Die Legende von Sigurd und Gudrún

John Ronald Reuel Tolkien ist gemeinhin als Schöpfer der fantastischen Welt Mittelerde bekannt, Heimat der Hobbits. Doch J.R.R. Tolkien dichtete auch den ehernen Stoff der Edda, des Wölsungenlieds und des Gudrunlieds für seine Zeit neu. Im Nachlass entdeckt und nach Längerem von Sohn Christopher herausgegeben: J.R.R. Tolkiens Version der großen Sage, aufwendig ergänzt um zahlreiche Erklärtexte. In deutscher Übersetzung veröffentlicht von Klett-Cotta.

von Simon Ofenloch

 

Der Brite J.R.R. Tolkien war Professor in Oxford und ein über die Grenzen Englands hinaus anerkannter Sprachwissenschaftler. Zudem erfolgreicher Schriftsteller und ein entscheidender Wegbereiter der modernen Fantasy-Literatur. Seine besondere Vorliebe galt den alten nordischen Sprachen. Seine Werke, darunter am bekanntesten – nicht zuletzt durch die pompöse Hollywood-Filmtrilogie unter der Regie von Peter Jackson – „Der Herr der Ringe“, sind weltweit übersetzt und haben rund um den Globus Millionen begeisterter Leser.     

Tolkiens Sohn Christopher hat sich nach dem Tod des Vaters im September 1973 der Herausgabe der bis dahin unveröffentlichten Werke gewidmet. Im Nachlass fanden sich auch zwei Stabreimgedichte, die erstmals 2009 in Großbritannien postum erschienen. Die Gedichte sind eine Neufassung der Geschichte vom Drachentöter Sigurd und dem Fall der Niflungen. Sie erzählen wie Sigurd den fürchterlichen Drachen Fáfnir tötet. Wie er die schlafende Brynhild aus einem Feuerwall erweckt. Und wie am Hof große Liebe entbrennt – und großer Hass.

Die zwei inhaltlich eng zusammengehörigen Gedichte, „Völsungakviða en nýja“ („Das neue Wölsungenlied“) und „Guðrúnarkviða en nýja“ („Das neue Gudrunlied“) bilden das Kernstück des Buches. Dieses enthält zudem sowohl ein Vorwort wie eine kurze Einleitung von Christopher Tolkien, gefolgt von einem aus dem Skript einer Eröffnungsvorlesung J.R.R. Tolkiens editierten Text über die „Ältere Edda“, ergänzt um Erläuterungen. Darauf folgen noch den Gedichten vorangestellte Anmerkungen zur deutschen Übersetzung.

Jedes der Gedichte ist mit einer direkt anschließenden Kommentierung versehen, in der die Handlung erläutert und auf größere Abweichungen zur Vorlage hingewiesen wird.

Im Anhang finden sich dann noch ein Artikel zum Ursprung der Sage und zwei im Gesamtkontext mehr oder weniger interessante Versfragmente von J.R.R. Tolkien.

Die bei den Kapitelübergängen angebrachten Illustrationen von Bill Anderson haben die Schnitzereien auf  Türrahmen der Stabkirche von Hylestad in Norwegen zur Grundlage. Auch der eindrucksvolle Schutzumschlag mit Reliefprägung orientiert sich an dieser Vorlage. Die Türpfosten werden mittlerweile in der Universitetets Oldsaksamling in Oslo aufbewahrt.

„Die Legende von Sigurd und Gudrún“ ist ein inhaltsreiches, wertvolles, sorgfältig, anspruchsvoll und edel gestaltetes Buch. Etwas völlig anderes als „Der Herr der Ringe“ oder Vergleichbares aus der Feder des Autors. Aber nicht minder bemerkenswert. Die deutsche Übersetzung besorgte Hans-Ulrich Möhring unter Beibehaltung der Versform, auch dies eine eindrucksvolle, gelungene Arbeit. Toll ist darüber hinaus, dass neben der Übersetzung auch der englische Originaltext mit abgedruckt wurde.

Fazit: Ein ungewöhnliches Tolkien-Werk, aber nicht minder lohnenswert. Für an nordischen Mythen und Heldensagen Interessierte ist der reich kommentierte Band eine unbedingte Leseempfehlung. Für alle anderen durchaus eine Herausforderung, die sich aber lohnen mag.


Die Legende von Sigurd und Gudrún
Fantasy-Buch
J.R.R. Tolkien
Klett-Cotta 2010
ISBN: 978-3-608-93795-4
560 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,95

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