Dust

Welteroberungsspiele gibt es wirklich einige auf dem Markt. Doch selten hat mich ein Boxenaufmachung im Vorfeld so neugierig gemacht: rassige Schönheiten mit Fliegerkappen, Mech-artige Kampfmaschinen im Retro-Look und harte Kerle mit großen Kanonen stimmen auf Pulp-Atmosphäre ein und suggerieren ein Parallelerde-Erlebnis in der Art, wie man es in Filmen wie „Sky Captain and the World of Tomorrow“ gesehen hat oder aus dem „War Front“-Franchise kennt. Aber hält das Spiel auch, was die Optik verspricht?

von Frank Stein

 

 

Auch der zweite Blick, nämlich der „in die Box“, weiß zu erfreuen. Das Spielmaterial besteht aus einem puzzle-artig zusammensteckbaren Spielplan, 45 qualitativ hochwertigen Spielkarten, einigen stabilen Pappmarkern, zehn Kampfwürfeln sowie sieben Tüten voller bunter Plastikminiaturen. Insgesamt sind es stolze 804 – oder sechs Armeen zu je 130 Einheiten plus 24 Fabriken, wobei wir beim Testspielen nur einen Bruchteil der Figuren benötigten (das Spiel ist so aggressiv, dass man regelmäßig Nachschub vom Spielbrett selbst bekommt). Das Spielmaterial wird durch einen Regelbogen, der die Spezialfähigkeiten erklärt, drei Referenzkarten mit Einheitskosten sowie das Regelwerk komplettiert. Das Material konnte eigentlich fast durch die Bank überzeugen, nur die Einzelteile des Spielbretts waren so gewellt, dass unser „Battlefield Earth“ (um es mit John Travolta zu sagen) buchstäblich aus den Fugen geriet – eine schöne Metapher auf die politisch-militärische Situation, während der „Dust“ spielt, aber leider beim aktuellen Zocken eher unpraktisch.

„Dust“ ist in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angesiedelt. 1938 entdeckt das deutsche Forschungsschiff „Schwabenland“ im südlichen Polarkreis die Überreste eines außerirdischen Raumschiffs – und darin befindet sich ein lebendes Alien. Natürlich wollen die Nazis das Wissen um die außerirdischen Technologien für sich behalten, und ebenso natürlich scheitern sie damit. Bald finden sich in jeder größeren Nation Think Tanks zusammen und viele Theorien verbinden die so genannte „Vrill Kultur“ mit den Aliens. Der Gast von den Sternen weiß das zu präzisieren. Vrill ist keine Kultur, sondern ein Stoff, eine unglaublich mächtige Energie, die man nur an einer Hand voll Orten auf der ganzen Erde findet. Und schon versuchen die Nationen, sich diese Energiequellen unter den Nagel zu reißen, um dadurch neue, mächtigere Waffensysteme entwickeln zu können. Der Krieg ist eröffnet. – So weit zum Hintergrund.

Nachdem das Spielbrett aufgebaut wurde, jeweils sechs Spielkarten an jeden Spieler verteilt wurden und diese dann eine gewisse Anzahl Starteinheiten überall auf der Welt verteilt haben, kann es losgehen. Ein Spielzug besteht aus drei Phasen: der Initiative, dem eigentlichen Spielzug (jedes Spielers) und der Siegpunktephase. Während der Initiative bietet jeder Spieler eine seiner Handkarten auf, die nicht nur die folgende Zugreihenfolge festlegen, sondern auch, wie viele Angriffe, Bewegungen und Bonus-Produktionspunkte man in dieser Runde hat. Außerdem befindet sich noch eine Spezialfähigkeit auf jeder Karte. Der Einsatz dieser Spielkarten ist ein nettes Konzept, denn es zwingt jeden Spieler, sich vor seiner Runde zu überlegen, ob es ihm wichtiger ist, beispielsweise mehr Truppen zu verschieben oder früher (und häufiger) anzugreifen. Diese Karten können einem übrigens auch ausgehen, wenn man während seines Spielzugs in der Produktionsphase keinen Nachschub kauft. Die taktischen Optionen werden sozusagen immer schlechter, wenn man keine Ressourcen investiert.

Der Spielzug jedes Spielers besteht dann aus der Produktionsphase, der Bewegungsphase und der Angriffsphase. Diese Reihenfolge hat einen gravierenden Effekt: Man kann praktisch in einem Spielzug eine Armee ausheben, zum Feind führen und dann zuschlagen. Das macht Angriffe sehr unvorhersehbar – und sehr wahrscheinlich. Der kluge General sorgt also vor, indem er seine wichtigen Stellungen hinreichend schützt. Aber auch so kommt es zu relativ viel Einheiten- und Gebietsverlust während einer Spielrunde. Doch das ist vielleicht ganz gut so, denn so bleibt das Spiel dynamisch – wenn auch nicht ganz so gut planbar.

Die Zahl der Einheiten ist überschaubar: Panzer, Mech, U-Boot, Jäger, Bomber – das wars. Aber es reicht auch. Die Panzer bilden das Rückgrat der eigenen Bodenstreitkräft. Mechs räumen mit zwei Kampfwürfeln und einer hohen „taktischen Überlegenheit“ unter ihren Gegnern auf. Und Jäger sind eine gute Mischung aus Kampfkraft und Erstschlagsvermögen. Bomber dürfen nicht nur quer übers ganze Spielfeld fliegen, sondern auch Seestreitkräfte angreifen, ohne dass der Feind etwas dagegen tun kann. U-Boote (a.k.a. Seestreitkräfte) wiederum transportieren Landstreitkräfte übers Meer und können Einheiten an der Küste ohne Gegenwehr beharken.

Sehr schön ist, dass die Welt in „Dust“ wirklich rund ist, das heißt man vom linken Kartenrand zum rechten fahren kann – und zurück. So manche Seeblockade meiner Gegner wurde durch den Umstand ausgehebelt, dass ich einfach durch den Pazifik schipperte, statt durch den stark befahrenen Atlantik. Denn das ist die zweite Besonderheit: In „Dust“ geben keine Bewegungspunkte die Reichweite der Einheiten vor, sondern man darf pro „Bewegung“ eine Gruppe von Einheiten von einem Startort zu einem Zielort bewegen, der beliebig weit entfernt sein kann, solange die Bewegung nur durch eigenes oder unbesetztes Gebiet führt. Das Abschneiden von Nachschubrouten erhält hierdurch einen ganz neuen Stellenwert.

Der Kampf ist ebenso simpel wie hart. Jede Einheit hat zwei Werte: taktische Überlegenheit und Kampfkraft. Der erste Wert gibt an, welcher der beiden Gegner zuerst zuschlagen darf (die Armee mit der höheren Summe fängt an). Das ist insofern elementar, da bei „Dust“ jede getroffene Einheit sofort vom Spielbrett genommen wird. Eine Schlacht kann also mitunter schon vorbei sein, bevor sie überhaupt angefangen hat. Zum Angriff selbst werden Kampfwürfel in Höhe der Kampfkraft aller Einheiten geworfen. Die Chance auf einen Treffer liegt bei 33% pro Würfel. Für jeden Treffer wird sofort eine Einheit aus dem Spiel genommen, wobei Panzer Mechs schützen (also zuerst zerstört werden) und Jäger Bomber. Dafür dankt der Finanzminister, denn Mechs und Bomber sind zugleich die teuersten zu bauenden Einheiten.

Gebaut wird übrigens in Produktionszentren, von denen man zu Beginn drei besitzt, wobei jedes Zentrum eine Energiequelle benötigt, sonst stehen die Fließbänder still (soll heißen, die Produktionspunkte werden reduziert). Ein wichtiger Schritt zum Sieg besteht also darin, möglichste viele Produktionszentren zu bauen und zu kontrollieren, nebst den dazugehörigen Energiequellen, denn es macht schon einen spürbaren Unterschied, ob man zwei oder vier Fabriken hat, die Kriegsmaschinen bauen. Die Energiequellen gewähren übrigens, genau wie das Halten von Hauptstätten (es gibt derer sechs) die begehrten Siegpunkte, die in der Siegpunktephase nach jeder Runde ermittelt werden. Wer zuerst 40 Punkte gesammelt hat (diese Zahl variiert je nach Mitspielerzahl), hat gewonnen.

Eine sehr schöne Regelung ist, dass die Energiequellen und Produktionszentren der Gegner in der ersten Runde noch nicht angegriffen werden dürfen. Hauptstädte sind sogar so lange sicher, bis der erste Spieler 20 Siegpunkte gesammelt hat. Das gibt Spielern die nötige Zeit, ihre Stellungen etwas zu befestigen, auch wenn sie nicht gleich die Initiative gewinnen.

Das Sahnehäubchen bilden die Spezialfähigkeiten, die sich jeder Spieler in der Initiative durch das Ausspielen einer Handkarte für diese Runde auswählt. Je nach Aggressionsgelüsten kann man beispielsweise die „Ballistische Rakete“ einsetzen, die feindliche Einheiten auch über weite Strecken vernichtet, den „Mechabwurf“, der überall auf dem Spielbrett die berüchtigten Kampfmaschinen absetzen kann, oder die „Krankenschwester“, die eigentlich vernichteten Einheiten erlaubt, sich verwundet zurückzuziehen. Elf verschiedene Fähigkeiten existieren, die jede auf ihre Weise einen kleinen Vorteil versprechen – wobei besonders die „Geheimwaffe“ perfide ist, da sie es einem sogar ermöglicht, eine feindliche Hauptstadt kampflos einzunehmen, weil sich alle Verteidiger zurückziehen müssen. (Das muss allerdings unserer Ansicht nach ein Regel-Bug sein, denn Hauptstädte sind echt wertvoll!)

Fazit: „Dust“ erfindet das Rad der Welteroberungsspiele sicher nicht neu. Tatsächlich ist es eher auf Action, denn auf komplexe Strategie angelegt. Doch gerade deshalb macht das Spiel gehörig Spaß. Vor allem das Konzept der Handkarten, die den kommenden Zug bestimmen, ist eine nette Idee. Und die richtige Spielergruppe vorausgesetzt, kann sich eine wundervolle Pulp-Stimmung einstellen, wenn der Russe mit seinen verdammten Mechs einmal mehr die geheime US-Waffenschmiede in Alaska angreift, während sich die Gelbhäute in Australien und der Antarktis einnisten und eine einzelne Nazi-Panzereinheit einsam am Kap der guten Hoffnung auf Nachschub hofft, bevor sie von den sich nähernden U-Booten der Tommys unter Beschuss genommen wird. (Aber wir haben alle brav unseren Zivildienst abgeleistet, ganz ehrlich!)


Dust
Brettspiel für 2 bis 6 Spieler ab 12 Jahren
Spartaco Albertarelli, Angelo Zucca (Autoren), Paolo Parente, Davide Fabbri (Illustrationen)
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2008
ISBN: n.a.
Box mit 804 Miniaturen, 45 Spielkarten, 10 Kampfwürfeln, Spielplan, Spielmarken, Referenzkarten, Regeln, deutsch
Preis: EUR 49,95

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