Ghouls

Vor einiger Zeit ist für „Vampire: The Requiem“ das Quellenbuch „Ghouls“ erschienen, welches sich mit den sterblichen Dienern der Vampire beschäftigt und das bestehende Konzept aus dem Grundregelwerk vertieft und erweitert. Warum ich es für eines der besseren und wichtigeren Quellbücher für das Spiel halte, erfahrt ihr hier.

von Nicolas Hohmann

 

„Ghouls“ kommt als 144 Seiten starkes Hardcover in gewohnt guter Verarbeitung daher. Das Cover empfinde ich als passend, wobei die Innenillustrationen das perverse Verhältnis zwischen Ghul und seinem Meister und die marode Psyche der Ghule wesentlich besser portieren. Erfreulicherweise ist mir kein schlechtes Bild aufgefallen, dafür aber häufige Rechtschreibefehler und sogar mehrfach Fehler des Typs „siehe S.XX“ – das ist einfach nur ärgerlich und vermeidbar.

Das Quellbuch gliedert sich in vier Kapitel und einen Anhang. Selbstverständlich beginnt es wieder mit einer Kurzgeschichte, diesmal steht die Sucht des Ghuls nach der Vitae des Meisters im Vordergrund. Anschließend zwei Seiten allgemeine Einführung mit Hinweisen was man mit diesem Buch so anfangen kann, was Ghule sind und was Ghule nicht sind sowie Buch- und Filmempfehlungen, die ich immer ganz brauchbar finde.

Das erste Kapitel „Bound in Soul and Blood“ bildet dann schon gleich das Herzstück dieses Quellenbandes. Geliefert werden reine Hintergrund- und Spielweltinformationen, die regeltechnische Ausführung folgt in einem späteren Kapitel, sodass man sich hier ungestört die erzählerische Komponente des Ghuldaseins zu Gemüte führen kann. Beleuchtet wird zunächst das persönliche Verhältnis zwischen dem Ghul und seinem Meister, welches auf einem sehr kranken und pervertierten Abhängigkeitsgefühl fußt. Die Vitae eines Vampirs ist suchterzeugend in einem Menschen, sodass dieser ein starkes Bedürfnis nach weiterem Konsum entwickelt. Trinkt man dreimal vom Blut des gleichen Vampirs, so bildet sich ein volles Vinculum zu diesem Vampir aus, ein nicht zu brechendes Liebes- und Loyalitätsgefühl.

So ist der Ghul oftmals Spielball dieser inneren Kräfte, die ihn zwingen, sich den Quälereien und Erniedrigungen seines Meisters auszusetzen. Oft ist dieses Verhältnis sexualisiert oder der Ghul entwickelt sonst irgendeinen Fetisch, die Hinweise des Quellenbuchs auf die SM- und Bondageszene sind daher angebracht. Insgesamt strotz das Quellbuch nur so vor Themen, die sich gut unter dem Oberbegriff „Perversion & moralischer Verfall“ sammeln lassen. Angeschnitten werden Sadomasochismus, Blut trinken, Verstümmelung, Inzest, Erniedrigung und Entmenschlichung. Was für Vampire eh schon gilt – nämlich dass es nur von reifen und gefestigten Persönlichkeiten, die mit der Thematik adäquat umzugehen wissen, gespielt werden sollte – gilt für „Ghouls“ aus diesem Grunde umso mehr.

Weiterhin wird in dem Kapitel dann die Stellung und Rolle des Ghuls in Abhängigkeit von Clan und Bund aufgeschlüsselt. Es folgt noch ein Traktat über Ghulfamilien, die bei dem seltenen Ereignis entstehen, wenn eine schwangere Ghulfrau ein lebendes und halbwegs gesundes Kind zur Welt bringt. Im Gegensatz zu den normalen Ghulen, die durch den willentlichen Akt eines Vampirs entstehen, vererbt sich bei Ghulfamilien der widernatürliche Zustand. Auch unterscheiden sie sich in einigen physiologischen Gesichtspunkten von geschaffenen Ghulen. Spezifiziert wird das Konzept der Ghulfamilien durch sechs ausgearbeitete Familien, die im Regelteil noch genauer dargestellt werden. Den Abschluss bilden ein paar Worte zu Tieren als Ghule und den „Mandragora“-Pflanzen, die mit Vitae versetzt und dadurch verändert wurden.

Kapitel 2 nennt sich „Ghoul Characters and Special Rules“ und damit ist das Wichtigste schon gesagt. Was in Kapitel 1 rein erzählerisch dem Leser präsentiert wurde, wird hier nun mit harten Regeln ausgestattet, sodass damit auch verbindlich gespielt werden kann. Zunächst erläutert man uns also den Erschaffungsprozess für einen Ghul als Spielercharakter, wobei der Unterschied zu den im Grundregelwerk präsentierten Regeln darin besteht, dass der Charakter mit einem Punkt Moral weniger beginnt und dafür einen Disziplinspunkt mehr hat. Es werden einem sehr viele Ideen und Hinweise gegeben, was man für die spätere Geschichte schon bei der Erschaffung des Charakters beachten sollte, sodass man nicht nur trockenen Regeltest liest.

Explizit wird darauf hingewiesen, dass es den Ghulen in der Theorie möglich ist, jede Disziplin zu erlernen, auch wenn kaum ein Meister dies seinem Diener beibringen wird. Dementsprechend werden dann auch regeltechnische Abweichungen, die aufgrund der sterblichen Natur des Ghuls bei einigen Disziplinen notwendig sind, besprochen. Es folgt ein Abschnitt über die Erschaffung von Ghulfamilien und die Umstände, unter denen die Geburt eines lebenden Kindes eines Ghuls möglich ist. Dies geht sogar so weit, dass einem eine Tabelle mit Modifikatoren für die erfolgreiche Geburt des Kindes zur Hand gegeben wird. Da wahrscheinlich nicht wenige Spieler den Versuch, eine Ghulfamilie zu züchten, unternehmen werden, macht das wohl sogar Sinn.

Hier werden nun noch mal die Ghulfamilien aus Kapitel 1 detailliert dargestellt. Man findet:

  • The Alley Man: religiöse freie Ghule, die auf den Straßen zuhause sind
  • Angustri: eine Ghulfamilie, die aus grausamen Experimenten mit Zigeunern in KZs entstanden ist
  • Crassus: eine reiche und mächtige Ghulfamilie mit Wurzeln im antiken Rom
  • Gravenor: inzuchtgeschädigte Rednecks, die im Moor ihren Nosferatumeister schützen
  • Children of Nirriti: der persönliche Kult einer Daeva, die für sie die Grausamkeiten des Unlebens ausführen

„Storytelling Ghouls“ ist das dritte Kapitel. Es ist recht kurz gehalten und gibt dem Erzähler allerlei Tipps an die Hand, wie er mit Ghulen – sowohl als SCs als auch als NSCs – umgehen kann. Nett sind die Hinweise, wie man Ghule als Gegner der Spieler verwenden kann. Da sie chronisch unterschätzt werden, können sie nämlich für einige böse Überraschungen sorgen. Auch findet man in diesem Kapitel konkrete Rollenspieltipps wie etwa das Vinculum ausgespielt werden kann oder wie ein Ghul sein Leben organisiert. Denn dabei wandert er stets auf dem schmalen Grat zwischen Sucht, den mannigfaltigen Aufgaben seines Meisters und dem verzweifelten Versuch, sein sterbliches Leben zumindest als Scheinexistenz aufrechtzuerhalten.

Kapitel 4 nennt sich „The Debased“ und liefert uns ausgearbeitete NSCs. Hier wird einem die Vielfalt, die sich unter dem Begriff „Ghul“ verbirgt, erst richtig bewusst. Es handelt sich dabei nämlich keineswegs um hirnlose ewiggleiche Diener der Kinder der Nacht. In „The Debased“ findet man den Doppelgänger des Prinzen, der seine eigene Persönlichkeit vergessen hat, den freien Ghul, der als Leichenbeschauer arbeitet und somit den Vampiren der Stadt seine wertvollen Dienste gegen Blut anbietet kann, oder auch den schlagenden Ehemann, der sich plötzlich als hilfloser Ghul seiner Ehefrau, welche nun ein Vampir ist, wiederfindet. Alles in allem recht farbenreiche und unterschiedliche Charaktere, die als Inspiration für die eigene Chronik dienen können.

Der Anhang ist nicht erwähnenswert, da man hier nur noch mal weitere Regeln und Hinweise für die Erschaffung eigener Ghulfamilien findet.

Fazit: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Ghouls“ ein gutes Quellenbuch ist, welches einen wichtigen Aspekt des Spiels zum Thema hat. Vor allen Dingen die kranke Psyche des Ghuls und sein Verhältnis zu seinem Meister sind die Worte wert. Leider hat sich in den ganzen Band Redundanz eingeschlichen, vor allen Dingen wirken die Abschnitte über Ghulfamilien aufgebäht – 96 Seiten hätten’s wahrscheinlich auch getan. Da aber als nützliche Diener die Spielercharaktere früher oder später selbst einen Ghul erschaffen wollen, oder vielleicht einer der Spieler gerne selbst in diese Rolle schlüpfen möchte, ist das Quellbuch eigentlich schon fast ein Muss – wegen des Hintergrundteils und wegen der Regeln.


Ghouls
Quellenbuch
Darcy Ann Anastasia, Carl Bowen, Rick Chillot, Ray Fawkes, Ian Price
White Wolf 2005
ISBN: 1588462560
144 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 26,99

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