Icons Superpowered Roleplaying

Sie sind stärker, schneller oder widerstandsfähiger als normale Menschen. Ihre übermenschlichen Fähigkeiten und der Wille, diese zum Wohl der Menschheit einzusetzen, machen sie zu Superhelden. Vorbilder, zu denen man aufblickt – wie Ikonen eben. Und was liegt näher als ein Rollenspiel, das sich um solche Superhelden dreht, „Icons“ zu nennen.

von Andreas Loos

 

Der Spieledesigner Steve Kenson ist in der Rollenspielszene kein Unbekannter. In den vergangenen Jahren hat er an etlichen unterschiedlichen Publikationen mitgearbeitet, so auch zum Beispiel am „Star Trek“-Rollenspiel von Last Unicorn Games. Das damalige Regelwerk trug den Namen „Icon“. Nachdem Last Unicorn Games aufgekauft wurde und der Firma die Lizenz zur Veröffentlichung eines „Star Trek“-Rollenspiels entzogen wurde, verschwand „Icon“ von der Bildfläche. Was blieb, waren ein paar Kapitel, welche Kenson für das Rollenspiel geschrieben hatte und den Fans im Netz zur Verfügung stellte. Und nun das: Kenson schreibt ein Rollenspiel mit dem Namen „Icons“. Mein Interesse war geweckt, da ich die von Kenson zu dem „Star Trek“-Rollenspiel beigesteuerten Inhalte sehr gemocht hatte. Dass es sich um ein Rollenspiel im Superheldenmilieu handelt, war für mich ebenfalls ein Grund, mal einen Blick zu riskieren. Schließlich gehört das Superhelden-Rollenspiel „Mutants & Masterminds“ ebenfalls zu den Spielen, an deren Entwicklung Steve Kenson maßgeblich beteiligt war.

Superheldenrollenspiele gehören neben Fantasy- und Science-Fiction-Rollenspielen mit zu den beliebtesten Genres. Und mit so illustren Hintergründen wie etwa dem Marvel-Universum im Hinterkopf, hatte ich entsprechende Erwartungen. Als das Buch dann vor mir lag, im Format etwas größer als DIN-A5 und mit 128 Seiten, war ich mehr als gespannt. Schließlich verbirgt sich ein komplettes Rollenspiel zwischen den beiden dünnen Hochglanzbuchdeckeln, die von einer Menge Superhelden geziert wurden, die mir vage bekannt vorkamen. Nachdem ich zu Hause angekommen war, zeigte sich schon ein erstes Manko. Die Buchdeckel sind nicht stabil genug, um unbeschadet den Transport in einer Tasche zu überstehen. Das war schon ärgerlich. Im Übrigen ist das Buch vollfarbig und gespickt mit Abbildungen verschiedener Superhelden. Viele weisen gewisse Ähnlichkeiten mit bekannten Helden aus dem Marvel-Universum oder anderen Superheldencomics auf. Zumindest der Comicstil ist konstant, da sämtliche Zeichnungen aus der Feder eines Zeichners stammen. Die Zeichnungen können sich durchaus sehen lassen und regen die Fantasie an. Ebenfalls eingestreut werden Zitate aus diversen Superheldencomics; sogar Batman, Superman und auch der Joker dürfen ein paar Phrasen beisteuern.

„Icons“ ist nicht das erste Rollenspiel, das sich mit Superhelden befasst. Und es ist auch keine vollständige Neuentwicklung. Kenson verwendet als Basis die Regeln der freien Systeme „Fudge“ beziehungsweise „Fate“. Für das Superheldengenre werden die Regeln etwas abgeändert. Wer sich also mit den Regeln bereits auskennt, wird ohne Zeitverlust einsteigen können.

Zunächst werden die grundlegenden Regeln erklärt. Das Grundgerüst ist eine Skala von 1 bis 10, wobei 10 das Maximum darstellt. Der menschliche Durchschnitt liegt bei 3. Alternativ können die Levels auch umschrieben werden. Das kennt man auch schon von Fudge. 3 wäre demnach „durchschnittlich“, 7 könnte man mit „fantastisch“ umschreiben. Gewürfelt wird mit zwei sechsseitigen Würfeln. Die Ergebnisse des einen Würfels werden von dem anderen abgezogen. Dadurch erhält man Werte von +5 bis -5. Das Würfelergebnis wir dann zu den Werten der entsprechenden Fähigkeiten addiert (Fähigkeiten gibt es sechs an der Zahl, jeweils drei mentale und drei physische). Die so entstandene Zahl symbolisiert den Aufwand, mit dem ein Spielercharakter eine Probe auf eine Aktion bestreitet. Davon werden nun unter Umständen Schwierigkeitsgrade und andere Modifikationen addiert oder subtrahiert. Am Ende wird das Ergebnis mit einer Tabelle verglichen, an der abzulesen ist, ob und gegebenenfalls wie gut eine Probe bestanden wurde. Die Spielmechanik wird auf gut zwei Seiten beschrieben und ist sehr leicht zu erlernen.

Das nächste Kapitel befasst sich mit der Charaktererschaffung. Man kann sich seinen Charakter erwürfeln oder sich ein Konzept selbst erstellen. In jedem Fall entscheidet der Spielleiter darüber, ob der Charakter in die Kampagne passt. Zunächst wird festgelegt, wie der Superheld zu seinen Kräften gekommen ist. Wurde er verwandelt oder hatte er schon immer diese Fertigkeiten? Dann werden die Fähigkeiten ermittelt, die Anzahl und die Art der Superkräfte, über die ein Charakter verfügt, Anschließend wird noch die Anzahl der Besonderheiten bestimmt, die sich der Spieler für seinen Helden aussuchen kann, um diesen abzurunden. Danach kann man die Widerstandskraft seines Charakters bestimmen, indem man die Stärke und die Willenskraft des Charakters zusammenzählt.

Schließlich wird es Zeit für ein wenig kreative Arbeit. Die bisherigen Werte werden zu einem passenden Hintergrund verarbeitet. Dieser spiegelt die Motivationen und die Herkunft des Charakters wieder und gibt eventuell auch Hinweise darauf, wer dem Charakter als Erzfeind gegenüberstehen kann. Hier bestimmt der Spieler auch die Qualitäten, die seinen Charakter ausmachen, und welche Herausforderungen (Challenges) ein Held bestehen muss, um im Spiel so genannte Determination Points zu erhalten. Die Qualitäten reichen von einer typischen Phrase, mit der der Held seine Gegner konfrontiert, über Kontakte, einen typischen Heldenname wie der „Fantastische Sockenpuppenmann“, bis hin zu Motivationen, eine andere Identität neben dem Job als Superheld usw. Die Herausforderungen fallen genauso umfangreich aus. Besondere Schwächen, ein soziales Stigma oder ein persönlicher Feind sind nur ein paar Beispiele. Der Spieler sucht sich bis zu je fünf Qualitäten und Herausforderungen heraus. Auch legt der Spieler fest, mit welchem Kostüm der Charakter auftritt. In der vorletzten Phase der Charaktererschaffung wird die Größe der Determination bestimmt. Determination ist der Wert an Entschlossenheit, die einen Superhelden von einem normalen Menschen unterscheidet. Determination bekommt ein Charakter dadurch, dass er die im Abschnitt zuvor bestimmten Herausforderungen meistert. Ein Beispiel rundet das Kapitel „Charaktererschaffung“ ab.

Damit die Spieler auch zusammenspielen, werden die Helden in Teams organisiert. Das Team erhält ein paar regeltechnische Vorteile und sorgt außerdem dafür, dass die Spieler neben ihren eigenen Zielen auch noch den Zielen des Teams folgen können. Allein aus der Charaktererschaffung und dem Entwerfen eines Teams heraus kann man Tonnen von Spielideen entwickeln und eine Ganze Horde von Bösewichten aus dem Ärmel schütteln. Das hat mir richtig gut gefallen. Je detaillierter das Ganze ausfällt, desto mehr Möglichkeiten hat man als Spielleiter, seine Spieler zu beschäftigen.

Nachdem die Grundlagen geschaffen sind, wird in den nachfolgenden Abschnitten in Detail gegangen. Es werden zunächst die sechs Fähigkeiten erläutert, dann werden Spezialitäten, also Sonderfähigkeiten, wie Pilot oder Kriminalistik, vorgestellt. Letztere können einen Bonus auf bestimmte Fertigkeitswürfe ermöglichen. Dann ist es soweit: Jetzt kommt das „Super“ in die Helden. Eine große Anzahl an Superkräften wird auf 25 Seiten beschrieben. Das hier Gebotene ist eine wahre Fundgrube. Von der Immunität gegen bestimmte Angriffe bis hin zu wundersamen offensiven Kräften, wie zum Beispiel der Fähigkeit die Zeit zu manipulieren, findet man fast alles.

Nun, da man weis, was man alles tun kann, werden die Regeln präsentiert, die festlegen, wie man verschiedene Aktionen durchführen kann. Das ganze nimmt 26 Seiten in Anspruch und deckt die üblichen Situationen und Aktionen, wie Kampf und das Durchführen von Fertigkeitswürfen, ab. Der oben genannten Determination wird ein eigenes ausführliches Kapitel gewidmet. Mit Determination kann man schließlich all die Wunder vollbringen, für welche die Superkräfte allein nicht ausreichen.

Schließlich bekommt auch der Spielleiter ein kleines Kapitel. Hier werden nützliche Tipps zur Charakter- und Teamerschaffung gegeben. Eine kurze Einführung darüber, wie man Abenteuer für Superhelden gestaltet, schließt sich an. Für diesen Bereich gibt es zudem zwei kleine Beispiele, die man leicht in Abenteuer ausarbeiten kann. Tipps zum Umgang mit den Regeln und ein kurzer Fokus auf Determinaion aus der Sicht des Spielleiters runden das Kapitel ab.

Es folgen ein paar Tabellen und Anweisungen, wie man mittels Würfeln die Basis für ein Abenteuer schaffen kann. Die Idee fand ich ganz nett, auch wenn das natürlich nur an der Oberfläche kratzt. Das Wichtigste für die Abenteuer kommt schließlich noch: Denn was sind schon Superhelden ohne entsprechend mächtige Superschurken? Nachdem der Spielleiter eine Lektion zum Thema Erschaffung von Bösewichtern erhalten hat, kann man sich an ein paar interessanten Beispielen erfreuen. Diese reichen von einem Hacker, der mit seinen Gedanken das Netz und Elektronik manipulieren kann, über einen Gorilla mit hohem Intellekt und einer Obsession für den Amerikanischen Bürgerkrieg, der auf den sinnigen Namen ConfederApe hört, bis hin zu einem Kampfroboter, einem irren Wissenschafter aus einer Paralleldimension und ein paar anderen illustren Persönlichkeiten.

Damit man auch Kanonenfutter zur Verfügung hat, gibt es noch Werte für typische NSC und Tiere. Den Abschluss macht ein kleines Abenteuer, das für meinen Geschmack nicht besonders anspruchvoll ausfällt. Um damit den Abend füllen zu können, muss der Spielleiter noch ein wenig Arbeit investieren. Der obligatorische Charakterbogen darf natürlich nicht fehlen.

Und das war es auch schon oder habe ich etwas vergessen? Den Hintergrund vielleicht? Nein, es gibt keinen wirklichen Hintergrund, keine ausgefeilte Spielwelt, die über eine generische Welt der Superhelden-Comics hinausgeht. Das hat mich etwas enttäuscht. Aber vielleicht kommt ja noch etwas.

Fazit: „Icons“ ist ein leicht lernbares Superhelden-Rollenspiel, das auf den Regeln von „Fudge“ beziehungsweise „Fate“ aufbaut. Leider fehlt dem Spiel ein aufgefeilter Hintergrund, obwohl ein paar sehr schöne Bösewichte im Bereich für Spielleiter zu finden sind. Wer auf der Suche nach einem unkomplizierten Rollenspielsystem für seinen eigenen Superhelden-Hintergrund ist, ist meiner Meinung nach hier gut aufgehoben. Der Preis von 29,99 US-$ ist für ein gerade mal 125 Seiten starkes Softcover im Taschenbuchformat allerdings schon etwas happig. Dennoch hat mir „Icons“ von der Spielmechanik gut gefallen.


Icons Superpowered Roleplaying
Grundregelwerk
Steve Kenson
Adamant Entertainment 2010
ISBN: 978-1-907204-52-4
128 S., Softcover, A5, englisch
Preis: $ 29,99

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