Galactic Guide

It is a „Sky Full of Stars“... Und damit man sich nicht verliert in der unauslotbaren Tiefe, der von glitzernden Sternen durchsetzten Schwärze des Alls, ist es hilfreich, einen galaktischen Reiseführer zur Hand zu haben, der einem einen Überblick gibt über die bewohnten Welten und alle Belange, die auf den Reisen zwischen selbigen wichtig sind. In vielen Sci-Fi-Rollenspielen ist der „Weltenführer“ oder „Galactic Guide“ daher unverzichtbarer Bestandteil des Systems und zugleich wertvolles Quellenmaterial, das in die Mannigfaltigkeit des Lebens im All einführt. So auch im Falle von „Babylon 5“.

von Bernd Perplies

Es ist das erste „Babylon 5“-Quellenbuch von Ian „Lizard“ Harac, das ich in die Finger bekomme, aber ich kann nur voller Bewunderung feststellen: Der Mann ist fast so ein wahnsinniger Detailfanatiker wie August Hahn. Man kann der Rollenspielreihe von Mongoose ja das eine oder andere vorwerfen (sein nichtselbstständiges d20-System, seine leider qualitativ vergleichsweise miese Bebilderung), aber unbestritten ist hier eine Autorenriege am Werk, die wirklich Spaß an dem Universum hat und sich mit Begeisterung auch all den Kleinigkeiten annimmt, die ein Rollenspiel beleben.

Im vorliegenden Band, einem 200 Seiten umfassenden Hardcover im typischen „Babylon 5“-Layout (sehr viel Text, aber ordentlich strukturiert, Rahmen, die an frühe Atari-Spiele erinnern und Filmfotos, die leider allzu oft zu dunkel, zu pixelig oder zu unscharf wirken), trifft dies vor allem auf den dritten Block des ingesamt dreigeteilten Buchs zu. Hier – und ich rezensiere jetzt einfach mal ganz unkonventionell von hinten nach vorne – werden unter der Überschrift „Travelling the Galaxy“ die unterschiedlichsten Themen behandelt, eine bunte Mischung aus Hintergrundinformationen und mitunter sehr detaillierten Zusatzregeln.

So werden etwa Reisezeiten im Realraum – sogar zwischen sich dynamisch bewegenden Objekten innerhalb eines Planetensystems (!) – in einer Formel zur annähernd korrekten Berechnung angeboten. Dabei spielen sowohl die durchschnittlichen Entfernungen von Planeten unterschiedlicher Zonen eines Systems (in AU, also astronomical units, wissenschaftlich bis auf die zweite Stelle nach dem Komma korrekt für unser eigenes Sonnensystem angegeben) ebenso eine Rolle wie die „Maximum Safe Speed“ von Raumschiffen, die im All nur durch die strukturelle Stabilität der Schiffe – und keinesfalls ihr Beschleunigungsvermögen – begrenzt ist. Allerdings unterläuft dem Autor dabei ein kleiner Fehler, wenn er auf S. 151 behauptet, zwei Schiffe der Earth Alliance würden bei einem Rennen gleichzeitig am Ziel ankommen, wenn sie gleichzeitig gestartet wären (eben weil für alle Erdschiffe die gleiche „Maximum Safe Speed“ gilt). Tatsächlich würde nämlich das Schiff mit den höheren Beschleunigungswerten doch siegen, eben weil es früher die Höchstgeschwindigkeit erreichte und auch erst später würde abbremsen müssen. (Aber das sind Haarspaltereien).

Reisen durch den Hyperraum werden im nächsten Abschnitt betrachtet, wobei vor allem die Gefahr des Verlorengehens im Hyperraum, das „Slipping Off Beacon“, im Vordergrund steht und was man als Pilot machen kann/muss/sollte, um dies zu vermeiden oder um das eigene Gefährt wieder auf Kurs zu bringen. Auch die natürlichen Gefahren dieser Zone aus rot wirbelnden Nebeln werden beschrieben, etwa Hyperwinde, Hyperraumblasen und Gravitationszüge. Im Gegenzug mag der Hyperraum ungeahnte Geheimnisse und Schätze bergen, darunter verborgene Regierungsinstallationen, Geisterschiffe oder Artefakte der First Ones.

„Commercial Transit“ ist ein großes Subkapitel überschrieben. Wie findet man eine Passage, was kostet der Spaß und was lässt sich tun, um günstiger zwischen den Sternen zu reisen (oder innerhalb eines Systems)? Es werden sowohl die unterschiedlichen Qualitätsgrade in der Unterbringung beschrieben, als auch kulturelle Eigenheiten bei den verschiedenen Spezies. Die Sicherheit an Bord, Sicherheitsalarmprozeduren, Notfallprozeduren im Falle einer Beschädigung des Schiffes, die Auswirkungen von Lecks im All und Feuer – all dies wird, zumeist inklusive reglementierender Würfelproben, näher beleuchtet. Ein kleiner Fehler hat sich meines Erachtens auch hier eingeschlichen, denn das Unterkapitel „Oxygen Deprivation“, was durchaus zum Thema „Breaches“ passen würde, beschäftigt sich nur mit Sauerstoffmangel aufgrund von Bränden an Bord, sodass es besser dem Folgeabschnitt „Fire“ untergeordnet worden wäre.

„Transport Law“ gibt im Anschluss daran einen Überblick über rechtliche Fragen, die im All bestehen. Wenn ein Verbrechen geschieht, unter wessen Jurisdiktion fällt es (angenommen ein Drazi beschädigt ein Minbari-Artefakt auf einem Erdallianz-Schiff, das durch Narn-Raum fliegt)? Dabei werden auch die möglichen, unterschiedlichen Beziehungen der Reiche in die Rechnung mit einbezogen, wie auch die allgemeine Politik der „Major Races“ hinsichtlich Fragen des Umgangs bei Zwischenfällen im Raum aufgeführt.

Für Freihändler ist zweifelsohne der Abschnitt über Schiffsregistrierungen und Flugpläne sowie das ganze Subkapitel zum Thema Schmuggel interessant. Welche Klassen von Gütern gibt es? Wie beugen die Sicherheitskräfte Schmuggel vor? Wie versteckt man Konterbande und wie findet man sie? Dieser Abschnitt ist sehr tabellenlastig und geht vielleicht ein bisschen sehr ins Detail, wenn er auflistet, wie viele Männer wie viele Stunden ein Schiff durchkämmen müssen, um mit welchem „Search“-DC Schmuggelware welcher Größenordnung zu finden, gleichzeitig dient er aber auch Spielleitern, die lieber den Storyteller-Ansatz verfolgen, als hilfreiche Richtlinie für den Umgang mit Möchtegern-Han-Solos.

Im Ausrüstungs-Anhang werden noch ein paar für Raumfahrer bedeutsame Ausrüstungsgegenstände aufgelistet, im Regel-Anhang folgen ein paar Detailregeln zur Errechnung von Tagestemperaturen auf Planeten, Sauerstoffmangel und seinen Folgen an Bord eines Schiffes und den Auswirkungen von Mikrogravitation. Ein sehr ausführlicher Index rundet den Band ab.

So... und das alles waren jetzt nur die letzten 50 Seiten!

Den Kern des Buches bildet nämlich eigentlich auf 120 Seiten der Weltenführer durch das „Babylon 5“-Universum. Jede einzelne Welt (!) auf der großen, bunten Karte, die wir schon aus dem Grundregelwerk kennen und die hier noch einmal vorne und hinten im Umschlag abgedruckt ist (allerdings völlig identisch), wird hier in einem kurzen Block –zwischen einer halben und einer Seite – beschrieben. Die Einträge folgen dabei alle dem Aufbau: Name des Systems, Datenblock des Systems, Name des bewohnten Planeten, Datenblock des Planeten, kurze Beschreibung. Teilweise wurden die Weltkarten, die in den Kapiteln über die Welten der „Major Races“ in den entsprechenden Quellenbücher (etwa zur „Minbari Federation“ oder zum „Narn-Regime “) bereits abgedruckt wurden, erneut verwendet, dazwischen finden sich noch einige Farb- und Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die allerdings nur einen sehr begrenzten und nicht besonders aussagekräftigen Eindruck des Planeten vermitteln und teilweise auch sehr ähnlich aussehen. Die Datenblöcke sind fürs Rollenspiel völlig ausreichend, ebenso bietet der Text einen guten Überblick. Mehr Details werden die Spieler bei einer Zwischenlandung selten benötigen. Dabei enthalten viele der kurzen Geschichten Hinweise, welche die Einbindung der Planeten in Abenteuer oder gar Kampagnen anbieten.

Die ersten 30 Seiten des Buches, um am Ende zum Anfang zu kommen, werden von einem World-Generator eingenommen. Ich habe – wie jeder normale Mensch – das Buch natürlich von vorne begonnen zu lesen, und nachdem ich nur ein paar Seiten dieses ersten Kapitels hinter mir hatte, wusste ich, dass ich diesen „Galactic Guide“ lieben würde. Der Mechanismus lässt sowohl die Erschaffung von Systemen als auch von Planeten zu und ist dabei dermaßen clever durchdacht, dass man tatsächlich den Eindruck bekommt, hier wissenschaftlich haltbare Welten zu erwürfeln. Gleichzeitig ist die Anwendung so simpel, dass man sich auch dann nicht überfordert fühlt, wenn Atmosphärendichte, Hydrosphäre, Lage des Planeten, Atmosphärentyp und Vulkanismus Auswirkungen auf die Biosphärenkomplexität haben. (Alles klar?) Ein sehr geiles System, das sich auch problemlos für andere Sci-Fi-Spiele verwenden lässt, da es wirklich nichts anderes bewirkt, als den Datenblock eines Planeten zu generieren.

Fazit: Sieht man von der eher spärlichen und qualitativ nicht unbedingt berauschenden Bebilderung ab, hält man mit dem „Galactic Guide“ ein Buch in den Händen, das auf 200 Seiten wirklich eine unglaubliche Menge an Informationen rund um das Leben im All bereithält. Sowohl der Weltengenerator als auch der eigentliche Weltenführer und das bunte Sammelsurium an Dingen rund um interstellares Reisen sind eine unschätzbare Hilfe für jeden Spielleiter, dessen „Babylon 5“-Kampagne von reisefreudige Charakteren erlebt wird. Auf meiner Liste der „Must Have“-Produkte für das „Babylon 5“-System steht dieses Quellenbuch wahrlich ganz weit oben!

Galactic Guide
Quellenbuch
Ian "Lizard" Harac
Mongoose Publishing 2005
ISBN: 1-904577-99-7
200 S., Hardcover, englisch
Preis: $34,95

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