Guardians of the Veil

Die „Guardians of the Veil“ haben einen schweren Stand: Auch wenn ihre ständige Wachsamkeit und Intervention die Welt erhält und ein Näherrücken der „Abyss“ verhindert, so haben sie selbst unter ihren Verbündeten – den anderen Orden des Pentacle – keine wahren Freunde. Es ist ein Orden an Einzelgängern, die in einer Welt der Paranoia, Lügen und Verschleierung leben. Sie sind die Geheimpolizei und Eingreiftruppe unter den Magi, um dafür zu sorgen, dass die Schläfer auch wirklich weiterschlafen. Mit diesem kontroversen Orden beschäftigt sich der vorliegende Quellenband, der übrigens auch das erste Ordensbuch ist.

von Nicolas Hohmann

 

Von der technischen  Seite gibt es das Folgende zu berichten: Das Buch umfasst 224 Seiten und ist selbstverständlich ein Hardcoverband. Die Innenabbildungen sind gut, sie erreichen zwar immer noch nicht das Niveau der generischen „World of Darkness“-Reihe, doch hat eine deutliche Besserung stattgefunden. Das Titelbild ist einfach atemberaubend und eines der besten aus der „Mage“-Reihe. Wer einen Blick darauf wirft, wird mir wohl zustimmen.

Inhaltlich folgt der Quellenband dem wohlbekannten White-Wolf-Muster. Eine zehnseitige Kurzgeschichte soll uns in die intrigenreiche und paranoide Welt der „Guardians of the Veil“ einführen, ohne dass es ihr wirklich gelingt. Ein Magus verübt wohl in irgendeiner Esoterik-Buchhandlung ab und an mal Wunder, was sich auch schon unter den Normalsterblichen herumgesprochen hat. Dieser Bruch ruft nun einen „Guardian“ auf den Plan, der sich dieses unvorsichtigen Magus annimmt. Die Geschichte ist irgendwie schrottig, aber man versteht, worauf der Autor hinauswollte. Die vier Seiten Einleitung zum Buch befassen sich mit Thema und Atmosphäre, die rund um einen Magus dieses Ordens herrschen sollte beziehungsweise die seinen Anteil an der Chronik einnehmen sollte, sowie eine Liste nützlicher Quellen zur Inspiration und mal wieder ein Glossar mit Begriffen. Sei es drum, die ersten zwanzig Seiten jedes „World of Darkness“-Buchs gehen ja für dieses Vorspiel drauf. Widmen wir uns dem tatsächlichen Kern des  Ganzen!

Dem Muster entsprechend beginnt das Ordensbuch mit der Geschichte der „Guardians of the Veil“. Im alten Atlantis nannten sich diese Visus Draconis – das Auge des Drachens (sic!) und waren die Spione. Nach dem Fall wurde der Orden zunächst zersplittert, formierte sich dann aber später unter vielen Widrigkeiten neu. Dabei wird einem einiges über seine vermeindliche Rolle in Atlantis erzählt sowie über diverse Interaktionen mit der Weltgeschichte in der Antike. Die Jahre 500 bis 1900 werden dann wie so oft im Schnelldurchlauf besprochen, damit dann die Rolle der Guardians in der heutigen Welt umrissen werden kann. Ich habe ein echtes Problem mit den geschichtlichen Abschnitten in jedem White-Wolf-Quellenbuch und dieses hier ist keine Ausnahme. Die Geschichte eines Ordens ist ja per se interessant, denn sie könnte Inspiration und Quelle Jahrhunderte alter Intrigen sein, die sich dann auch in eine Chronik umwandeln lassen. Jedoch nicht, wenn man auf 17 Seiten kondensiert eine Zusammenfassung der Geschichte der letzten 2000 Jahren hat, in der gerade ein paar Fraktionen genannt werden. Echte Information statt angedeutetes Garnichts wäre erfreulich gewesen. Ich kann aber hier schon erwähnen, dass es sich um das schwächste Kapitel des Bandes handelt.

Dafür ist das folgende Kapitel „Masque and Veil“ umso besser und bietet etwas, dass ich bei „Mage“ lange vermisst habe: knackige Information für Spieler und Spielleiter. Sehr detailliert werden die Lehren des Ordens, Verhaltensweisen und Tabus besprochen. Denn wie bereits erwähnt, ist die Position und das Leben eines „Guardians of the Veil“ keine einfache. Da Guardians Spione par excellence sind und den Ruf haben, Schritt und Tritt anderer Magi auf eventuelle Fehlleistungen hin zu überwachen, kann man sich leicht vorstellen, wie die anderen Orden dazu stehen, auch wenn sie die prinzipielle Agenda unterstützen. Weiterhin beobachten sie ja nicht nur, sondern greifen auch ein, bis hin zur letzten Konsequenz, dass ein widerspenstiger, mit vulgärer Magie um sich werfender Magus aus dem Verkehr gezogen wird. Und damit meine ich: ermordet. Um eine solche Position halten zu können und ihre dreckige Arbeit machen zu können – denn der Orden ist sich des notwendigen Übels, dass sie tagtäglich verüben, bewusst –, müssen sie in Glauben und Moral sehr gefestigt sein. Des Weiteren wird die Ordensstruktur erläutert und auch in Regelmechanismen gepresst (Status), die Wechselwirkung zwischen Pfad und Orden wird besprochen und es wird das interessante Konzept der 49 Masken eingeführt.

Aus dem Grundregelwerk „World of Darkness“ sind ja Sünden und Tugenden bekannt. Aus einem jedem Paar von Sünde und Tugend (7x7=49) wird nun eine Maske gemacht, die mit bestimmten Charaktereigenschaften assoziiert ist. Ein Guardian kann nun solche Masken erlernen, die es ihm dann erlauben, Personen mit bestimmten Charakteristika besser zu spielen – wir vergessen nicht, dass es Spione sind, die in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen können. Aber auch allgemein ist das Konzept der Masken interessant, erlaubt es doch einen jeden „World of Darkness“-Charakter aufgrund des Konzepts einem Sünde-Tugend-Paar zuzuordnen.

„Of Secrets and Spiel“ ist ein Paradebeispiel dafür, was ich an aktuellen „Mage“-Quellenbüchern moniere: gute Ideen, aber die Autoren kommen nicht auf den Punkt und verlieren dann irgendwann ihr eigentliches Ziel aus den Augen. Ging das vorangestellte Kapitel um die Interna des Ordens, geht es nun um Interaktion sowohl zwischen einzelnen Mitgliedern gleichen und unterschiedlichen Ranges als auch um den Umgang mit Schläfern, Magi anderer Orden und anderen Übernatürlichen. Wichtige Konzepte hierbei sind das Labyrinth und die Schleier. Das Labyrinth existiert nicht als Ort, sondern ist ein Plan, mit dem neugierige Schläfer bei Laune gehalten und gleichzeitig von wahren okkulten Geheimnissen ferngehalten werden. Über viele okkulte Organisationen, gefälschte Bücher und ähnliches lockt der Orden an Okkultem interessierte Schläfer weg von den wahren Fakten über die Magie. Die Schleier sind Initationsstufen, die idealerweise von allen Magi eingehalten werden sollten, aber besonders für „Guardians of the Veil“ gelten. Jeder Stufe ist bestimmtes Wissen und Verhalten zugeordnet. Letztlich werden dann noch ein paar Strategien zur Eindämmung von Sicherheitsbrüchen oder der Beeinflussung von Politik, weltliche und arkane, besprochen. Insgesamt guter Inhalt, aber auf zu viel Text verteilt.

Kapitel 4 „Factions and Legacies“ differenziert den Orden nochmal weiter in bestimmte Subgruppen, die sich gewissen Aspekten verschreiben. Die „Guardians of the Veil“ sind in fünf Fraktionen eingeteilt, die spezielle Aufgaben übernehmen: Die „Faceless“ geben ihre eigene Persönlichkeit auf, um jeden verkörpern zu können. Damit sind sie die perfekten Auftragskiller. Die „Inheritors“ sammeln und bewahren mächtige Artefakte, damit sie nicht in die Hände von unwürdigen gelangen. Die „Messianics“ sind der religiöse Arm des  Ordens, welcher auf das Auftauchen des Hieromagus wartet, der ein neues Atlantis schaffen wird. Die „Ordeal Keepers“ sehen ihr Leben als Reihe von Prüfungen an und versuchen stets sich zu verbessern. Asketen. Und die „Prophets“ sind schließlich der diplomatische Arm des Ordens, welcher die vielen notwendigen Schandtaten vor dem Konsilium vertritt und die Wogen wieder glättet. Zu jeder dieser Fraktionen wird dann noch einmal eine spezifische Gruppe beschrieben. Anschließend bekommt man noch ein paar neue „Legacies“, die auf die „Guardians of the Veil“ zugeschnitten sind.

Das letzte Kapitel nennt sich „Magic“ und behandelt genau dieses Thema: Magie. Wie nutzt der Orden die zehn Arcana zu seinem Vorteil? Welche magischen Strategien und Methoden gibt es? Selbstverständlich bekommt man noch einen Haufen neuer Zauber und Artefakte geliefert. Diese sind natürlich ebenfalls auf die Arbeit des Ordens zugeschnitten. Spieler und Spielleiter können einen echten Nutzen am Spieltisch aus diesem Kapitel ziehen. Der Anhang enthält dann noch ein Dutzend NSC zur Verwendung durch den Spielleiter. Die Konzepte konkretisieren die verschiedenen Personen oder Aufgabengebiete, die man bei den „Guardians of the Veil“ finden kann. Leider wurde hier wieder die erzählerische Variante des StatBlocks gewählt, sodass man nur für ein oder zwei Fähigkeiten des NSC einen DicePool angegeben hat. Was ist, wenn meine Spieler den Diplomaten doch angreifen?

Fazit: Insgesamt bewerte ich „Guardians of the Veil“ als ein durchschnittliches Buch. Es ist informativ und erfüllt seinen Zweck. Leider ist es weder wirklich inspirierend noch angenehm geschrieben. Man muss sich durcharbeiten und streckenweise ist es wirklich zäh. Danach hat man allerdings ein gutes Bild vom Orden und dem Verhalten der einzelnen Mitglieder sowie deren Möglichkeiten, ihre Agenda umzusetzen. Die Organisation des Ordens an sich bleibt allerdings immer noch etwas nebulös. Mehr konkrete Information – also ein Flussdiagramm, bedeutende Anführer benennen und die globale Organisation aufzeigen – wäre Gold wert gewesen. Das prinzipielle Problem des Bandes ist, dass er zu lange ist. 220 Seiten ist Overkill, vor allen Dingen, wenn die Informationsdichte mitunter einfach zu niedrig ist. An einem kurzen, knackigen Band mit nur 128 Seiten hätte ich mehr Spaß gehabt. Immerhin ist es nur ein Spiel und keine Wissenschaft. – Und? Soll man das Buch nun kaufen? Ich sage es mal so: Man muss es nicht besitzen. Es ist mal wieder ein Quellenbuch, bei dem ich sagen muss, der Kauf ist optional und empfiehlt sich wohl vor allem für Spielrunden, die den „Guardians“ in ihrer Chronik einen größeren Stellenwert einräumen.


Guardians of the Veil
Quellenbuch
Kraig Blackwelder, Rick Chillot, Rick Jones u. a.
White Wolf 2006
ISBN: 1588464261
224 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 31,99

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