Kleine Ängste – Alptraum-Edition

Das Monster unter dem Bett, der unheimliche Baum vor dem Fenster oder die rotglühenden Augen in der Dunkelheit – jedes Kind hat Ängste. Doch diese Ängste sind berechtigt. Die Erwachsenen können die Monster nicht sehen. Anstatt sich unter der Bettdecke zu verkriechen, nehmen einige Kinder den Kampf gegen die Ausgeburten ihrer Phantasie auf.

von Peter Berneiser

 

Nach acht Jahren ist es endlich soweit. Das Rollenspiel „Kleine Ängste“ ist wieder erhältlich. Nachdem die 1. Auflage lange Zeit vergriffen war und für einen stolzen Preis gehandelt wurde, ist bei Feder&Schwert die überarbeitete 2. Auflage erschienen. Zu den inhaltlichen Änderungen kann ich wenig sagen, da ich nie in den Besitz der 1. Auflage gekommen bin. Nur soviel sei gesagt: Die viel diskutierten Inhalte über Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sind weggefallen. Zu Recht wurde diskutiert, ob die Thematik der Gewalt gegen Kinder im Rollenspiel ein Tabu darstellen soll oder nicht. Nun sind zumindest aus den naiven Kindern in der Opferrolle mutige Kinder geworden, die sich gegen ihre Ängste zur Wehr setzen.

„Kleine Ängste“ beeindruckt mit einer hochwertigen Aufmachung. Das Cover zeigt eine beängstigende Collage mit kindlichen Kreidezeichnungen. Einige Innenillustrationen sind gewöhnungsbedürftig, passen aber zum Thema der Kindheitsängste. Einziger Wehrmutstropfen des handlichen Buchs im A5-Format ist der Preis. 35 Euro sind nicht wenig. Im Vergleich zu den Preisen der 1. Auflage ist das aber immer noch ein Schnäppchen.

Die Alptraum-Edition ist in sechs Kapitel unterteilt. In der Einleitung und im ersten Kapitel „Ist doch nur ein Spiel“ werden zuerst die grundlegenden Spielregeln eines Rollenspiels und die besonderen Spielregeln für „Kleine Ängste“ aufgeführt. Bereits zu Beginn fällt auf, dass sich die Erläuterungen und die Schreibweise vor allem an Einsteiger richten. Erfahrene Spieler können an vielen Stellen querlesen.

Jedes Kind hat fünf Werte: Hände und Füße, Muskeln, Köpfchen, Mund und Geist. Die Anzahl an Punkten in einem Wert gibt an, wie viele Würfel einem Kind bei einer Aktion zur Verfügung stehen. Eine passende Eigenschaft (etwa „Quasselstrippe“ bei einem Wurf auf „Mund“) kann die Anzahl der Würfel erhöhen. Die drei besten Würfel müssen zusammengezählt (Sechser dürfen weitergewürfelt werden) eine vom Erzähler bestimmte Zielzahl erreichen. Ergebnisse über oder unter dem Zielwert führen zu zusätzlichen Erfolgs- oder Misserfolgsgraden. Aufbauend auf dieses Würfelsystem sind die restlichen Regeln ebenso einfach gehalten. Das gefällt und passt zum kindlichen Thema.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei „Kleine Ängste“ ist die Macht des Glaubens. Kinder haben andere Vorstellungen und Hoffnungen als Erwachsene. Indem sie an bestimmte Dinge glauben, können sie etwas verändern. Jedes Kind erhält zu Beginn einer Spielrunde Glaubensmarker, die es einsetzen kann, um an sich selbst zu glauben (zusätzlicher Würfel für eine Aktion), an andere zu glauben (zusätzlicher Würfel für eine Aktion eines anderen Kindes) oder an Krimskrams zu glauben (zum Beispiel „mein Teddy beschützt mich vor dem Monster“). Gelingt die Probe, erhält das Kind den Glaubensmarker zurück und erhält bei zusätzlichen Erfolgsgraden einen weiteren Marker. Misslingt die Probe, verliert es den Glaubensmarker und gegebenenfalls einen weiteren Marker. Außerdem können Glaubensmarker ausgegeben werden, um etwas Besonderes zu vollbringen, wie einen Geist mit dem Licht einer Taschenlampe zu verjagen.

Zwei weitere Tugenden sind Mut und Seele. Mit einer erfolgreichen Mutprobe widerstehen Kinder den Schrecken der Monster und dem Schock bei einer schweren Verletzung. Bei einem schlechten Wurf verlieren sie Mut und können so verängstigt werden, dass sie beispielsweise nicht mehr sprechen oder sich bewegen können. Einen Teil ihrer Seele können Kinder durch magische Angriffe (etwa durch den Schwarzen Mann) verlieren. Dann werden sie lustlos, mutlos oder geraten auf die finstere Seite ihrer Seele. Die Zeit oder die Fürsorge eines Freundes können die Seele wieder heilen.

Im zweiten Kapitel „Wieder klein sein“ wird die Charaktererschaffung beschrieben. Eine ganze Reihe von Fragen (beispielsweise: Wovor hast du am meisten Angst? Was sind deine Ziele?) helfen dabei, ein Kind als Spielercharakter glaubhaft darstellen zu können und die Welt aus den Augen eines Kindes zu sehen.

Das dritte Kapitel „Schutzengel“ gibt dem Erzähler viele Tipps zum Schreiben eigener Geschichten rund um die „Kleinen Ängste“ der Kinder und zum Leiten des Spiels. So werden beispielsweise verschiedene Möglichkeiten genannt, wie die Geschichten dargestellt werden können. Angefangen bei gewöhnlichen Gruselgeschichten über düstere Märchen (in Anlehnung an „Grimms Märchen“ oder „Alice im Wunderland“) bis hin zu „echtem“ Horror (wie Kindesentführungen) bietet „Kleine Ängste“ mehrere Optionen je nach persönlichem Geschmack. Vor allem der „echte“ Horror sollte sehr vorsichtig eingesetzt werden!

Im folgenden Kapitel „Die große weite Welt“ werden sowohl das alltägliche Leben eines Kindes (Familie, Schule, Freizeit), als auch die höheren Wesen beschrieben, welche den Kindern bei ihrem Kampf gegen das Böse beistehen können. Abschließend werden einige „Schätze“ vorgestellt, die durch den Glauben der Kinder besondere Kräfte erlangen.

Das fünfte Kapitel „Das Land unter dem Bett“ widmet sich der Welt, aus der die Monster in die Realität gelangen und den unterschiedlichen Wegen, die sie nehmen können. So können Monster etwa durch Risse in der Wirklichkeit ihre Welt verlassen oder durch Alpträume angezogen werden. Umgekehrt können Kinder auch die gefahrenvolle Reise in das Land unter dem Bett antreten und zahlreiche „schlimme“ Orte entdecken. Wie Monster erschaffen werden und welche Ziele sie erreichen wollen, erfährt der Erzähler ebenfalls. Beispielcharaktere, eine Beispielepisode, Anregungen für eigene Abenteuer und eine Regelübersicht runden im letzten Kapitel „Gruselgeschichten“ das Regelwerk um die „Kleinen Ängste“ ab.

Fazit: Hinter der Neuauflage von „Kleine Ängste“ verbirgt sich ein einsteigerfreundliches Rollenspiel mit schlankem Regelwerk, das vor allem durch die Tugenden interessantes Rollenspiel ermöglicht und perfekt auf die Darstellung von Kindern zugeschnitten ist. Allerdings sind das Thema rund um Kindheitsängste und die Darstellung von Kindern als Protagonisten alles andere als einsteigerfreundlich. Wer „Kleine Ängste“ mit Vorsicht angeht, kann einige ungewöhnliche Rollenspielrunden aus der Sicht eines Kindes erleben. Nur aufgrund des hohen Preises und des sehr speziellen Themas gibt es keine uneingeschränkte Kaufempfehlung. Einen Blick ist dieses Rollenspiel aber allemal wert.


Kleine Ängste – Alptraum-Edition
Grundregelwerk
Jason Blair
Feder&Schwert 2011
ISBN: 978-3-86762-088-8
232 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

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