von Michael Wilhelm
Wer versucht, den Inhalt des vorliegenden Bandes auch nur im entferntesten ernst zu nehmen, wird sang- und klanglos scheitern. Selten hat ein Produkt den Rollenspiel-Markt erreicht, das weniger wirklich spielbar und offensichtlicher dem Reich der Satire zuzuordnen war. Auf 48 Seiten in einem edlen Hardcover, deshalb das Prädikat „Super-Delüx-Ausgabe“, finden wir neben zahlreichen liebenswerten Illustrationen des großen Meisters John Kovalic (von „Dork Tower“-Ehren) auch jede Menge Überflüssiges und Uninteressantes über das Leben und vor allem Sterben der Kobolde, einer von der Evolution vernachlässigten und mit allerlei nutzlosen Eigenschaften ausgestatteten Rasse von hundeartigen Humanoiden, deren größtes Glück darin besteht, aus dem benachbarten Menschendorf ein zartes Säuglings-Souffle zu entwenden und gleichzeitig dem schlimmsten natürlichen Feind der Koboldrasse zu entgehen, dem gemeinen Haushuhn.
Diese schnabel- und klauenbewährte Nemesis des ehrlichen und anständigen Kobold-Daseins wartet nur darauf, das zarte Fleisch argloser Kobolde zu vertilgen. Glücklicherweise verfügen unsere pelzigen Freunde – jeder Spieler, bis auf den Bürgermeister genannten Spielleiter, verkörpert derer einen – über die Attribute Brutalofaktor (üblicherweise Stärke genannt), Irrelevantes (so etwas wie Weisheit, was ja für einen Kobold wirklich irrelevant ist), Ego (die bloß rudimentäre Intelligenz der kleinen Pelzlinge) und Reflexe. Aus diesen leiten sich die Treffer genannte Lebensenergie, Glück, Raffinesse und Geschicklichkeit ab. Zusätzlich verfügt jeder Kobold-Charakter über Fertigkeiten, Vor- und Nachteile, vielleicht sogar Zaubersprüche und Ausrüstungsgegenstände, die das Überleben in der Kobold-feindlichen Umwelt erleichtern (oder auch erschweren). Unter anderem durch den Gebrauch mancher Fertigkeiten sammelt man nämlich Punkte auf der „Stirb einen schrecklichen Kobold-Tod“-Tabelle, die dem geliebten Kobold-Helden sehr jäh ein sehr rasches Ende bereiten können.
Neben dem Kampf ums nackte Überleben gilt der Zeil des Spiels vor allem dem Erbeuten kostbaren Baby-Fleisches aus dem benachbarten Menschen-Dorf. Dabei ist aber auch zu Vorsicht geraten, wenn nämlich die Beute der „Tabelle für einen schrecklichen Baby-Tod“ zum Opfer fällt, hat das auch Konsequenzen für den dies verschuldenden Kobold, da es König Torg („Gepriesen sei König Torg, der Herrscher aller Kobolde!“) nämlich nach frischem Fleisch verlangt.
Fazit: Ob man wirklich versuchen sollte, ernsthaft „Kobolde!“ zu spielen, bleibt sicher jedem selbst überlassen. Als echtes Rollenspiel ernst nehmen kann man es sowieso nicht. Das war aber auch keineswegs die Absicht der Autoren. Durch die Illustrationen und den lockeren Schreibstil liest es sich jedenfalls sehr unterhaltsam, auch wenn man sich wohl kaum vor Lachen auf dem Boden kugeln wird. Eigentlich ist es ja längst überfällig, dass ein „ernsthafter“ Versuch unternommen wird, sich zu ernst nehmende Rollenspiele etwas zu verulken. Für Freunde der Zeichenkunst John Kovalics und Rollenspieler mit skurrilem Sinn für Humor ist "Kobolde!“ sicher interessant.
Kobolde!
Grundregelwerk
Chris O´Neill, Dan Landis
Pegasus Spiele 2006
ISBN: 3937826939
48 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 14,95
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