Ein Lied für die Stille

Die Reihe „Cemetery Dance Germany“ aus dem Buchheim-Verlag schickt sich an, modernen Horror nach lovecraftschen Motiven im deutschsprachigen Raum verfügbar zu machen. Nachdem wir in „Hämmer auf Knochen“ den Privatdetektiv John Persons kennenlernen durften, legt Autorin Cassandra Khaw mit „Ein Lied für die Stille“ gleich eine weitere Geschichte um den cthuloiden Ermittler nach.

von André Frenzer

Der Buchheim-Verlag veröffentlicht bereits seit einiger Zeit deutsche Erstausgaben der amerikanischen „Cemetery Dance“-Reihe. Die Geschichte von Richard Chizmar und „Cemetery Dance“ geht auf das vor 30 Jahren gegründete, gleichnamige Magazin zurück. Mittlerweile hat das Magazin mit seinen Sammler- und Vorzugsausgaben zahlreicher namhafter Autoren im Bereich Horror und Dark Suspense längst Kultstatus erreicht. Im Deutschen erscheinen die Bände in den Reihen „CDG Limited“ und „CDG Select“, wobei letztere kürzen Novellen mit lovecraftesken Bezügen vorbehalten ist. „Ein Lied für die Stille“ wiederum ist der siebte Band der „CDG Select“-Reihe.

Die Autorin Cassandra Khaw hat für ihr Debüt „Breakable Things“ den Bram-Stoker-Award erhalten. Weitere Werke aus ihrer Feder – darunter auch „Hämmer auf Knochen“ – waren für den British Fantasy Award und den Locus Award nominiert. Für diese Vorzugsausgabe wurde darüber hinaus Vincent Chong als Illustrator gewonnen: Dieser fertigt sowohl Buch- und Zeitschriftenillustrationen als auch Produktionsdesigns für Film und Fernsehen an. Chong wurde mit mehreren britischen Fantasy Awards ausgezeichnet und erhielt außerdem einen World Fantasy Award als bester Künstler. Doch genug der Vorschusslorbeeren: Wenden wir uns dem Inhalt zu.

John Persons ist ein Privatdetektiv, den wir bereits in „Hämmer auf Knochen“ kennenlernen durften. Sein zweiter Fall konfrontiert ihn mit Deacon James. James ist ein farbiger Bluesmusiker aus Georgia, der für einen Auftritt unterwegs nach Arkham ist. Mit im Gepäck hat er sein Saxophon und einen Haufen Probleme. Nicht nur versucht er den Tod seines Vaters zu verarbeiten und ist darüber hinaus aufgrund seiner Hautfarbe ein gern gesehenes Opfer der weißen Oberschicht. Nein, mitten während der Zugfahrt erhält er außerdem äußerst verstörende Visionen von klaffenden Mäulern und gierigen Tentakeln. John Persons, welcher ihn noch im Zug stellt, offenbart dem Musiker, dass in seinem Kopf ein gefährlicher Samen keimt – so gefährlich, dass das Ende der Welt bevorstehen könnte, wenn er sprießt. Von dem verrückten Geschwätz des Detektivs erschreckt, macht sich Deacon auf den Weg zu seinem Gig – nur um festzustellen, dass seine Musik plötzlich in der Lage ist, Monstrositäten aus anderen Dimensionen heraufzubeschwören. Auf seiner Flucht vor sich selbst und Persons Nachstellungen trifft er Ana – ein Mädchen, das ebenfalls gefährliche Kräfte in sich birgt.

Für die zweite Geschichte um ihren okkulten Ermittler John Persons wählt Khaw einen interessanten Kniff. Denn wir erleben die Ereignisse dieses Mal nicht aus der Sicht von Persons selbst, sondern aus der Sicht des Bluesmusikers Deacon James. Dieser versteht zunächst überhaupt nicht, wie ihm geschieht, bis sich im Laufe der Handlung immer mehr herauskristallisiert, dass an Persons Gerede mehr dran zu sein scheint. Die Begegnung mit Ana bringt eine weitere Wendung in die Geschichte, welche alsbald in einem fulminanten Finale enden darf. Khaw lässt uns dabei tief in die Gefühlswelt von James eintauchen. Und dennoch gelingt es ihr, auch dem Privatdetektiv Persons die eine oder andere interessante Facette zu entlocken.

Es gibt zwei Dinge, die mich an „Ein Lied für die Stille“ wirklich begeistern konnten. Zum einen wäre da die bildhafte Sprache der Autorin. Lobte ich hierfür bereits den Vorgänger „Hämmer auf Knochen“, so legt Khaw hier noch einmal ein gutes Pfund drauf. „Ein Lied für die Stille“ entwickelt mit seiner Sprachgewalt und Direktheit einen rauschartigen Sog, der den Leser nicht loslässt und übertrifft damit den ersten Teil noch einmal deutlich. Zum zweiten fügt der Band dem umfangreichen Pantheon lovecraftesker Geschichten einige sehr interessante Aspekte hinzu. Da wäre zum einen die sehr intensive Beschreibung cthuloider Magie: Wer sich im Rollenspiel „Cthulhu“ oder seinen Nachfolgern ein wenig auskennt, der weiß, wie geistzersetzend und gefährlich cthuloide Magie wirkt. Selten habe ich eine so intensive Beschreibung der Auswirkungen dieser übernatürlichen Kräfte gelesen. Außerdem beantwortet der Band mit aller zur Verfügung stehenden Drastik die alte Frage, warum sich jemand einem wimmelnden Tentakelwesen als Gottheit hingeben sollte. In der Person von Ana erhalten wir die Antwort: Sie wendet sich mit offenen Armen dem endgültigen Ende durch die Großen Alten zu, nicht nur weil sie selbst Furchtbares durchleben musste, sondern auch damit nie wieder jemandem so viel Leid widerfahren kann. Die Tragik hinter dieser Figur ist überwältigend.

Im direkten Vergleich zum Vorgänger wirkt „Ein Lied für die Stille“ nicht nur sprachlich gereifter, sondern auch von der Storyführung her runder. Natürlich entlässt uns Khaw auch hier mit einigen Fragezeichen, nachdem die viel zu wenigen Seiten verschlungen sind. Allerdings hat man doch das Gefühl, dass der Abschluss runder und befriedigender ist als noch bei „Hämmer auf Knochen“.

Die vom Buchheim-Verlag aufgelegte „Select“-Ausgabe liegt als stabiles Hardcover mit schicker Prägung und einem goldenen Lesebändchen vor. Die hervorragende Haptik des Buches und die Illustrationen von Vincent Chong runden – wenn es auch leider nur drei an der Zahl sind – die Vorzugsausgabe gelungen ab. Technisch gibt es damit überhaupt nichts zu meckern.

Fazit: Wie „Hämmer auf Knochen“ ist auch „Ein Lied für die Stille“ ein drastisches, wortgewaltiges, hektisches Werk, welches reifer als sein Vorgänger wirkt und viele cthuloide Motive intensiv vertieft. Absolut empfehlenswert.

Ein Lied für die Stille
Horror-Novelle
Cassandra Khaw
Buchheim Verlag 2024
ISBN: 978-3-946330-37-0
120 S., Hardcover, deutsch
Preis: 18,99 EUR

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