Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen 3: Century

Größere Bekanntheit erlangte die Graphic Novel „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ der zwei britischen Künstler Alan Moore und Kevin O’Neill durch die aufwändige, in der Besetzung von Star-Schauspieler Sean Connery angeführte Hollywood-Verfilmung von 2003. An die Vorlage reichte die filmische Umsetzung bei Weitem nicht heran, der große Erfolg an den Kinokassen blieb aus. Auf dem Comic-Markt wurden die Abenteuer der außergewöhnlichen Helden-Truppe unbeirrt fortgesetzt, mit einem zweiten Großband und einem ausufernden Sonderband „Das Schwarze Dossier“. Daneben entstand eine Trilogie aus drei fiktiven Szenarien, angesiedelt in den Jahren 1910, 1969 und 2009. Ein offizieller dritter Band der Comic-Reihe bündelt diese Episoden in einem Sammelband: „Century“.

von Simon Ofenloch

 

Im 19. Jahrhundert stand eine besondere Abteilung des britischen militärischen Abschirmdienstes zum einen der Bedrohung durch den teuflisch genialen Meisterverbrecher Moriarty gegenüber, zum anderen einer Invasion von kriegerischen Marsianern. Dieser „Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ gelang es im einen wie im anderen Fall, die Gegner zu besiegen, allerdings nicht ohne Verluste in den eigenen Reihen. Übrig geblieben aus dem alten Team sind nur noch Mina Murray und ihr Geliebter Allan Quatermain, die zwischenzeitlich in einem Jungbrunnen gebadet und neue andauernde Kraft und Energie erlangt haben. Diese brauchen sie auch für die Herausforderungen des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus für den Kampf gegen neue Feinde und Gefahren.

Denn wieder einmal steht das Schicksal der Nation auf dem Spiel, gar der ganzen Welt. Über mehrere Jahrzehnte hinweg bahnt sich eine apokalyptische Bedrohung an. Erste Hinweise erhalten die Helden um Mina Murray – neben Allan Quatermain das unsterbliche Zwitterwesen Orlando, Geistersucher Thomas Carnacki und Gentleman-Dieb A. J. Raffles als neue Mitstreiter – in den okkulten Salons und den von Verbrechen geplagten Londoner Werften des Jahres 1910, weitere Anhaltspunkte in der von psychedelischen Drogen überschwemmten kriminellen Unterwelt von 1969 und im vom Finanzwahn und kulturellen Verfall gebeutelten Jahr 2009. In einem Jahrhundert, das auf den Abgrund zutaumelt, muss die Gruppe sich immer wieder ihrer Integrität versichern. Was eine zusätzliche Herausforderung bedeutet, bei derart besonderen, „außergewöhnlichen“ Mitgliedern.  

In drei Teilen, „1: Denn wovon lebt der Mensch?“ (1910), „2: Paint It Black“ (1969) und „3: So mag er fallen“ (2009), präsentiert der von Panini Comics herausgegebene Sammelband die deutschen Übersetzungen der sogenannten „Century-Trilogie“ aus der Feder von Alan Moore, mit Zeichnungen von Kevin O’Neill. Wie immer sind auch diese Comics um „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ voller mehr oder weniger deutlicher Verweise auf die Populärkultur und deren Geschichte, auf mehr oder weniger Bekanntes aus Literatur, Film und allen anderen Medienformen. Wer sich in Abenteuer, Science-Fiction und Fantasy auskennt, kann ein ständiges Wiedersehen mit alten und neueren Freunden feiern.

Vieles versteckt sich dabei auch im Hintergrund, in den Ecken und Schatten. Wer aufmerksam hinschaut, kann mancherorts Figuren wie Popeye, Andy Capp, Winnie Puuh oder H. R. Gigers Alien entdecken. Auch Bertolt Brecht, Edgar Allan Poe und Shakespeare haben Spuren hinterlassen. Da tauchen Personen wie Mackie „Macheath“ Messer oder Prospero auf, erscheinen aber auch Okkultisten mit dem Antlitz von Aleister Crowley. Später wird ein weltberühmter junger Magie-Lehrling entzaubert, ebenso wie ein mit Regenschirm und magischen Fähigkeiten ausgestattetes Kindermädchen, dem Walt Disney einst ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Namen werden dabei wohlweislich nicht genannt.

Wer Schwierigkeiten im Erkennen und Zuordnen mancher Anspielungen und Bezüge hat, kann wieder auf Jess Nevins und seine Online-Sammlung an Hinweisen vertrauen. Wie zu den anderen Comic-Bänden um „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“ hat er auch für die Einzelbände der „Century-Trilogie“ zahlreiche „Annotations“ zusammengetragen.

In der Darstellung der Handlung geht es mitunter ganz schön brutal und freizügig zur Sache. Insbesondere im Szenario von 1969 regiert der nackte Wahnsinn, wortwörtlich. Natürlich ergehen sich Moore und O'Neill dabei gewohnt ungeniert im Spiel mit Tabubrüchen und parodistischen Geschmacklosigkeiten. Das darf, das muss man durchaus mit Humor nehmen können.

Die Druckqualität ist hoch, sodass auch die wiederholt großartige Kolorierung von Ben Dimagmaliw überzeugend zur Geltung kommt. Für die ganz vorzügliche deutsche Übersetzung zeichnet Gerlinde Althoff verantwortlich. Der Klappbroschur-Softcover-Einband ist gewohnt gut verarbeitet, das Titelbild mit Spotlack-Azenten ansprechend veredelt.

An Extras hält der Sammelband am Anfang einige zeitgenössisch anmutende Spaß-Werbeanzeigen und am Ende nach der dreiteiligen Comic-Geschichte und einer Kurzgeschichte mit dem Titel „Günstlinge des Mondes“, wie der Beitrag zu einer Science-Fiction-Heftroman-Reihe gehalten, noch eine Cover-Galerie mit interessanten Motiven zu unterschiedlichen Anlässen bereit.

Fazit: Geil ... irgendwie geil … echt geil! Kultautor Alan Moore und Zeichen-Genie Kevin O’Neill können es nicht lassen. Und das ist auch gut so. Immer weiter geht es mit „Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen“, wenngleich vom ursprünglichen Team immer weniger Vertreter übrig bleiben. Doch die Kulturgeschichte ist wohl unerschöpflich reich an interessanten Helden, die nachrücken können, und irren Auswüchsen, über die man sich genüsslich lustig machen kann. Der volle Spaß erschließt sich wie immer nur mit einiger Nebenlektüre und Recherche. An der Umsetzung durch Panini Comics gibt es nicht zu bemängeln. Tolle Arbeit!

Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen 3: Century Comic Alan Moore, Kevin O'Neill Panini Comics 2014 ISBN: 978-3-95798-116-5 256 S., Softcover, deutsch Preis: EUR 29,99 bei amazon.de bestellen

Links:

 

„Annotations“ von Jess Nevins zu „Century: 1910“ (auf Englisch)

„Annotations“ von Jess Nevins zu „Century: 1969“ (auf Englisch)

„Annotations“ von Jess Nevins zu „Century: 2009“ (auf Englisch)

„Aufschlussreiches Interview mit Alan Moore zu „Century“ (Teil 1, auf Englisch)

„Aufschlussreiches Interview mit Alan Moore zu „Century“ (Teil 2, auf Englisch)