Edgar Allan Poe 2: Die schwarze Katze

Erinnerungen sind zweischneidige Schwerter – einerseits machen sie uns erst zu dem, was wir heute sind: zur Fülle unserer bisherigen Erfahrungen. Andererseits bergen sie aber auch Begebenheiten, über die wir lieber den gnadenvollen Mantel des Schweigens ausbreiten würden, doch die Erinnerung reißt diesen immer wieder unbarmherzig weg. Letzteres ist ein Erlebnis, welches die Titelfigur dieser vorzüglichen Höspielserie am eigenen Leib erfahren muss.

von Christian Humberg

 

Über die latent irreführende Produkttitulierung habe ich mich ja bereits in meiner vergangenen Rezension zu dieser Serie ausgelassen, daher hier nur noch ein kurzer Verweis darauf: Das vorliegende Werk ist keine werkgetreue Adaption der Poeschen Kurzgeschichte „Die schwarze Katze“, sondern bietet weit mehr als das – einen handlungsübergreifenden roten Faden.

Wie flieht man vor seinem Gedächtnis?

Wir erinnern uns: Im ersten Teil dieser Hörspielreihe wurden wir mit dem Ich-Erzähler bekannt gemacht, der aufgrund einer Totalamnesie in einem Sanatorium weilte, wo er sich völlig wahllos den Namen Edgar Allan Poe gab. Poe ist körperlich völlig gesund, leidet aber unter furchtbaren Albträumen, welche er auf Anraten seines Arztes Templeton zu Papier bringt. Templeton erhofft sich von diesen Notizen Hinweise auf die wahre Identität seines Patienten. Doch Poe leidet sehr unter seinen Träumen, erzählen diese ihm doch Nacht für Nacht grauslige Geschichten von Mord und Totschlag, Wahnsinn und Schrecken – eben die Handlungen, welche wir Hörer aus den originären Texten Edgar Allan Poes kennen.

Ich wünsch‘ mir eine Mietzekatze für mein Wochenendhaus...

Im zweiten Teil der Reihe ist Poe als unheilbar eingestuft und aus dem Sanatorium entlassen worden. Auf der Suche nach Ruhe und Frieden – und möglichst wenig menschlichem Kontakt, könnte dieser doch erneut jene Alpträume in ihm auslösen, welche er tunlichst unterdrücken will –, reist Poe an die Küste und nistet sich in einem abgelegenen Hotel ein. Das Bild der verstorbenen Schwester seines Gastwirtes, welches im Kaminzimmer des Hauses an der Wand hängt, stürzt den Unglücklichen abermals in eine mehr als raue Nacht. Im Traum lebt er mit Frau und einem wahren Zoo an Haustieren ein gutbürgerliches Leben, in das langsam aber stetig der Wahnsinn einzieht, nachdem der Träumer eine unerklärliche (oder zumindest ungeklärte) Obsession entwickelt, die sich auf die schwarze Katze seiner Gattin bezieht.

In der Schilderung dieser Träume, welche auch hier gut 75 Prozent der Gesamtlaufzeit des Hörspiels ausmachen, kommt „Die schwarze Katze“ der Poeschen Erzählung erfreulich nahe, ist atmosphärisch dicht und hervorragend besetzt (besonders der wunderbare Ulrich Pleitgen und dessen Traum-Gattin Anna Thalbach in den Hauptrollen überzeugen auf ganzer Linie. Sprecher Pleitgen durfte sich – das nur nebenbei – in der bei Bastei Audio erschienenen Hörbuchversion von Stephen Kings „L.T.s Theorie über Haustiere“ bereits auf ... andere Art mit unseren vierbeinigen Freunden befassen. „Die schwarze Katze“ erscheint dem wissenden Hörer da schon fast als Variation dieses Themas.)

Die Adaption der Poe-Geschichte ist durchweg gelungen. Ein kleines Manko, was aber durchaus der subjektiven Hörspielinterpretation dieses Rezensenten entsprungen sein kann und im Gesamtbild von „Die schwarze Katze“ nicht weiter ins Gewicht fallen düfte, ist die Motivation des Traum-Ichs von Poe. Im Hörspiel liegt seinem späteren Wahn eine frühere Gewalttat (?) oder zumindest ein traumatisches Erlebnis zugrunde. Die Geschichten des echten Poe drehten sich sehr oft aber eher um Manien als Kern und Ausgangspunkt menschlichen Handelns: um aus der Melancholie, der Schwermut und der übertriebenen Selbstreflektion geborene, psychologische „Ticks“, deren Überwindung – ja, nicht selten sogar deren bloßes Erkennen – den Protagonisten unmöglich wird und aus denen ihre späteren Wahnsinnstaten entsprangen. Im Hörspiel wird also ein deutlich abweichender Ansatz verfolgt.

Fazit: Es ist ein Paradigmenwechsel, welcher die Poe-Figur in „Die schwarze Katze“ vollzieht. Vom Suchenden nach der eigenen Identität wechselt seine Motivation aufgrund der aus dieser Suche geborenen Alpträume mit dieser Episode 2 der Hörspielreihe von Bastei Audio hin zu einer Verdrängungspolitik, die in der ewigen Flucht vor dem eigenen, unbekannten Ich resultiert. Poe verzichtet bewusst und absichtlich auf den sprichwörtlichen Blick in den eigenen Abgrund, denn dessen Gegenblick ist ihm kaum noch zu ertragen. Doch die Realität will es anders, und so sieht sich Poe auch in der selbstgewählten Isolation mit Traumauslösern konfrontiert. Das bietet ihm – wie uns – schlaflose Nächte des Gruselns. Gut so!


Edgar Allan Poe 2: Die schwarze Katze
Hörspiel (sehr frei) nach der Erzählung von Edgar Allan Poe
Melchior Halla
Lübbe Audio 2003
ISBN: 3-7857-1345-2
1 CD, 61 min., deutsch
Preis: EUR 7,95

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