Frankenstein

Wer immer der Ansicht war, Frankenstein, das sei Boris Karloffs Quadratschädel mit Schraube in der Schläfe und eine einsam auf einem Hügel stehende Windmühle lichterloh entflammt... der irrt. Obwohl uns Lichtspielhauspilgern diese Motive sicher vertrauter sind als jede literarische Vorlage, sind beide doch der Fantasie Hollywoods entsprungen und haben mit Mary Shelleys ursprünglichem Schauerroman nicht wirklich viel zu tun. Die Hörspielinszenierung von Annette Kurth, die als Doppel-CD im Hörverlag erschienen ist, besinnt sich auf seine Wurzeln (auch wenn Karloffs Stoneface werbewirksam das Cover schmückt) ...

von Bernd Perplies

Für diejenigen unter uns, die ihre Einführung in klassische Horrorgeschichten den Universal-Studios verdankt, beginnt die Geschichte regelrecht befremdlich. Robert, ein junger Idealist mit Fernweh, begibt sich per Segelschiff auf eine Expedition, um die Nordwestpassage und das arktische Binnenmeer zu finden. Hoch im Norden liest er dabei einen völlig erschöpften und verwirrten Mann auf, der sich als Victor Frankenstein vorstellt und dem zunehmend entgeisterten Robert seine furchtbare Lebensgeschichte anvertraut.

Als junger Student interessierte er sich vor allem für das Geheimnis des Lebens und er studierte dabei auch die Werke kurioser Alchemisten, statt sich auf die eingeengte Sichtweise der modernen Medizin zu beschränken. Aus der Neugierde wurde zunehmend Besessenheit und auch die toleranteren unter seinen Lehrern wandten sich warnend von ihm ab, als er begann, sein Studium auf Tierkadaver und dann gar menschliche Leichen auszudehnen. Gleichzeitig widmete er sich den gewaltigen, schöpferischen Energien der Elektrizität und schließlich führte – wir kennen diesen Teil – das eine zum anderen und in einer düsteren Gewitternacht schuf Frankenstein ein aus Leichenteilen zusammengestückeltes Montrum.

Entsetzt über seine Tat floh er und das Monster machte sich ebenfalls aus dem Staub. Doch es sollte keinesfalls aus seinem Leben verschwinden. Vielmehr machte es sich mit schrecklicher Methodik daran, Victors Leben in ein Jammertal zu verwandeln, indem er ihm nach und nach seiner Liebsten beraubte. Dabei verlangte es der gequälten Kreatur vor allem nach einem: einer Gefährtin, die so sei wie es selbst, auf dass sie nicht mehr so alleine sei und sich so ausgestoßen fühle aus der menschlichen Gesellschaft. Doch Victor kann diese Bitte nicht erfüllen und so umkreisen sich Schöpfer und Geschöpf auf ihrem weiteren Daseinsweg, jeweils gleichzeitig Jäger und Gejagter, bis es im ewigen Eis der Arktis schließlich zur finalen Konfrontation kommt.

Das Hörspiel fühlt sich strukturell sehr der Erzählform der 1817 in der Villa von Lord Byron am Genfer See entstandenen Vorlage verbunden: Briefe, Tagebucheinträge und die Lebensbeichte Frankensteins am Krankenbett beherrschen die Geschichte. Auf der einen Seite treibt dies natürlich elegant die Handlung voran, auf der anderen wird die Atmosphäre über deutliche Strecken allein von den Stimmen der Sprecher getragen. Musik dient vor allen der kurzen Überleitung – hier fast leitmotivisch eingesetzt: ein getragenes Seemannsstück auf einer Ziehharmonika –, Toneffekte beschränken sich auf einige wenige signifikante Geräusche, wie z.B. eine Uhr im Hause der Frankensteins, das Wehen des Windes im ewigen Eismeer oder eine ferne Kirchturmglocke in der freien Natur. Die Welt, in der wir uns bewegen, wird eher skizziert, als in voller akkustischer Vielfalt heraufbeschworen, was allerdings durchaus zu der „erzählten“ Handlung passt.

Der Grusel im Kopf entfaltet sich dessen ungeachtet und dies insbesondere aufgrund der teilweise expliziten Textpassagen, wie beispielsweise dem abscheulichen Wirken Frankensteins während der Schöpfung seines Monstrums, das Hansa Czypionka mit einer Mischung aus Ekel und Wahn in der Stimme plastisch heraufbeschwört. Jens Wawrczeck als Robert bildet dagegen mit seinem klaren, relativ neutralen Tonfall das ruhige Grundgerüst, auf dem Frankensteins Fiebertaten aufbauen. Eva Maron spricht eine Justine, die vom Dialekt her kurioserweise mal deutlich, mal gar nicht ihre Schweizer Herkunft verrät. Peter Lieck verleiht indes Frankensteins Geschöpf die richtige Mischung aus Hass und Trauer, hätte aber dabei noch ein wenig unirdischer klingen können. Besonders gefallen haben mir die beiden Matrosen, die auf Roberts Schiff die Rolle der missmutigen und stets schwarz malenden Sidekicks einnehmen und ein bisschen dialektale Färbung in den ansonsten vorwiegend sehr klaren, fast theatralischen Duktus der Sprecherriege bringen.

Fazit: „Frankenstein“, in seiner Hörspieladaption von Annette Kurth, bietet auf 2 CDs und ca. 155 min. Laufzeit gepflegten Schrecken, der sich über Passagen vor allem aus seinem expliziten Text heraus im Kopf des Hörers entfaltet und dabei weniger auf Effekte setzt als auf die Stimmen seiner Sprecher. Allen, die den wahnsinnigen Wissenschaftler und sein Monstrum bisher nur von der Leinwand her kannten, wird sich eine überraschend neue Geschichte darbieten, wer allerdings bereits den Roman kennt, sieht möglicherweise nur bedingt Anlass, sich der düsteren Nacherzählung hinzugeben – auch wenn man sagen muss, dass sie gelungen ist.


Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Hörspiel nach dem Roman von Mary Shelley
Annette Kurth / Nick McCarty
Hörverlag 2004
ISBN: 3-89940-260-X
2 CDs, 155 min., deutsch
Preis: EUR 19,95

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