Legacy of the Crystal Shard (The Sundering II)

1988 schrieb Autor R. A. Salvatore für das ein Jahr zuvor erschienene „D&D“-Campaign Setting „Forgotten Realms“ den Roman „The Crystal Shard“, der nicht nur der Beginn der phänomenalen Karriere des Dunkelelfen Drizzt Do’Urden war, sondern auch Ed Greenwoods „Forgotten Realms“ weit über den Rollenspielsektor bekannt machte. In dem Roman, Teil 1 der „Icewind Dale“-Trilogie, fiel ein Zauberlehrling namens Akar Kessell unter den Bann eines bösen Kristallartefakts und bedrohte die Region von Ten-Towns, ein Übel, das Drizzt und seine Freunde abwehren konnten. Fast 130 Jahre später droht es zurückzukehren.

von Frank Stein

Die Welt von „Dungeons & Dragons“ ist im Wandel. Nicht nur wird seit 2012 bereits eifrig an „D&D Next“ gearbeitet, das 2014, zum 40-jährigen Jubiläum des Spiels, herauskommen soll, auch das vielleicht beliebteste Kampagnensetting, die „Forgotten Realms“, wird einmal kräftig durchgeschüttelt und damit neu belebt, wie es bei Wizard.com heißt. Man ahnt, dass Faerûn DER Spielkontinent für „D&D Next“ sein wird. Das Event dazu nennt sich „The Sundering“, findet um das Jahr 1485 DR statt und wird gegenwärtig in sechs Hardcover-Romanen und diversen Abenteuern behandelt.

„Legacy of the Crystal Shard“ ist das zweite „Sundering“-Abenteuer nach „Murder in Baldur’s Gate“ und spielt in der Gegend der Ten-Towns in Icewind Dale, hoch im Norden von Faerûn. Die Charaktere erreichen den Schauplatz vermutlich als Teil einer Karawane (andere Optionen werden vorgestellt), und schon bald bekommen sie mit, dass einiges faul im Icewind Dale ist. Dabei müssen sie sich nicht nur mit der Auserwählten der frostigen Göttin Auril herumschlagen, sondern auch mit einem intriganten Angehörigen der Arcane Brotherhood und einem alten Übel, das vor vielen Jahren besiegt geglaubt war, nun aber wieder erwacht.

Das Abenteuer behandelt diese drei Handlungsstränge recht parallel und bietet nicht nur ein vergleichsweise umfangreiches Intro „Was bisher geschah“, sondern auch Hinweise, wie die Antagonisten weiter handeln, während die Helden versuchen, sich um sie zu kümmern – wobei explizit gesagt wird, dass nicht davon ausgegangen wird, dass es die Helden in der ihnen gegebenen Zeit schaffen, alle drei Probleme vollständig zu lösen. Gerade diese zwei Umstände machen „Legacy of the Crystal Shard“, obwohl es für niedrigstufige Helden gedacht ist, nicht zu einem Einsteigerabenteuer. Für ungeübte Rollenspieler dürfte die parallel verlaufende Handlung zu komplex sein, ebenso die Menge an Verstrickungen, die sukzessive aufgedeckt werden können. Dass sich das Abenteuer (auch) als Teil der Spieletests von „D&D Next“ versteht, also für Spieleveteranen gedacht ist, wird hier durchaus deutlich.

Neben dem 32-seitigen Adventure Book umfasst das in einen Papierumschlag eingeschlagene Abenteuerset auch einen 64-seitigen Campaign Guide und einen vierseitigen Spielleiterschirm, der explizit für dieses Abenteuer geschaffen wurde. Adventure Book und Campaign Guide sind beides geheftete Magazinformate in Vollfarbe und aus robustem Papier. Das Layout ist eher schlicht (im Wesentlichen Zweispaltentext, der einfach durchläuft, gelegentlich getrennt von Zwischenüberschriften) und gerade im Adventure Book fällt das Fehlen von Illustrationen sehr auf. Bis auf kleine Charakterporträts und einen gelegentlichen, farblich abgehobenen Infokasten, existiert in diesem Buch nichts als Fließtext. Und damit meine ich, dass es auch keine Werte-Kästen für NPCs oder Monster gibt!

Hier gehen die experimentierfreudigen Wizards of the Coast einmal mehr neue Wege, indem sie die Stat-Blöcke nur online als PDF anbieten, dafür aber für gleich drei „D&D“-Inkarnationen: für „D&D v3.5.“, für „D&D 4.0“ und für „D&D Next“. Damit ist das Abenteuer praktisch für alle „D&D“-Gruppen geeignet, egal welches Regelsystem sie bevorzugen. Der Nachteil ist natürlich, dass ein komplett unspielbares Abenteuer vorliegt, wenn man keinen Internetzugang hat, um sich die PDFs zu ziehen (also bevor ihr zum Rollenspielwochenende in die Blockhütte am See fahrt, checkt, ob ihr wirklich alle Spielwerte habt, die ihr braucht).

Diese Wertelosigkeit erstreckt sich auch auf den Campaign Guide, was ihn natürlich auf der Habenseite zu einem wundervoll universellen Quellenbuch zur Region des Icewind Dale werden lässt, einer Gegend, die landschaftlich und von der Namensgebung her eine Mischung aus Schottland und Skandinavien ist. Nach einem Überblick über das Icewind Dale als Ganzes, richtet sich der Fokus auf die Region Ten-Towns, das „Licht der Zivilisation“ im kalten, rauen Norden. Jede der zehn Siedlungen wird auf ein paar Seiten vorgestellt, wobei nicht nur die Stadt oder das Dorf als Ganzes, sondern auch einzelne Schauplätze betrachtet werden. Außerdem gibt es ein Kurzporträt des Sprechers der jeweiligen Siedlung. Eine Karte komplettiert den guten Überblick.

Im Anschluss daran wird das Umland bereist. Die Reghed Tribes werden kurz vorgestellt. Beispielhaft wird der Tribe of the Elk (auch ein Erbe des Salvatore-Romans) detaillierter betrachtet. Das beschränkt sich allerdings auf wichtige Angehörige dieses Stammes, dazu kommt eine Beschreibung einer heiligen Stätte der Stämme namens Evermelt. Dann wird ein Blick auf die Zwerge geworfen, die in einem Tal am einsamen Berg Kelvin’s Cairn leben und Verwandte der Zwerge von Mithral Hall sind (Stichwort: Bruenor Battlehammer – Salvatore-Leser kennen dessen Lebenslauf). Sowohl die Zwergenhallen selbst, als auch die Nachbarschaft des unwirtlichen Kelvin’s Cairn werden kurz vorgestellt. Das nächste Kapitel ist „The Frostmaiden“ gewidmet, Auril, der bösen Göttin des Winters und der Kälte, deren Dienerin Hedrun Arnsfirth, genannt The Ice Witch, im Abenteuer zu den Antagonisten gehört. Selbige wird mit ihrem Hort ebenso porträtiert. Den Abschluss bilden jeweils vier Seiten über die Lande rund um das Icewind Dale und vier Seiten über die Arcane Brotherhood, auch ein Gegenspieler des Abenteuers.

64 Seiten mögen für so eine Menge Material nicht viel sein und natürlich bleiben Lücken, aber in meinen Augen reicht es völlig. Die Texte, die völlig auf Regelmechanismen und Zahlenspiele verzichten, geben einen guten Überblick über Land und Leute. Mehr wird ein Spielleiter selten brauchen. Wie bei einem guten Reiseführer genügen die Informationen, um sich zurechtzufinden, und es wird einiges an Hintergrundwissen geboten, man fühlt sich aber nicht durch Kleinkram erschlagen, den man sich dann beim Leiten letztendlich doch nicht merken kann. Hier wurde eine schöne Balance gefunden.

Ein echter Kracher – und wieder mal ein Zeichen dafür, dass man bei Wizards of the Coast gerne auch neue Wege geht – ist der exklusiv für das Abenteuer gestaltete Spielleiterschirm. Er enthält keine Regelwerte, sondern bloß Informationen, die während dem Leiten von „Legacy of the Crystal Shard“ nützlich sind. Dazu zählen eine große Karte der Region von Ten-Towns, zehn kleinere Stadtpläne der besagten Städte und Dörfer, eine Übersichtskarte des Nordwestens von Faerûn (von Luskan im Süden bis zur Sea of Moving Ice im Norden), Random Encounters für die unterschiedlichen Gegenden, in denen sich die Spielercharaktere aufhalten können, Reisezeiten für die Wanderung zwischen den Schauplätzen (fälschlich „Battlefield Encounters“ übertitelt), zufällige lokale Schätze (vor allem Knochenschnitzerein und Schwarzes Eis), Namenslisten für NPCs und eine Zufallsliste für NPC-Konzepte, die je in einem Satz umrissen werden (etwa „Thief hiding from the law“ oder „Dreamer who longs to become famous in the dale“) und den Figuren, denen die Charaktere begegnen, eine Art Instant-Persönlichkeit verleihen. Obwohl aus etwas dünner Pappe gefertigt, halte ich diesen Schirm für extrem hilfreich und eine tolle Ergänzung des übrigen Materials.

Fazit: Mit „Legacy of the Crystal Shard“ liegt ein interessantes Abenteuer vor, das trotz seiner niedrigstufigen Helden nicht unbedingt für Einsteiger gemacht ist. Dazu sind die Verwobenheit der Handlungsstränge und die parallele Entwicklung der Ereignisse zu knifflig zu leiten. Durch seine extreme Verwurzelung in der Geschichte der „Forgotten Realms“ ist es vielmehr prädestiniert als Startpunkt für Rollenspielveteranen, die z.B. „D&D Next“ testen oder eine neue „D&D“-Runde starten wollen. Das Konzept, die Spielwerte komplett als PDF ins Netz zu verlegen, mag gewöhnungsbedürftig sein. Mir hat es gefallen, denn es lässt das Abenteuer universeller werden. Man könnte es auch für andere Spielsysteme verwenden, sofern man dort einen ähnlichen Schauplatz einbaut. Eine tolle Idee ist auch der spezialisierte Spielleiter-Schirm, der viele nützliche Hilfestellungen für den Spielleiter bereithält. Der einzige Wermutstropfen ist der Preis: Mit 34,95 $ halte ich das Produkt für recht teuer. Andererseits zahlt bei US-Printprodukten ja eh kein Mensch den empfohlenen Verkaufspreis. Wenn ihr also „D&D“ mögt, vielleicht über eine neue Spielrunde nachdenkt und das Abenteuer irgendwo für 15 bis 20 Euro seht, dann greift zu! Es lohnt sich.


Legacy of the Crystal Shard (The Sundering II)
Abenteuerband
R. A. Salvatore, Jeffrey Ludwig, James Wyatt, Matthew Sernett
Wizards of the Coast 2013
ISBN: 978-0786964642
32 S. + 64 S. + Spielleiterschirm
Preis: $ 34,95

bei amazon.de bestellen