Jules Vernes – Die Reise zum Mittelpunkt der Erde

Meine Herren, wir haben eine Mission! Wir werden nach Island reisen und dort in den „Snæfellsjökull“ hinabsteigen! Zum Mittelpunkt der Erde! Ja, Sie haben richtig gehört! Die Aufzeichnungen des Arne Saknussemm besagen, dass sich auf dem Kraterboden der Zugang befinden soll! Wie bitte? Sie halten mich für verrückt? Nun, das ist das Los eines jeden Pioniers, der die Erkentnisse der Menschheit auf die nächste Stufe bringen will!

von Dominik Cenia

Besagte Zeilen dürften (so oder so ähnlich) mit Sicherheit dem ein oder anderen Leser bekannt sein. Es sind die Worte von Professor Otto Lidenbrock aus Hamburg. Genau jenem Professor, der nicht nur in Jules Vernes gleichnamigen Roman, sondern auch in zahlreichen weiteren Buch- und Filmadaptionen den gefahrvollen Abstieg zum Mittelpunkt der Erde gewagt hat. Begleitet von seinem Neffen Axel und dem Bergführer Hans, erlebt Lidenbrock beim Abstieg in die Tiefe so einige Abenteuer. Man überquert ein unterirdisches Meer und landet schließlich mit Ach und Krach durch einen mehr oder weniger freiwilligen Ritt auf kochender Lava, auf der Insel Stromboli wieder an der Erdoberfläche.

Ohne Zweifel ist damit Jules Vernes Roman aus dem Jahr 1874 ein echter Klassiker der modernen phantastischen Literatur – nicht zu vergessen die phantastische und gleichnamige Verfilmung von Henry Levin aus dem Jahr 1959 mit James Mason, Pat Boone und Arlene Dahl (welche übrigens die Mutter von „Renegade“-Serienschauspieler Lorenza Lamas ist).

In diesem Sinne führt nun der Kosmos Verlag die Tradition der Interpretation dieses klassischen Literaturstoffes weiter. Herausgekommen ist dabei ein durchaus gelungenes Brettspiel von Rüdiger Dorn („Gargon“, „Emerald“, „Goa“), illustriert von Franz Vohwinkel („Robo Rally“, „Blue Moon“, „Puerto Rico“). Erfahrung mit „Jules Verne’schen“ Brettspielumsetzung hat Kosmos allemal. Schon 2004 erschien mit „In 80 Tagen um die Welt“ ein erstes Brettspiel, welches den Sprung auf die Nominierungsliste zum Spiel des Jahres 2005 schaffte, und beim Deutschen Spielepreis 2005 den 6. Platz abräumte.

„Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ ist ein Brettspiel für zwei bis vier Spieler ab 10 Jahren. Die Spieldauer ist mit 60 bis 75 Minuten angegeben, was überraschenderweise sogar sehr gut hinkommt (man kennt das ja mit den Zeitangaben auf Spielekartons diverser anderer Hersteller…).

Schon beim Öffnen des hübschen Kartons fallen einem die durch und durch gelungenen Illustrationen der Spielkarten, sowie das abenteuerlich illustrierte Spielbrett auf. Hier zieht einen das Abenteuer sogleich schon rein optisch in seinen Bann. Man will sozusagen direkt losspielen, und all die finsteren Höhlen, den Pilzwald oder das Lidenbrock-Meer direkt erforschen und kennenlernen.

Angenehmerweise steht diesem Drang eigentlich auch nichts im Wege, denn mit nur vier Seiten Spielanleitung lässt sich das Spiel schnell verstehen und spielen. Die Spielanleitung schlägt sogar ausdrücklich vor, dass man die Regeln ruhig während des Spielens lesen kann, was auch bei unserer Testrunde wunderbar funktioniert hat.

Das Spiel unterteilt sich in drei Etappen: dem Abstieg unter die Erde, die Fahrt auf dem Lidenbrock-Meer und die Reise durch den Vulkan zur Insel Stromboli. Ziel des Spiels ist es, während all dieser Etappen möglichst viele Fossilien, Knochenfunde und Mineralien zu sammeln.

All diese Gegenstände geben im Spielverlauf Punkte, wobei am Ende der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt. Nicht alle Funde sind jedoch von gleichem Wert, und „unvollständige“ Funden können sich sogar als wertlos erweisen, wenn etwa ein entscheidendes Knochenstück bei einem Skelett fehlt. Um die begehrten Fossilienkarten zu sammeln, ziehen die Spieler dabei abwechselnd die drei Forscher (Otto, Axel oder Hans) durch die drei Etappen des Spiels.

Das Besondere daran: Kein Spieler hat seine eigene Spielfigur. Jeder Spieler kann in seinem Zug eine beliebige Figur bewegen oder mit dieser Handlungen ausführen – sofern er Forscherkarten in der richtigen Figurenfarbe hat. Da pro Zug die Anzahl der möglichen Bewegungen und/oder Handlungen begrenzt sind, ist man als Spieler darauf angewiesen, die Expeditionsteilnehmer in einer entsprechend taktischen Reihenfolge zu ziehen. Ansonsten schnappt einem einfach der nachfolgende Spieler die begehrten Funde in seinem nächsten Zug vor der Nase weg. Bei zwei Spielern funktioniert dieses System ganz gut, und ist recht übersichtlich. Bei drei oder vier Spielern muss man schon etwas mehr aufpassen, seinen Mitspielern nicht die Fossilienkarten auf dem Präsentierteller anzubieten.

Unterstützt wird das Ganze noch von verschiedenen Ausrüstungskarten. Diese sind auf manchen Feldern nicht nur notwendig, um die Fosillienkarten zu bergen, sondern können auch während des Zuges eines Spielers unterstützend wirken. Mit dem Kompass darf man beispielsweise diagonal ziehen und mit einem Seil lässt sich ein lästiger Abgrund überqueren. Die Möglichkeiten sind vielfältig und der Spielplan ist relativ offen gestaltet. Dadurch bietet das Spiel also die Möglichkeit, in jeder Partie einen anderen Weg mit den entsprechenden Ausrüstungskarten auszuprobieren.

Das Prinzip funktioniert und macht auch wirklich Spaß. Und obwohl man während des Spiels stets die Augen offen halten muss, um die Forscher auch auf die richtigen Fossilenfelder zu bringen, wird das Spiel trotzdem nie zu überfordernd. Ein großer Pluspunkt, denn dadurch wird das Spiel durchaus auch für Wenig- oder Gelegenheitsspieler oder das jüngere Spieler-Publikum interessant. Es macht einfach Spaß, die Forscher zu bewegen, Fossilienkarten zu sammeln, Ausrüstungskarten einzusetzen und dabei immer tiefer zum Mittelpunkt der Erde vorzudringen.

Die erste und die zweite Etappe bilden den eigentlichen Hauptteil des Spiels. Neben dem bereits erwähnten Spielmechanismus, bieten beide Etappen zusätzlich verschiedene Besonderheiten, die durchaus gelungen aus der literrarischen Vorlage abgeleitet sind. So müssen die Spieler zum Beispiel genügen Wassersteine finden, um die Expedition (und damit ihre Fossilienfunde) am Laufen zu halten. Und auf dem Lidenbrock-Meer dürfen natürlich auch der obligatorische Kugelblitz aus dem Roman und der Kampf diverser Urzeitmonster (hier bietet vor allem der Film ein paar tolle Vorlagen) nicht fehlen.

Sind die Spieler schließlich bei der letzten Etappe angelangt, folgt noch die rasante Reise auf dem Lavastrom an die Oberfläche. Diese letzte Etappe (Spielzeit ca. 5 Minuten) ist ziemlich vom Zufall abhängig, da hier noch zahlreiche Fossilienkarten verloren gehen können, wodurch einem der Sieg quasi kurz vor Spielende nochmal entrissen werden kann. Wer jedoch in den vorherigen Etappen entsprechend vorgesorgt hat, kann auch diese Unglücke eventuell noch abwenden oder zumindest mindern.

Fazit: „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ stellt eine überaus gelungene Interpretation von Jules Vernes Romanvorlage dar. Das ganze Spiel lässt sich angenehm zügig, mit viel Spannung und ohne viel Kopfzerbrechen locker spielen. Die Spielregeln sind einfach und schnell zugänglich und das phantastisch illustrierte Spielmaterial vermag zu fesseln. Ein schönes Brettspiel also, welches durchaus auch einen gewissen Wiederspielwert besitzt und sich aufgrund des schön illustrierten Kartons auch gut im Regal macht.


Jules Vernes – Die Reise zum Mittelpunkt der Erde
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Rüdiger Dorn, Franz Vohwinkel
Kosmos Verlag 2008
ISBN: n. a.
Sprache: deutsch
Preis: EUR ca. 29,99

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