Ich bin kein Serienkiller

Für einige ist das Glas halb leer, für andere halb voll. Es kommt somit lediglich auf die eigene Weltsicht an, ob man sich als Optimist oder als Pessimist gibt. Anders sieht die Welt der selbst erfüllenden Prophezeiung aus. Wird man ein Serienkiller, weil man denkt einer zu sein? Wenn man diesen Dämonen in sich fühlt, hat man überhaupt eine Chance dagegen anzugehen?

von Lars Jeske

 

„Ich bin kein Serienkiller“ – Ein reißerischer Titel, aber ob er halten kann, was er verspricht? Bei dem Titel denkt man fast unweigerlich an die Scheindebatten bezüglich der Ballerspiele und die dementsprechende Gefährdung der Jugendlichen. Oder so. Jedoch wird hier keine Geschichte mit gezielter Anwendung der Perfidie erzählt, sondern ein gänzlich anderes Thema angesprochen.

John Wayne Cleaver lebt in dem kleinen Ort Clayton und hat es nicht leicht. Andere Teenager denken darüber nach, wie sie den Menschen ihrer Träume von sich überzeugen können. Beim kleinen John Wayne liegt der Fall anders, denn alles andere wäre ja normal. Der 15-jährige Protagonist befindet sich in einem täglichen Kampf gegen seinen inneren Dämon – ein Dämon, der, erst einmal losgelassen, nicht mehr zu kontrollieren ist und anderen Menschen Gewalt antun will. Er fühlt buchstäblich eine reale Abnormalität seiner selbst in sich aufsteigen, die er jeden Tag mit seinen sich selbst auferlegten Regeln zurückhalten muss. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen rührt sich seine so genannte innere Bestie gelegentlich dennoch.

Zu allem Überfluss hat er eine schier absurde, perverse Leidenschaft für Serienmörder entwickelt und weiß über jeden berühmten Fall der letzten Jahre alles auswendig. Jedes kleinste Detail. Dieses Hobby macht ihn nicht gerade zum Klassenliebling, was sein Leben nicht unbedingt vereinfacht. Ebenso stempelt ihn der regelmäßige Besuch des Kellers im Haus als Freak ab. Seine Mutter leitet das örtliche Bestattungsinstitut und er hilft ihr in diesem Keller regelmäßig und gern, die Leichen einzubalsamieren.

Es gibt nur drei Bezugspersonen in seinem Leben. Seine Mutter, mit der er kein Wort mehr spricht als nötig, seinen nervigen Freund, den er nur hat, weil es ihm einen Anschein von Normalität gibt, da jeder Freunde hat, und seinen Psychiater. Letzterer versteht ihn sogar etwas, wenngleich das lediglich dessen Beruf mit sich bringt und John Wayne von seiner Mutter dorthin abgeschoben wurde. Die Geschichte kommt ins Rollen, als es einen Toten in Ort gibt und es nach Mord aussieht. John Wayne ist sogleich davon fasziniert und fühlt sich von diesem Verbrechen angezogen. Schlimmer noch, er ist sich nicht sicher, ob das nicht der Dämon in ihm war und vor dem Gesetz gesehen John der Mörder ist. Nur bei einem ist er sich sicher; nämlich dass dies erst der Auftakt war und es wird weitere Morde geben, denn die Zeichen sind eindeutig: ein Serienkiller streift durch Clayton.

In seinem spannenden Debüt „ich bin kein Serienkiller“ greift Dan Wells ein sehr interessantes Thema auf, welches er gekonnt in Szene setzt. Nachdrücklich weist er darauf hin, keine Autobiographie geschrieben zu haben. Nach einem tollen Einstieg in die Geschichte erkennt man, dass es keine geradlinige Erzählweise ist. Erst werden kurz und knapp die Fakten geschildert und dann erst langsam auf die Geschehnisse hingearbeitet. Man wird gleich in die Geschichte geworfen und mit Informationen überschüttet, die man selber sortieren und erst einmal verdauen darf. Die Geschichte wird, anfänglich rückblickend, durchgehend aus der Ich-Perspektive von John erzählt. Dabei gibt es oft Andeutungen, die ins Allwissende spielen und den Leser vor vollendete Tatsachen stellen. Die Erzählatmosphäre springt dabei leicht von fröhlichen Momenten und Gedanken hin zum Thema Serienkiller und der vergleichenden Selbstreflexion. Angedeutete, befreiende Lacher bleiben einem im Halse stecken. (Buchzitat: „Früher hatte ich mal eine Liste mit Leuten geführt, die ich eines Tages umbringen wollte. Das verstieß jetzt gegen meine Regeln, aber manchmal vermisse ich die Liste.“) Nicht nur aufgrund des Bestattungsinstituts werden hierdurch tolle Erinnerungen an die Serie „Six Feet Under“ wach.

Auch die mitunter schon gebetsartige Litanei, die aufgestellten Regeln unbedingt unter allen Umständen definitiv einhalten zu müssen, um das innere Monster unter Kontrolle zu halten, sorgen für das düstere, beklemmende Bild. Dadurch wird ein Sog auf den Leser ausgeübt, der die Spannung derart verdichtet, dass selbst wenn einem die Story zu abgefahren ist, man unbedingt dranbleiben muss. Dies muss man als Autor erst einmal schaffen. Zudem wird man an den Rande der menschlichen Psyche mitgenommen. Man ergeht sich unweigerlich in Gedanken über die persönliche Andersartigkeit und die resultierenden Denkweisen über potenzielle Teufelskreise. Um nicht zu sehr vom Thema vereinnahmt zu werden, kann man sich als nebenbei darüber Gedanken machen, inwieweit die Namen der Dramatis Personae allesamt kein Zufall sind. Neben Personen wie John Wayne und Lauren Bacall tritt auch ein gewisser Mr. Crowley auf.

Was einzig an diesem Buch stört, ist die thematische Einordnung in den Bereich Thriller. Da es um Dämonen geht, ist es eindeutig Fantasy oder Mystery, jedoch kein klassischer Thriller. Wer mit dieser Wendung nicht klarkommt, wird beim Lesen womöglich enttäuscht werden. Ebenso irreführend ist hierfür der Klappentext, der anderes verspricht, als man zu lesen bekommt. Wer jedoch darüber erhaben und inhaltlich offen ist, leistet sich auf alle Fälle keinen Fehlgriff bei der Lektüre dieses Romans.

Fazit: „Ich bin kein Serienkiller“ ist spannend geschrieben und atmosphärisch dichte Mystery. Das Debüt von Dan Wells ist somit eindeutig gelungen und weiß zu überzeugen. Vor allem die Wahl der Erzählperspektive kann punkten. Ob man will oder nicht, man muss sich in seiner Rolle zurechtfinden und Sympathie für John Wayne entwickeln – ohne genau zu wissen, ob man sich nicht dadurch mit dem Täter verbündet. Ein toller Kniff. Dieses als perfides taktisches Kalkül zu titulieren, würde die tolle Idee jedoch ungerechtfertigterweise abwerten.


Ich bin kein Serienkiller
Mystery/Horror-Roman
Dan Wells
Piper 2009
ISBN: 978-3-492-70169-3
376 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 12,95

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