Exalted – 2nd Edition

"Exalted" hat bei seiner Ersterscheinung in Deutschland zwar nicht so viel Erfolg gehabt wie in den USA, wurde aber allgemein wegen seiner ungewöhnlichen Welt und der hohen Qualität sowohl der Quellenbücher als auch der Regeln gelobt. Nun ist die zweite Ausgabe in Amerika erschienen – wie üblich mit dem Versprechen, dass alles noch besser wird als vorher.

von amel

 

Als ersten Schritt in Richtung "noch besser, noch cooler" präsentiert uns White Wolf diesmal ein Vollfarbbuch. "Exalted" strotzt jetzt vor Farbe, bunten Zeichnungen (wie üblich an den Manga-Stil angelehnt), farbigen Textkästen und kreischend bunten Comicseiten statt der bisher üblichen Kurzgeschichten am Anfang von jedem Kapitel. Die Comics sind von den Bildern her von gemischter Qualität, die Geschichten sind allerdings erfreulich gut gelungen und stellen jeweils einen Aspekt der Welt von "Exalted" auf je einer Doppelseite gut dar. Statt langer Intro-Geschichte gibt es natürlich auch einen langen Comic, der mir inhaltlich sogar noch besser gefallen hat, was aber sicherlich hauptsächlich an der größeren Länge lag.

Ansonsten bin ich mir nicht sicher, ob die Farbe die Innengestaltung wirklich verbessert hat. Die Bilder sind teilweise einfach zu bunt und die Hintergrundfarben einzelner Textboxen zu grell (besonders die Schaubilder bei den "Charms" sind mit ihrem kräftig gelben Hintergrund eher nervig als hübsch). Doch es soll nicht gemeckert werden. So ein dicker Wälzer voll in Farbe ist schon beeindruckend.

Und damit sind wir auch schon beim zweiten Schritt der "Verbesserungen": Das Buch ist dicker. White Wolf gibt sich nicht mehr mit 330 Seiten zufrieden, jetzt müssen schon 400 Seiten her, um angemessen zu beeindrucken. Mag man das bei "World of Darkness: Chicago", der Städtebeschreibung für "Vampire", "Werwolf" und "Mage", noch übertrieben finden, sind 400 Seiten für das "Exalted" Grundregelwerk schon eher angemessen. Die Welt ist sehr komplex und die Möglichkeiten für die Charaktere groß.

Ein Rückschritt ist allerdings der Einband, der für ein Buch dieser Dicke nicht so stabil ist, wie man es wünschen würde. Das liegt wohl daran, dass der Druck von Kanada nach China verlegt wurde. Die Bindung meiner Ausgabe hält bis jetzt noch ganz gut, doch der Einband fängt schon an sich zu wölben. Wie lange das Buch die Benutzung am Spieltisch überlebt, muss sich erst noch zeigen.

Der Band beginnt mit einer langen Einführung in die Welt von "Exalted". Auf fast 60 Seiten erfährt der Leser alles, was nötig ist, um loszuspielen und noch mehr. Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Welt verrät uns, wie die "Scarlet Empress" die Welt gerettet hat, dass sie nun verschwunden ist und welche Auswirkungen das entstandene Machtvakuum hat. Wir erfahren außerdem, wer die "Exalted" eigentlich sind, woher sie kommen und was ihr Ziel in der Welt ist. Religion und Götter (da sie an den Shintoismus angelehnt sind, sind die Götter eher mächtige Geister als göttliche Wesen, die eine eigene komplizierte Bürokratie haben und teilweise in einer Stadt im Himmel wohnen) und die Geographie der Welt werden natürlich auch beschrieben, wobei die "Blessed Isle", die riesige Insel in der Mitte der Welt, auf der die "Scarlet Empress" gelebt hat, besonders hervorgehoben wird – hier ist immerhin das Machtzentrum der Welt, auch wenn es gerade zerfällt. Liest man den Text das erste Mal, könnte man von den Informationsmassen etwas überfordert sein, doch die Welt von "Exalted" ist recht komplex und all das in einem relativ kurzen Kapitel zu beschreiben ist nicht einfach.

Die Charaktererschaffung und die "Traits" bieten für alte White-Wolf-Hasen wenig Überraschungen: Es gibt Kasten (die Entsprechung von Clans bei Vampiren oder Stämmen bei Werwölfen), neun Attribute und eine Reihe Fertigkeiten. Natürlich gibt es auch wieder Attribute, die die Gesinnung der Charaktere beschreiben (das, was bei Vampire die Menschlichkeit ist).

Neu ist die Motivation. Der Spieler legt hier schon bei der Charaktererschaffung die alles überschattende Motivation fest, die die meisten Handlungen des Charakters beeinflussen soll. Schön episch soll sie sein und wenn man nicht gerade "die Ordnung der Welt wiederherstellen" oder "alle Sidereal-Exalted ermorden" will, dann sollte man die Motivation gar nicht erst aufschreiben. An sich ist das eine schöne Idee, doch hätte man meiner Meinung nach ruhig kleinere Ziele nehmen sollen, die der Reihe nach erreicht und sofort durch neue ersetzt werden. So wie es ist, besteht die Gefahr, dass die Motivation nie mehr als ein unbeachteter Satz auf dem Charakterbogen wird.

Eine weitere Neuerung ist die Einführung von "Intimacies". Das sind Leute, Gegenden oder Organisationen, zu denen der Charakter eine Bindung hat. Regeltechnisch sind sie besonders beim sozialen Kampf interessant (s. u.).

Es folgt der Kampf und schon wieder sind wir bei "neu und besser". Hier wurde wirklich aufgefahren. Die meisten Grundlagen sind geblieben, allerdings wird auf einen Paradewurf verzichtet. Die erste große Überraschung – leider bin ich mir nicht sicher, ob es eine gute Überraschung ist – ist, dass auf einen rundenbasierten Kampf verzichtet wird. "Exalted II" arbeitet mit so genannten Ticks, winzigen Zeiteinheiten (wesentlich kürzer als althergebrachte Runden), die im Kampf heruntergezählt werden. Beginnt ein Kampf, wird per Initiativewurf zunächst entschieden, bei welchem Tick man beginnt. Dann erhält jede Handlung eine Dauer von mehreren Ticks. Beginnt man den Kampf bei Tick 3 und macht eine Handlung mit Dauer 4, ist man bei Tick 7 wieder dran. Eigentlich ist das eine gute und relativ unverbrauchte Idee (das erste Mal wurde die Idee meiner Meinung nach in Robin Laws "Feng Shui" beschrieben), aber sie macht Kämpfe natürlich sehr taktisch und bei vielen Kontrahenten sehr kompliziert. Da muss der Spielleiter schon eine Tabelle haben, auf der er die Ticks nachverfolgt.

Die nächste große Überraschung ist, dass es mehr als eine Art Kampf gibt. "Exalted II" macht einen großen Schritt und führt den sozialen Kampf in die Mainstream-Rollenspiele ein. Wichtige verbale Konflikte – der Händler, der versucht etwas zu verkaufen, der Diplomat, der versucht von etwas zu überzeugen oder die Charaktere, die den König um Gnade für einen guten Freund bitten – werden nicht mit einem einfachen Würfelwurf oder einer Spielleiterentscheidung geklärt, sondern wie ein Kampf behandelt. Es gibt soziale Attacken und Paraden und Finten. Es gibt sogar Ticks (die allerdings länger dauern als im physischen Kampf). Hier kommen auch die "Intimacies" ins Spiel, die von einem sozialen Kampf beeinflusst und verändert werden können. Wie der soziale Kampf in der Praxis funktioniert, kann ich nur raten, aber er macht einen soliden Eindruck und eröffnet eine ganz neue Ebene von spannenden Konflikten und spielerischen Möglichkeiten.

Die dritte Kampfart ist der Massenkampf, der es erleichtern soll, große Schlachten zu spielen, ohne sich zu Tode zu würfeln. Er bietet wenig Überraschungen und fasst die Kämpfenden in Trupps zusammen, die mit Werten ausgestattet werden und als Einheit kämpfen. Der Einfluss der Charaktere auf das Geschehen ist gut gelöst. Insgesamt eine weitere gute Neuerung. (Angemerkt sei noch, dass im zeitgleich mit dem Grundbuch erschienen Spielleiterhandbuch eine vierte Kampfart enthalten ist, der diplomatische Kampf, der länderumspannende Intrigen und Machtkämpfe zwischen Königen simulieren soll.)

Auf das Kampfkapitel folgen die "Charms", die magischen Fähigkeiten der "Exalted". Die Regelung der "Charms" ist für mich ein kleiner Geniestreich. Hier werden den normalen Fertigkeiten wie Nahkampf oder Medizin besondere Fähigkeiten zugeordnet. Flammende Pfeile, Unsichtbarkeit oder der Schutz vor Wellengang auf See, alles ist da. Durch die "Charms" können besondere Fähigkeiten aller Art, also auch besondere Kampfkünste und sogar Magie, nach dem gleichen System behandelt werden, und es wird durch die große Auswahl nie Mangel an neuen coolen Fertigkeiten herrschen. Und White Wolf geizt natürlich auch nicht mit entsprechenden Erweiterungen. Mit 82 Seiten ist das Kapitel sehr lang und hier sollte jeder etwas finden, das ihn fasziniert.

Es folgt ein interessantes, wenn auch kurzes Spielleiterkapitel und gleich danach die Gegner, die diesmal mit einem recht langen Kapitel bedacht werden. Die anderen Arten der Exalted, Götter und Geister und natürlich diverse Monster und normale Menschen werden hier beschrieben. Ein ausführliches Kapitel, das dem Spielleiter viel in die Hand gibt, mit dem er arbeiten kann.

Den Abschluss bilden die Erklärung des Geldsystems der Welt und die Ausrüstung. Besondere Ausrüstung – Waffen, magische Gegenstände, etc. – sind jeweils mit einem Bild versehen, was sich besonders bei den Waffen als nützlich erweisen kann. Die Exalted benutzen schließlich keine einfachen Langschwerter.

Fazit: "Exalted – 2nd Edition" ist ein tolles Buch geworden. Das Regelwerk geht neue Wege und die Welt ist wie schon bei der ersten Auflage exotisch und faszinierend. Das Buch ist definitiv eine Verbesserung zur ersten Edition, auch wenn die neuen Regeln vielleicht nicht jedem gefallen werden. Der Umfang des Buches ist allerdings etwas einschüchternd und wird beim 25- bis 30-jährigen Durchschnittsspieler wahrscheinlich dazu führen, dass er das Spiel nie spielen wird. Die Zeit, die nötig ist, um sich einzuarbeiten, ist einfach zu groß. Auf der anderen Seite würde es sich aber lohnen.

Wer Interesse hat, kann sich auf der White-Wolf-Homepage das Einführungsabenteuer "Return to the Tomb of 5 Corners" mit Kurzregeln und fertigen Charakteren herunterladen. Es erzählt eine ganz ähnliche Geschichte wie "The Tomb of 5 Corners", das Einsteigerabenteuer für "Exalted I", ist aber unterschiedlich genug, dass man es auch dann spielen kann, wenn man das erste schon kennt. Für einen Einblick in die Regeln reicht es jedenfalls allemal.


Exalted – 2nd Edition
Grundregelwerk
Alan Alexander, Rebecca Borgstrom, Carl Bowen
White Wolf 2006
ISBN: 1-588466-84-1
401 S., Hardcover, englisch
Preis: EUR 39,99

bei amazon.de bestellen