von Andreas Rauscher
In den 1980er Jahren stand der Name John Woo für eine der innovativsten Strömungen des internationalen Actionfilms. Im Rahmen der New Wave des Hongkong-Kinos schuf er mit „The Killer“ (1987) und „A Better Tomorrow“ (1986) harte und melancholische Gangsterdramen, die weltweit Beachtung fanden. Der stilisierte Einsatz der Zeitlupe und die ikonographischen Charaktere, denen Freundschaft wichtiger ist, als auf welcher Seite des Gesetzes jemand in einer ohnehin völlig korrupten Gesellschaft steht, setzten neue Maßstäbe für das Genre.
Als Woo in den 1990er Jahren angesichts der bevorstehenden Rückgabe der Kronkolonie an China den Wechsel nach Hollywood vollzog, waren die Erwartungen hoch. Doch leider ließ die erhoffte Kombination aus dem Stilbewusstsein der Hongkong-Produktionen und den aufwändigen Production Values der Major-Studios vergeblich auf sich warten. Im Rückblick konnte sein US-Debüt, das konsequente B-Picture „Hard Target“ (1993) noch am deutlichsten überzeugen. Großproduktionen wie „Face / Off“ (1997) und „Mission Impossible 2“ (2000) boten zwar solide, sehenswerte Spektakel, den besonderen John-Woo-Touch zwischen Todesballett und Arthouse-kompatiblen, filmhistorischen Referenzen suchte man jedoch vergeblich. Das Kriegsdrama „Windtalkers“ (2002), den der Filmwissenschaftler David Bordwell ironisch als „besten Film des Jahres, aber nicht des Jahres 2002, sondern des Jahres 1962“ bezeichnet hat, und der Science-Fiction-Thriller „Paycheck“ (2003) erwiesen sich als kommerzielle Misserfolge.
Bis zum nächstem Comeback-Versuch, dem aufwändig produzierten chinesischen Historiendrama „Chi Bi / Red Cliff“ (2008), vertrieb sich Woo die Zeit als Gamedesigner mit dem Spiel „Stranglehold“ (2007) und Co-Autor der Graphic Novel „Seven Brothers“. Erstaunlicherweise funktioniert in diesen Nebentätigkeiten genau jene Synthese aus Hongkong-Motiven und westlichen Genreformaten, die in Woos Hollywood-Filmen bisher nicht gelang. Die Geschichte von „Seven Brothers“ erinnert an jene Hongkong-Produktionen aus den 1980er und frühen 1990er Jahren, in denen sich wie in Ronny Yus „Savior of the Soul“ Konflikte aus dem tiefsten Mittelalter plötzlich in der modernen Metropole der Gegenwart fortsetzen. Die von John Woo gemeinsam mit dem in Sachen Hardboiled hinreichend erfahrenen Comic-Autoren Garth Ennis („Preacher“, „The Punisher“) verfasste Graphic Novel schildert den anfangs aussichtslos erscheinenden, durch Teamwork aber dennoch gemeisterten Kampf einer Gruppe außergewöhnlich Begabter aus den unterschiedlichsten Ländern gegen einen nach 500 Jahren zu neuem Leben erwachten, machthungrigen chinesischen Magier.
Dem internationalen Charakter der Heldengruppe entsprechend, wird das Team um Woo und Ennis durch den Zeichner Jeevan Kang vervollständigt, der zu den Stars der indischen Comic-Szene zählt und in Zusammenarbeit mit Marvel eine eigene „Spider-Man: India“-Variante entwarf. Würde Kang das um mehrere Jahrhunderte verzögerte Rückspiel im Kampf zwischen Gut und Böse nicht in lyrische Bilder packen und würde Woo nicht an dem erhabenen Kitsch seiner Hongkong-Filme auch im Comic festhalten, könnte die Story mit dem für Ennis charakteristischen trockenen Humor und seiner Vorliebe für Tough Guys und Girls auch gut als Fortsetzung zu John Carpenters „Big Trouble in Little China“ (1986) betrachtet werden, in dem ein amerikanischer Trucker sich überraschend mit dem Geist eines bösen chinesischen Zauberers konfrontiert sieht. Doch durch das wohl dosierte Pathos der Erzählung erscheint selbst gut abgehangener Esoterik-Klamauk, wie die magischen Lay-Lines, episch.
„Seven Brothers“ erschien bei Virgin Comics als Teil der Reihe Director’s Cut, deren deutsche Übersetzung vom Panini Verlag veröffentlicht wird. Das interessante Konzept dieser Reihe besteht aus einem Team-Up zwischen einem bekannten Filmschaffenden und prominenten Comic-Autoren und Zeichnern. Unter anderem beteiligten sich bisher der britische Gangsterkomödienspezialist Guy Ritchie („Lock, Stocks, and Two Smoking Barrels“, „Snatch“) und der indisch-britische Regisseur Shekhar Kapur („Elizabeth“) an der Reihe.
Die produktive Zusammenarbeit zwischen Film- und Comic-Autoren wird in „Seven Brothers“ bereits in den ersten, kunstvoll gestalteten Panels deutlich. Die Exposition gestaltet sich wie ein filmischer Establishing Shot, zu dem eine Voice-Over-Narration einsetzt. Das gleichbleibende Motiv einer in See stechenden Flotte wird über vier Seiten aus verschiedenen Perspektiven gezeigt. Die in Textkästchen eingefügte Erzählerstimme berichtet von einer in Vergessenheit geratenen chinesische Expedition, die im 15. Jahrhundert bereits die Weltmeere erkundete und zu allen Kontinenten vorstieß und auf diese Weise die Grundlage für die überraschenden Verwandtschaftsbeziehungen der späteren Seven Brothers schuf. Auf die, pointiert durch eine Farbpalette in Sepiatönen hervorgehobene Rückblende, folgt der abrupte Wechsel in das Los Angeles der Gegenwart. Das nächtliche Stadtbild entspricht ganz den Vorstellungen eines Noir-inspirierten Großstadtdschungels, wie ihn John Woo in seinen amerikanischen Filmen wohl gerne inszeniert hätte, aber es unter den Bedingungen eines gewöhnlichen Spielfilms nicht realisieren konnte. Dafür gelingt es ihm, in den gezeichneten beziehungsweise animierten Welten des Comics und Videospiels genau jene Entwürfe zwischen Action-Phantastik und urbanem Thriller umzusetzen, die man gerne auf der Kino-Leinwand gesehen hätte.
In der formalen Umsetzung finden sich in „Seven Brothers“ durchgehend immer wieder Verweise auf filmische Stilmittel: Großaufnahmen und Halbtotalen werden angedeutet und die Einführung des zentralen Konflikts kontrastiert in einer gelungenen Parallelmontage das Treffen der internationalen Helden wider Willen mit der martialischen Rückkehr des von ihnen bekämpften Höllenfürsten. Im Unterschied zur klassischen Comic-Syntax dienen nicht Texteinschübe zum Übergang von einem Ort zum anderen, sondern wie in einem Film werden visuelle Anschlüsse und Stichworte im Dialog für den Wechsel zu den gleichzeitig an einem anderen Schauplatz stattfindenden Ereignissen genutzt. Als Hommage an das eigene Oeuvre finden sich natürlich im Comic auch die für John Woos Filme typischen Mexican-Stand-Offs, in denen sich die Kontrahenten in einer Pattsituation gegenseitig bedrohen, und die für Chow Yun-Fat in „The Killer“ charakteristische Kampftechnik mit zwei gleichzeitig gezogenen Pistolen.
Für die ästhetische und dramaturgische Geschlossenheit des Fantasy-Action-Epos sorgen Ennis und King, die Woos Konzept in die fertige Comic-Form übersetzten. Ganz im Gegensatz zu anderen Joint Ventures, bei denen sich die bekannten kreativen Größen gegenseitig im Weg stehen, ergänzen sich die jeweiligen Interessensschwerpunkte auf einfallsreiche Weise. Ennis verleiht den Seven Brothers und ihrer kampferprobten Schwester die gleiche Hardboiled-Aura, die seine Protagonisten in der Religionssatire „Preacher“ kennzeichnete. Im Unterschied zu den verlorenen Gestalten Frank Millers erscheinen sie jedoch nicht unsympathisch, sondern zeigen immer wieder verwundbare Züge, etwa wenn die Helden in der Unterwelt landen und in der Tradition der chinesischen Wu Xia-Epen den Weg aus der Welt der Geister zurück in ihre Realität finden müssen.
Kings Zeichnungen bestechen durch ihren gekonnten Farbeinsatz und vermeiden eine allzu groteske Überzeichnung der gewalttätigen Konfrontationen. Auf diese Weise trifft er genau den zu lyrischem Pathos tendierenden Ton, der John Woos frühe Arbeiten in Hongkong kennzeichnete. Angesichts dieser gelungenen Begegnung zwischen Film- und Comic-Künstlern kann man gespannt sein, welche Kooperationen sich noch innerhalb der Director’s Cut-Serie ergeben.
Fazit: Die Zusammenarbeit zwischen dem Action-Stylisten John Woo, dem Hardboiled-Comic-Autoren Garth Ennis und dem indischen Zeichner Jeevan King vereint auf eindrucksvolle Weise die besonderen Talente jedes einzelnen Beteiligten im Rahmen eines einfallsreichen Fantasy-Epos. Die in der Gegenwart ausgetragene Entscheidung eines vor 500 Jahren in China begonnenen Konflikts entwirft nicht nur einen sympathischen internationalen Ansatz, Woos Comic-Debüt demonstriert auch genau jene kreative Spielfreude, die man in seinen letzten amerikanischen Filmen vermisst hatte.
John Woo’s Seven Brothers
Comic
Garth Ennis, John Woo, Jeevan King
Panini Comics 2008
ISBN: 978–3–86607–592-4
148 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 16,95
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