Gareth – Kaiserstadt des Mittelreichs

Die mächtige und größte Stadt Aventuriens öffnet ihre Tore: Gareth – die Kaiserstadt, mitten im Herzen des Kontinents, mehrfach erobert, teilweise oder ganz zerstört, doch immer wieder aufgerichtet und stolzer als zuvor. Eine Metropole voller Gegensätze, in der Praios und Phex und damit Sonne und Schatten aufeinanderprallen, in der prachtvolle Paläste und goldgeschmückte Tempel sich neben schäbigen Mietskasernen erheben.

von Ansgar Imme

Eigentlich hatte man im Verlag Ulisses Spiele mit Boxen abgeschlossen und wollte nur noch Quellenbücher veröffentlichen. Die erste Ausnahme gab es mit „Die Dunklen Zeiten“ unter der Regie von Uli Lindner, eine Spielhilfe, die sehr großen Erfolg hatte. Die zweite Ausnahme wurde für einen weiteren erfolgreichen und beliebten Autor gemacht: Anton Weste. Dieser hatte das Ziel, Gareth umfassend zu beschreiben und lebendig und vor allem spielbar zu machen. Als Vorbild diente ihm die „Havena Box“ von 1985, die erstmals dem Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ eine umfassende Stadtbeschreibung geliefert hatte. Und wie schon vor fast 30 Jahren sollte neben den normalen Gebäudebeschreibungen auch viel Material zum Leben in der Stadt und allen ihren Einwohnern und Organisationen wie Zünften, Unterweltbanden, Gilden, Kirchen und vielem mehr vorhanden sein.

Physischer Inhalt, Layout, Aufmachung, Illustrationen

Die Box ist ein Stein … oder wiegt zumindest so viel wie einige Steine. Wenn man sie öffnet, ist sie vollgepackt bis zum Rand, sogar noch voller als die letzte Box „Die Dunklen Zeiten“. Drei Bände sind enthalten, je einer zu Abenteuern, Gebäudebeschreibungen und zum Leben in der Metropole. Ergänzt wird dies durch ein 32-seitiges Heft mit Gebäudeplänen (zum Kopieren oder auf den Tisch legen) und NSC-Werten, einem Indexheftchen über alle drei Bände, mehreren Ausgaben der Ingame-Zeitung „Aventurischer Bote“ sowie einem riesigen beidseitigen bedruckten Stadtplan von Gareth in Farbe. Die Gebäudepläne als auch Teilausschnitte des Stadtplanes sind der Zuordbarkeit halber auch jeweils an den passenden Stellen in den Bänden enthalten.

Am Layout hat sich zu vorausgegangenen Spielhilfen nichts geändert: Der normale Fließtest wird durch grau hinterlegte Kästen mit Hintergrundtexten oder vertiefenden Informationen ergänzt. Dazu wurde die Beschreibung von Organisationen als auch Einzelpersonen noch nach einem neuen Schema mit zusätzlichen Informationen ergänzt (Reichtum, Einfluss, Gesetzestreue etc.) und aktualisiert. Lobenswert ist das Wiederaufgreifen von Motiven auf den Covern der einzelnen Bände, bei denen ein im Band genannter Gardist und eine Einbrecherin in verschiedenen Situationen auftauchen und Spielsituationen oder eine Geschichte erzählen. Die Cover selbst sind sehr liebevoll gestaltet und von hoher Qualität, ebenso reihen sich die Illustrationen von guter bis hoher Qualität ohne Wiederholungen ein und geben vortrefflich die Stimmung der Bande wieder. Die Farbkarte ist einer der absoluten Höhepunkte der Box: Obwohl es schon mehrfach alte Karten gab, wurden auch hier noch neue Orte gezeichnet, dazu sind die Farben und der liebevolle Detailgrad atemberaubend und geben jedem Stadtteil seinen eigenen Stil.

Der Inhalt der Bände

Die drei Bände haben eine klare Abgrenzung: Der dünnste Band mit auch noch über 100 Seiten bringt spielbare Szenarien und eine Kurzkampagne an den Tisch, der mittlere Band schildert die verschiedenen Organisationen und wichtige Personen in Gareth, und der dickste Band mit ca. 250 Seiten widmet sich schließlich ausführlich den wichtigsten Gebäuden, Straßen, Plätzen und generell sonstigen Örtlichkeiten in Gareth und dessen Umgebung.

Zum Start in die Box bietet sich der Band „Im Herzen der Metropole“ an, hier findet sich auch das Vorwort von Anton Weste. Im einleitenden Teil der 180 Seiten (!) werden zunächst Abkürzungen zu Gebäuden, Personen und Organisationen geklärt (Erschwernis des Eindringens in Gebäude, Reichtum/Gesetzestreue/Macht einer Person oder Organisation), dann folgt ein kurzer Part zur Anreise nach Gareth und zu Verkehr beziehungsweise zur Reise durch die Stadt. Anschließend wird die Geschichte Gareths seit seiner Gründung bis heute aufgearbeitet, wobei Karten als auch viele Informationen, wie zur jeweiligen Zeit herrschende Politik, Zustand des Wehrwesens, Baustil und bestehende Bauten oder bedeutende Personen, geboten werden, sodass man auch zu anderen Zeiten spielen und diese Informationen nutzen kann.

Einer von zwei großen Teilen ist das Kapitel zu Leben und Kultur in Gareth. Hier findet sich fast alles Wissenswertes, was man auch heute bei einer Stadt wissen will oder muss: Was gibt es für Einwohner, und welche Ämter oder Institutionen kann man besuchen – inklusive der einzelnen Stadtviertelregierungen und der Konflikte, die die Stadt von innen und außen betreffen. Das geht sogar so sehr ins Detail, dass für die einzelnen Stadtämter Ansprechpartner genannt werden oder für bestimmte Fragestellungen (Wo bekomme ich eine Bettelmarke? :-) ) das zuständige Amt aufgeführt ist. Dazu gehören aber ebenso Passagen zu Recht und Gesetz, Handel und Gewerbe, Verbrechen und daraus resultierende Strafen, wie sie in Gareth verhängt werden. Hier finden sich sogar Regeln, wie man einen Gerichtsprozess durch Würfel abbilden kann. Die „Sprache“ der Diebe und Bettler – das Füchsische – erhält genauere Hintergründe und auf einer Bildtafel eine Vielzahl von Zeichen. Aber auch Alltägliches oder Profanes wie Nahrungs- und Wasserversorgung, Beleuchtung, Abwasser, Gewächs und Getier sowie Informationen zu den Flüssen dürfen nicht fehlen. Die Verteidigung der Stadt und ihre Mauer und Stadttore erhalten ebenso ihren Platz wie die Ereignisse des Jahresablaufs mit den Feiertagen und Festen.

Im zweiten großen Kapitel des Bandes werden die Organisationen Gareths beschrieben, die vor allem in Abenteuern und im Spiel um Verbrechen und Gesetz eine größere Rollen spielen können. Den größten offiziellen Einfluss neben der Kaiserin und dem Lichtboten haben die Patrizierfamilien, von den wiederum fünf eine besondere Rolle spielen und mit Zielen, wichtigen Personen oder Stützpunkten und Methoden genauer vorgestellt werden. Fast ebenso einflussreich sind die Zünfte, zu denen es einige Informationen gibt.

Anschließend folgen mit den Spießbürgern, der Stadtwache und der Garether Criminal-Cammer Organisationen, die sich der Gerechtigkeit und dem Schutz der Bürger verschrieben haben. Die Spießbürger sind die Armee der Stadt, in der jeder freie Bürger einige Wochen des Jahres seine Waffenpflicht ableistet. Die Stadtwache stellt dagegen eine ständige Präsenz im Auftrag des Stadtrates dar und hält Ordnung und Recht mit Bewachung der Stadttore, Erhebung von Zöllen etc. aufrecht. Die Criminal-Cammer beschränkt sich schließlich auf die Aufklärung von Verbrechen und die Bekämpfung der Verbrechergilden Gareths. Den letzteren sind die folgenden Unterkapitel gewidmet. Alte Gilde, Almadaner und Tobrier werden mit Zielen, Methoden, Feinden und Mitgliedschaft beschrieben. Im letzten Drittel des Großkapitels werden sonstige bekannte Organisationen vorgestellt: Der Söldnerhaufen der Waisenmacher, der einen Stadtteil beherrscht, die Praioskirche und Phexkirche als bedeutende Kirchen der Stadt, Diener des Namenlosen, Gargyle und sonstige erwähnenswerte Gruppen. Der Band schließt mit einem umfangreichen Tabellenteil ab, mit dem begegnende Personen, Beute aus Diebstählen oder aus Häusern, Tagesgespräche, Zeitabläufe und Lehrmeister schnell zur Hand sind.

Wer gedacht hatte, dass 180 Seiten bereits das Maximum dieser Box seien, der hatte sich getäuscht: „Goldene Dächer, Dunkle Gassen“ bringt sogar knapp 250 Seiten spielbares Material mit. Hier handelt es sich um einen ausführlichen, aber trotzdem nicht kompletten Führer durch die Kaiserstadt sowie einen Rundgang durch das Umland. Jeder der fünf Stadtteile hat ein eigenes Kapitel, welches wiederum nach den Stadtvierteln unterteilt ist. Zu jedem Stadtviertel ist der Übersichtlichkeit halber eine Stadtviertelkarte mit Beschriftung zusätzlich im Band enthalten sowie am Ende jeder Beschreibung eine Tabelle mit den Örtlichkeiten inklusive Anzahl der Bewohner, gegebenenfalls Angestellten, Preis, Qualität und Besonderheiten.

Erwartungsgemäß bekommen Alt-Gareth und Neu-Gareth die beiden größten Kapitel und machen etwa die Hälfte des Bandes aus. In den Kapiteln finden sich Beschreibungen und zum Teil Gebäudekarten ganz unterschiedlicher mehr oder weniger wichtiger und bekannter Gebäude: Das Hotel Seelander, der Praios-Tempel, die Alte Residenz, die zerstörte Neue Residenz, der Pentagon-Tempel der Hesinde, die Kaiserthermen, die Magierakademie „Stab und Schwert“, aber auch die vielleicht weniger bekannten Villen der Patrizier, eine thaumaturgische Werkstatt, die umfunktionierte alte Arena, der im Wiederaufbau befindliche Ingerimmtempel und vieles, vieles mehr. Dazu finden sich auch immer wieder Personenbeschreibungen im Text, die besonders wichtig für die Örtlichkeit oder die Stadt sind.

Während Rosskuppel und Meilersgrund jeweils etwa nur 10 Seiten abbekommen, wird das Südquartier mit fast 40 Seiten bedacht. In diesen drei Stadtteilen lernt man die düsteren und gefährlicheren Seiten Gareths kennen und auch die ungewöhnlicheren Orte wie den geheimen Phextempel, einen Elfen-Enklave, eine nivesische Rattenfängerin und den schwarzmagischen Zirkel der Wissenschaften. Wem das Machtgefüge und die Abenteuer in der normalen Stadt nicht genug sind, dem werden die Beschreibung der unheimlichen Dämonenbrache, des Umlandes oder Unter-Gareth gefallen. Die Dämonenbrache inklusive des Gesplitterten Berges, Hlûthars Grab und dem Feldherrenhügel des Fran-Horas bietet selbst hartgesottenen und erfahrenen Helden noch größte Herausforderungen.

Im Umland warten dagegen Beschreibungen der umliegenden Baronien als auch spezieller Orte auf den Leser, darunter das Neue Hippodrom, der Henkershügel Gareths oder die Nekropole der Stadt. In Unter-Gareth erkundet man schließlich die Kanäle, Höhlen und Katakomben alter Kulturen sowie neuerer Zeit und kann den versteckten Phextempel, Stollen der Tiefzwerge, Verstecke von Diebesbanden, den Kultplatz düsterer Götter oder auch einen unterirdischen Markt der Grolme entdecken. Abgeschlossen wird auch dieser Band mit einem umfassenden Gebäude-Index.

Die Box wird komplettiert durch den Abenteuerband „Gassenhelden“, der auf mehr als 110 Seiten sofort spielbare Abenteuer und Szenarien für die größte Stadt des Kontinents bietet. Eine Einleitung geht zunächst auf die Helden in der Stadt und die Interaktion der Helden mit der Stadt ein. Hier finden sich Hinweise, wie die Stadt auf der Durchreise, aber vor allem als eigener Abenteuerschauplatz genutzt werden kann. Dazu gibt es Passagen, welche Helden sich besonders und welche sich nicht eignen, wie eine Gareth-Kampagne aussehen kann, wie eine Gildenkarriere oder politische Karriere verläuft, und es gibt Tipps für Abenteueraufhänger zu Einsteiger-, erfahrenen und Experten-Helden. Danach folgen vier Szenarien, die eine bunte Mischung bieten und das Auffinden von Phexens Schatzkammer, die Zerstörung des Gesplitterten Berges, das Aufeinandertreffen mit Gargylen und ein Geheimis um die acht mythischen Stadtheiligen Gareths thematisieren. Den größten Teil nimmt schließlich die „Gassenhelden“-Kampagne ein, die aus drei Teilabenteuern besteht. Um nicht zu viel zu verraten, sei hier nur gesagt, dass es ganz harmlos beginnt, als ein vermeintlich einfacher Junge tot aufgefunden wird. Als die Helden dies aufklären müssen, entwickelt sich daraus aber eine Gefahr für die ganze Stadt.

Bewertung

Allein vom Umfang her bekommt man richtig viel für sein Geld: Fast 600 Seiten spielbares und immer wieder verwendbares Material, Gebäudepläne und die riesige, farbige Stadtkarte. Allerdings stand die Frage im Raum, ob sich die Investition trotzdem lohnt, schließlich gab es doch bereits alte Stadtbeschreibungen der größten Stadt des Kontinents in „Das Land des Schwarzen Auges“ 1990, „Stolze Schlösser, Dunkle Gassen“ 1998 sowie „Herz des Reiches“ 2006. Doch wenn man die Box nach etlichen Stunden und Tagen einmal komplett gelesen hat, kommt es einem so vor, als wäre diese neu und zum ersten Mal erschienen, so viele neue Beschreibungen und Ideen finden sich über das Werk verteilt.

Es gibt so viel zu loben, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Ob es die Struktur ist, die zunächst unpassend wirkt (z.B. finden sich Beschreibungen von Personen nicht mehr in einem alleinigen Kapitel, sondern immer an der Stelle, wo sie gerade passen – ob beim Gebäude, wo man sie antrifft, oder an einem bestimmten Ort), aber mit dem Lesen so logisch erscheint, dass man sich fragt, warum es je anders gemacht wurde. Oder die liebevollen Beschreibungen der vielen Örtlichkeiten, die immer genau die richtige Länge zu haben scheinen und nie zu lang oder zu kurz sind. Oder die vielen, vielen, vielen Hinweise in „Im Herzen der Metropole“ zum Spiel in der Stadt, die eine jahrelange Kampagne mit Zünften, Politik und Handel ermöglichen. Und vor allem die kleinen und großen ständigen Abenteuer- und Szenarienaufhänger, die fast jede kleine Beschreibung bietet und so ständig ihren Zweck unter Beweis stellt. Man könnte noch vieles mehr aufzählen, doch dies würde den sowieso schon ausführlichen Rahmen dieser Rezension sprengen.

So wie Gareth eine Beschreibung zwischen Licht und Dunkelheit ist und die Götter Praios und Phex über das Leben der Kaiserstadt wachen, sollten natürlich auch die schwachen Seiten der Box genannt werden. Doch das ist wirklich eine schwierige Aufgabe, und man muss hier schon sehr pingelig und genau sein, da sie vor allem den sehr guten Eindruck auch nicht schmälern sollen. Es sind zwei Ergänzungen, die weggelassen hätten werden können: Zum umfangreichen „DSA“-Regelwerk gibt es auch hier mal wieder etwas Neues – Regeln zum Häuserkauf und zum Ablauf eines Gerichtsverfahrens. Es mag Spielgruppen geben, die so etwas per Regeln wirklich ausspielen, aber das scheint doch zu viel des Guten zu sein. Inhaltlich ist ansonsten noch anzumerken, dass der Abenteuerband zwar schöne und interessante Abenteuer und Szenarien enthält, diese jedoch eher für erfahrene Helden geeignet sind. Hier wären Abenteuer auch für Einsteiger-Helden eine schöne Sache gewesen.

Damit die kleinen schwarzen Punkte auf der weißen Weste nicht zu wichtig genommen werden, zum Abschluss noch ein großes Lob: Als der Rezensent gerade einmal die Hälfte des ersten Bandes gelesen hatte, schwirrte ihm schon der Kopf von so vielen neuen Ideen und sofortigem Interesse, am besten sofort in Gareth eine Kampagne zu starten und loszuspielen. Mehr kann eine Publikation nicht leisten!

Fazit: Exzellent! Mit einer der besten Publikationen, die je für „Das Schwarze Auge“ erschienen sind, hat Anton Weste mit seinem Team eine Box auf den Markt gebracht, an der sich alle künftigen Erscheinen messen lassen müssen. Abenteuerideen zuhauf und eine liebevolle Beschreibung mit dem richtigen Detailgrad machen es nicht schwer, eine Kaufempfehlung auszusprechen! Absolut empfehlenswert!!! (Ja, das sind drei Ausrufezeichen.)


Gareth - Kaiserstadt des Mittelreichs
Quellenbuch
Anton Weste (Hrsg.)
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 3868892419
3 Bücher, ca. 600 S., Softcover, Farbkarte DIN A1, Pläne, deutsch
Preis: EUR 60,00

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