Horus Heresy – Der Große Bruderkrieg

Manche sagen, die Götterdämmerung sei angebrochen. Aschewolken bedecken den Himmel. Blutrot glühend bricht die Erde auf. Und die loyalen Verteidiger des Imperiums blicken in angstvoller Erwartung hinauf in den Orbit, wo sich die Streitkräfte des Chaos unter dem Befehl von Horus, dem Verräter, versammeln. Die finale Schlacht um die Erde hat begonnen.

von Frank Stein

„Horus Heresy – Der Große Bruderkrieg“ heißt das Brettspiel, das es zwei Spielern erlaubt, diesen epischen Konflikt, der das „Warhammer 40.000“-Universum im Rahmen von mehr als einem Dutzend Romanen erschüttert hat, auf dem Wohnzimmertisch nachstellen. Das Spiel wurde 2010 von Fantasy Flight Games herausgebracht und vom Heidelberger Spieleverlag ins Deutsche übertragen. Es basiert auf einem Hintergrund, der bereits 1988 für das „Warhammer 40.000“-Tabletop-Spiel ersonnen wurde (und bis heute als wichtige Produktlinie dort fortbesteht) und 10.000 Jahre vor der heutigen Spielzeit angesiedelt ist – weswegen es eigentlich „Warhammer 30.000“ heißen müsste, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Bereits 1993 erfand Jervis Johnson dazu ein Brettspiel namens „Horus Heresy“; das vorliegende Spiel von John Goodenough und Jeff Tidball ist eine überarbeitete Version dieses Wargaming-Klassikers.

Dem Konflikt angemessen, kommt das Spiel in einer richtig großen und schweren Box daher. Das Spielmaterial ist absolut hochwertig. Regelwerk und Szenarioheft bestehen aus dickem Vollfarb-Hochglanz-Papier, von dem sich viele Magazine eine Scheibe abschneiden könnten. Spielbrett und Spielmarker sind aus fester Pappe, die Spielkarten wirken stabil und weisen stimmungsvolle Illustrationen auf, die Miniaturen kommen aus Plastik daher und sind, ungeachtet ihrer winzigen Größe von etwa 15 mm, erstaunlich detailliert gegossen. Zudem gibt es spezielles 3D-Gelände – Festungen, Fabriken und den imperialen Palast – das am Spielbrett befestigt wird und ebenfalls aus Plastik besteht, sogar mehrfarbig bedrucktem (wenngleich der Druck nicht immer ganz zielsicher ist – mal befindet sich ein gelber Pool aus glühendem Metall durchaus neben dem gestanzten Rund, das ihn darstellen soll). Bei aller Opulenz muss man jedoch sagen: Wäre das Spielbrett nicht so riesig (84 x 56 cm), hätte man das ganze Material auch in einer kleineren Box unterbringen können. Es herrscht schon einiges an Luft im Karton.

Nachdem die beiden Spieler sich auf Szenario geeinigt haben – die Szenarien unterscheiden sich im Wesentlichen durch unterschiedliche Kartenwahl und Figurenaufstellung – und der etwas aufwendigere Spielaufbau abgeschlossen ist, wird abwechselnd in Runden gespielt, bis eine der Siegbedingungen erfüllt ist. Der Fortschritt wird auf einer Initiativeleiste gemessen, auf dem sich die Initiativemarker der Kontrahenten nach rechts bewegen. Es gewinnt der Spieler, der den Befehlshaber seines Gegners (den Imperator oder Horus) eliminiert. Man kann auch gewinnen, indem man die vollständige Kontrolle über alle vier Raumhäfen von Terra erlangt. Sollte einer der Initiativemarker das Ende der Initiativeleiste erreichen, gewinnt schließlich das Imperium, denn in diesem Fall treffen von überall her die Verstärkungstruppen des Imperators ein. Das gibt dem Imperiumsspieler einen kleinen Vorteil, denn er muss im Grunde nur mauern, während der Chaosspieler zum Sturm gezwungen ist, wenn er siegen möchte.

Jede Runde kann der Spieler eine Aktion durchführen, der „am Zug“ ist. Am Zug ist immer derjenige, der die Initiative hat, dessen Marker also näher am Startfeld der Initiativeleiste liegt. Ein einzelner Spieler kann folglich durchaus mehrerer Runden „am Zug“ sein, bevor der andere drankommt. Dies ist ein etwas eigenwilliges Konzept, aber im Grunde sehr schön, denn es sorgt dafür, dass „teure“, weil starke Aktionen mit dem Risiko erkauft werden, dem Gegner gleich mehrere Gegenaktionen zu ermöglichen. Eine Aktion besteht immer daraus, irgendetwas mit einer Befehlskarte zu machen, etwa eine Befehlskarte auf dem Spielbrett zu platzieren, sie von der Hand auszuspielen, eine Karte zu ziehen usw. Je nach Wertigkeit muss man danach seinen Initiativemarker um 0 bis 3 Felder weiter rücken. Kommt es dabei zu einem Initiativewechsel, kommt es überall dort, wo sich feindliche Einheiten in einem Gebiet gegenüberstehen, zu so genannten Koexistenzkämpfen. Danach folgt möglicherweise noch eine Sonderphase, weil ein Ereignisfeld, ein Befehlsfeld oder ein Auffrischfeld auf der Initiativeleiste erreicht wurde.

Befehlskarten enthalten überwiegend Befehle zum Setzen, Bewegen und Angreifen von Einheiten – wie es sich für ein Strategiespiel gehört. Bewegungen unterliegen gewissen Beschränkungen, je nach Einheit und Gelände. So kostet es mehr, eine Kluft zu überwinden, als freies Gelände. Felder, die von feindlichen Truppen besetzt werden, blockieren den Weg. Fliegende Einheiten können zudem Bodentruppen transportieren. Man kennt derlei aus ähnlich gearteten Spielen. Allerdings darf man „Horus Heresy – Der Große Bruderkrieg“ trotzdem nicht mit einem reinrassigen Strategiespiel verwechseln. Viele Aspekte, wie Geländemodifikatoren, Waffenreichweiten und sich deutlich unterscheidende Einheitstypen, bleiben außen vor oder werden eher abstrakt abgehandelt (in Form von Stärkelevels oder Bombardierungskarten, die man ziehen darf).

Der Kampf ist dabei zweifellos das wichtigste Element des Spiels – spürbar wichtiger als Truppenbewegung jedenfalls. Er wird über den Einsatz von Kampfkarten geregelt, die je nach Menge und Stärke der kämpfenden Einheiten vom Kampfkartenstapel der jeweils eigenen Fraktion gezogen werden. Diese Karten bringen sowohl Schäden und Spezialeffekte ins Spiel, als auch die Möglichkeit, beide zu blocken. Ein Kampf endet, wenn einer der beiden Spieler alle gegnerischen Einheiten ausgeschaltet hat, wenn beide Spieler keine Kampfkarten mehr auf der Hand haben oder wenn ein Kampfrundenlimit, das von der Befehlskarte vorgegeben wurde, erreicht ist. (In dem Fall ist der Angriff gescheitert, die Verteidiger haben einen Durchhaltesieg errungen.) Dieser Spielmechanismus ist eigentlich sehr cool, denn so ist jeder Kampf anders, auch wenn gleichartige Einheiten gegeneinander antreten.

Helden, Befestigungen, die Möglichkeit, Einheiten zu korrumpieren, Bombardements und Verteidigungslaser gegen Landemanöver von Invasionstruppen sorgen für zusätzliche Abwechslung – aber natürlich auch für diverse Detailregeln. Regelübersichten für beide Spieler und kurze Spielablaufhinweise am Ende des Regelhefts versuchen, das Spiel zu erleichtern. Dennoch kommt bei Weitem nicht alles intuitiv einher und man muss häufig nachblättern, um sich von Kleinigkeiten zu vergewissern. Hier kommt einem das Regelwerk leider nur wenig entgegen, denn es wurde etwas konfus geschrieben und verteilt gerade seine Sonderregeln, etwa zum Einsatz von Helden, über diverse Abschnitte. Man muss also während der ersten ein bis zwei Partien damit rechnen, unbeabsichtigt „falsch“ zu spielen. Hier hilft nur die Erfahrung.

Dem bekannten Problem beinahe aller Fantasy Flight Games, unglaublich lange zu dauern, wurde bei „Horus Heresy“ durch den Sieg über Zeit für den imperialen Spieler ein Riegel vorgeschoben. Sobald ein Spieler Aktionen im Wert von 33 Initiativepunkten durchgeführt hat, gewinnt der Imperator automatisch. Da es für den Imperiumsspieler eigentlich die leichteste Art ist, einen Sieg zu erringen, wird er ein ureigenes Interesse daran haben, die Spieldauer nicht zu lange hinzuziehen. Dennoch kann eine Partie schnell drei Stunden und länger dauern, vor allem, wenn die Initiative häufig wechselt und Koexistenzkämpfe fällig werden.

Fazit: „Horus Heresy – Der Große Bruderkrieg“ ist ein Schlachtenbrettspiel im besten Sinne. Strategisch sind die Möglichkeiten etwas eingeschränkt. Viel Zeit und Raum, um Truppen zu bewegen und in eine gute Position zu bringen, hat man nicht. Dazu ist es viel zu wichtig, die Einheiten des Gegners ständig auf möglichst niedrigem Niveau zu halten. Insofern steht der Kampf praktisch ununterbrochen an erster Stelle und hier zählt Übermacht meist auch mehr als jede Finesse. Unterm Strich trifft das die Atmosphäre von „Warhammer 40.000“ jedoch ganz gut: brachiale Truppen- und Materialvernichtung gehört in diesem Universum der Gigantomanie ja zum guten Ton. Beinharten Strategen ist dieses Spiel weniger zu empfehlen. Dazu geht es zu wenig ins Detail. Wer jedoch auf cineastische Weltraum-Action mit wirklich schöner Spielatmosphäre steht, wird hier gut bedient.


Horus Heresy – Der Große Bruderkrieg
Brettspiel für 2 Spieler
Jeff Tidball, John Goodenough
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2010
EAN: 4015566011267
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 79,95

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