei neue Gaben, welche dem Spiel zahlreiche neue Möglichkeiten abgewinnen. Besonders die „Gaben der Stadt“ (Gifts of the City) werden nicht nur Freunden der alten Glaswandler viel Freude bereiten.

Das letzte Kapitel schließlich widmet sich dem Einfluss, den Geister auf die materielle Welt ausüben; den Loci, erwachten Objekten und Fetischen. Erstere werden leider etwas kurz abgehandelt, es wird aber genug Material geliefert, auf das man als Erzähler notfalls aufbauen kann. Erwachte Objekte werden dann intensiver beleuchtet und es wird ein komplexes Bild dieser Wesen vermittelt, durch das diese auch als Wesen darstellbar werden und nicht nur als Werkzeuge zur Erlangung eines Zwecks (Spieler werden sich nach der Lektüre dieses Kapitels sicher zweimal überlegen, ob sie partout jeden Gegenstand erwecken, den sie benutzen wollen). Zusätzlich zu den Beschreibungen des Wesens der Fetische (welches auch neue Möglichkeiten enthält, um mit dem darin gebundenen Geist zu kommunizieren), wird ein System zur Fetischerschaffung präsentiert, welches zwar sehr komplex, dafür aber gut ausbalanciert ist (persönlich würde ich dieses System nur verwenden, wenn ich einen unverbesserlichen Powergamer in meiner Runde hätte, der versucht sich einen „Mörderfetisch der Weltzerstörung“TM zu basteln. Auch dieses Kapitel schließt mit einigen Beispielen (diesmal für Fetische) ab. – Und die Entwickler beweisen schwarzen Humor: Der Fetisch Alphaskin weckt mühsam verdrängte Erinnerungen an einen gewissen NSC aus dem alten „Werwolf“…

Minuspunkte muss das Buch für sein Artwork hinnehmen: Das Cover ist einfach nur hässlich. Und auch wenn die Innenillustrationen etwas besser sind, können sie doch nicht mit der hohen Qualität des Artworks aus dem Grundregelwerk mithalten.

Fazit: „Lore of the Forsaken“ steht in der Tradition der Toolkit-Bände und insofern bietet es nicht wirklich neue Erkenntnisse, sondern Möglichkeiten, um die im Grundregelwerk entworfene Spielwelt glaubwürdig darzustellen. Dies wird jedoch in so unterhaltsamer und teilweise überraschender Weise präsentiert, das dieses Buch nicht nur für Rollenspielanfänger interessant ist. Selbst aus der „Apokalypse“ bekannte Konzepte werden in einem Licht präsentiert, welches – wenn auch nicht explizit ausgeschlossen – in den alten Büchern nie verwendet wurde. Wer also neue Ansätze und Inspirationen zum „Werwolf“-Spiel sucht, der ist mit diesem Band gut beraten.


Lore of the Forsaken
Quellenbuch
James Comer, Aaron Dembski-Bowden, Wayne Peacock, Steward Wilson
White Wolf 2005
ISBN: 1588463273
160 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 26,99

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