Die Mächte des Feuers

Sie nennen sich „Die Mächte des Feuers“ – uralte Drachen, welche die Geschicke der Menschen aus dem Verborgenen heraus lenken. Sie existieren seit Jahrhunderten, haben Helden sie Siegfried und Beowulf überlebt, stürzten Könige und entfachten Kriege ganz nach ihrem Gutdünken. Doch von all dem weiß Silena, die Drachentöterin, zunächst nichts. Sie untersucht nur eine Reihe mysteriöser Todesfälle und wir folgen ihr dabei in ein Labyrinth aus Ambitionen, Intrigen und alter Magie.

von Frank Stein

Wir schreiben den 1. Januar 1925. Portugal und das Deutsche Reich beschließen die Fortsetzung des bereits 1923 geschlossenen Handelsvertrages. In Opponitz wird das erste Wiener Wasserkraftwerk in Betrieb genommen. Die jetzt elektrifizierte Bahnlinie München-Garmisch-Partenkirchen macht eine erste Probefahrt. Im Kino laufen Filme von Buster Keaton, Ernst Lubitsch und Sergej M. Eisenstein. Und die Drachentöterin Silena, Großmeisterin des von der katholischen Kirche gegründeten Officium Draconis aus der Linie des Heiligen Georgs, trauert um ihre beiden Brüder, die bei einem Übungsflug ums Leben kamen, ermordet von einem Drachen.

Moment mal… Drachen? In der Tat: In Markus Heitz’ neuem Roman, der jüngst bei Piper erschienen ist, wird eine leicht modifizierte Geschichte unserer Welt erzählt. In dieser Welt nämlich existieren Drachen nicht nur als Sagen und Legenden, sondern ganz real. Zum Großteil handelt es sich dabei nur um Monster, tumbe Fressmaschinen, die Dörfer und manchmal auch Städte heimsuchen, dort Unheil und Chaos anrichten und dann von den Drachenheiligen der Kirche oder aber ihren Konkurrenten, den freischaffenden Drachenjägern, die aus den Leibern der Bestien Profit zu schlagen gedenken, getötet werden müssen. Aber es gibt auch ein paar Große Alte, die die Welt (beziehungsweise in diesem Falle Europa) sozusagen unter sich aufgeteilt haben und die durchaus geschickt intrigieren und geheime Politik betreiben, um sich dadurch ein Leben in Saus und Braus in einem prunkvollen Drachenhort leisten zu können – man kennt das ja.

In eine solche Intrige wird Silena hineingezogen, als sie auszieht, um Rache für ihre Brüder zu nehmen. Dabei stolpert sie nicht nur über eine ganze Reihe von Todesfällen, die sowohl Drachentöter als auch – seltsamerweise – so genannte Medien, Wahrsager und Hellseher, zu betreffen scheint, sie trifft auch auf ein paar sehr ominöse Gestalten, etwa den britischen Versicherungsagenten Onslow Skelton, den russischen Fürsten, Hellseher und Lebemann Grigorij und das französische Medium Madame Sàtra, die alle irgendwie in die Ereignisse verstrickt zu sein scheinen. Silenas Odyssee führt sie von München nach London, Edinburgh, Innsbruck, in die Normandie und nach Kiew und im Laufe der etwa zweimonatigen Reise erfährt sie Dinge, die selbst sie bisher für unmöglich gehalten hätte. Es herrscht ein uralter Krieg und er wird nicht nur von den Drachen geschlagen…

Ich gebe es zu: Ich bin ein Fan von Drachen und ich bin ein Fan der pulpig überhöhten Zeit der 1920er und 1930er. Insofern ist die Mischung, die Heitz in „Die Mächte des Feuers“ bietet, Zeppeline und Doppeldecker, Séancen und dunkle Magie, knarzige Soldaten, drogenabhängige Bohemiens, selbstbewusste Frauen und verknöcherte Pfaffen, das alles gewürzt mit der ständigen Bedrohung der Feuer speienden Echsen, genau meine Welt. Natürlich reden wir hier von Klischees und Abziehbildern, die jeder „Cthulhu“- oder eher noch „Hexer von Salem“-Rollenspieler sofort wiedererkennt, aber das macht in diesem Kontext überhaupt nichts. Man fühlt sich an Filme wie „Sky Captain and the World of Tomorrow“ erinnert oder an die „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Sicher nicht ohne Grund zitiert Heitz spaßeshalber zwischendurch „Indiana Jones“ oder „Sherlock Holmes“. Hier hat sich ein Junge in einem Setting ausgetobt, in dem fast alles möglich scheint.

Stellenweise ist der Roman indes leider etwas wirr geraten. So sind Szenen eingestreut, die nicht wirklich im Zusammenhang mit der Handlung zu stehen scheinen. Wer ist etwa der geheimnisvolle Angreifer, der dem französischen Drachen Vouivre ans Leder will? Was will uns die Begegnung zwischen dem nordischen Drachen Grendelson und einem asiatischen Kollegen sagen? Und warum wird der mächtige Kampfzeppelin Cadmos erst mit viel Trara gestohlen, nur um am Ende wieder aufzutauchen? Nebenplots wie diese mögen vielleicht die Welt um Details bereichern, meines Erachtens aber hätte man sie besser weggelassen, denn sie deuten nur Verschachtelungen der Haupthandlung an, die nachher nicht eingelöst werden. Aber gut, es sind vielleicht 70 von 570 Seiten, auf die der Leser auch gut hätte verzichten können. Das soll angesichts der ansonsten sehr stimmungsvollen Story nicht zu stark gewichtet werden.

Fazit: Tollkühne Männer (und Frauen) in fliegenden Kisten, Feuer speiende Ungeheuer, Agenten, kauzige Briten, dekadente Russen, humorlose Deutsche, sexy Französinnen und eine furchtbares Geheimnis, das die Welt in einen Krieg stürzen mag, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hat – der Roman „Die Mächte des Feuers“ von Markus Heitz bietet all das und mehr, eine wilde Zeitreise in die 1920er eines Europas, in dem historische Tatsachen, augenzwinkernde Abweichungen und reine Fantasy zu einem Pulp-Universum par excellence verschmelzen. Am besten mit Wasserpfeife zu genießen und zum Finale muss natürlich Mussorgskis „Nacht auf dem kahlen Berge“ (bitte in der Bearbeitung von Rimski-Korsakow) eingelegt werden!


Die Mächte des Feuers
Fantasy-Roman
Markus Heitz
Piper 2006
ISBN: 3-492-70133-7
573 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 16,90

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